Stellungnahme -

ifo Standpunkt Nr. 203: Steuerreform statt zusätzliche Staatsausgaben

ifo-Präsident Clemens Fuest spricht sich im aktuellen ifo Standpunkt für eine Senkung der Unternehmensteuern aus.

Bild Clemens Fuest für Standpunkte

Die schwächelnde Konjunktur hat eine alte Debatte neu angeheizt: Brauchen wir in Deutschland spürbare Steuerentlastungen für Arbeitnehmer und Betriebe, um international wettbewerbsfähig zu bleiben? Oder sollten die Steuern sogar steigen, damit mehr finanzielle Mittel für Sozialprogramme und öffentliche Investitionen vorhanden sind?

Höhere Steuern bedeuten höhere Staatsausgaben, während Steuersenkungen staatliche Ausgabenspielräume beschränken. Die Wahl zwischen diesen Alternativen ist eine politische Entscheidung. Eine konsensfähige Leitlinie könnte darin bestehen, dass der Anteil an der Wirtschaftsleistung, den der öffentliche Sektor für sich beansprucht, mittelfristig weder steigen noch sinken sollte.

Tatsächlich steigt der Anteil der Steuern und Abgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Deutschland seit Jahren. Als Bezugspunkt für die Beurteilung der Steuer- und Abgabenlast bietet sich das Jahr 2014 an, in dem die Nettoneuverschuldung im Bundeshaushalt auf Null fiel. Damals lag die Steuer- und Abgabenquote bei 38,6 Prozent. Bis 2018 ist sie auf 39,8 Prozent gestiegen. Nimmt man die Sozialabgaben heraus und betrachtet allein die Steuern, dann zeigt sich ebenfalls ein deutlicher Zuwachs – von 22,1 Prozent (2014) auf 22,8 Prozent (2018). Nächstes Jahr wird die Steuerquote sogar 23 Prozent übersteigen. Grund ist vor allem die kalte Progression, die immer mehr Einkommensteuerzahler in Bereiche hoher Grenzsteuersätze bringt. Um die Steuerquote auf das Niveau des Jahres 2014 zurückzuführen, wären für 2020 Steuerentlastungen von 34 Milliarden Euro nötig. Um zumindest das Niveau des Jahres 2017 zu erreichen, müsste die Politik die Steuerlast um 22 Milliarden Euro senken.

Welche Steuern aber sollten wir konkret in den Blick nehmen? Vieles spricht für die vollständige Abschaffung des Solidaritätszuschlags. Dieser wurde mit dem Versprechen eingeführt, ihn nur temporär zu erheben, zur Finanzierung der deutschen Wiedervereinigung. 30 Jahre später ist es an der Zeit, dieses Versprechen einzulösen. Die Kritik, das Ende des Soli sei ein unerwünschtes „Geschenk an die Reichen“, ist dabei nicht stichhaltig und verdreht die Tatsachen. Tatsächlich war die Einführung des Solidaritätszuschlags ein Sonderopfer, das vor allem die „Reichen“ getroffen hat. Jene Parteien, die höhere Einkommen gerne stärker besteuern wollen, sollten sich lieber für eine entsprechende Reform des Einkommensteuertarifs einsetzen, statt die überfällige Abschaffung des Solidaritätszuschlags zu blockieren.

Und was ist mit dem Argument, es sei sinnvoller, das Geld für öffentliche Investitionen einzusetzen? Diese Sichtweise überzeugt ebenfalls nicht. Es sind genug Mittel für Investitionen vorhanden. Gleichzeitig erleben wir eine massive Expansion konsumtiver Staatsausgaben und wenig zielgenauer Umverteilungsprogramme. Fakt ist: Infrastrukturprojekte scheitern derzeit vor allem an langwierigen Planungsverfahren und dem Widerstand der lokalen Bevölkerung. Und weniger an fehlendem Geld.

Dringender Handlungsbedarf besteht vor allem bei den Unternehmensteuern. Der tarifliche Steuersatz auf einbehaltene Gewinne in Deutschland liegt mit rund 30 Prozent deutlich über dem Niveau vergleichbarer Länder. Unter den G7- Staaten hat derzeit nur Frankreich mit 33 Prozent einen höheren Steuersatz. Dieser aber wird im kommenden Jahr auf 28 Prozent sinken, weitere Senkungen auf 25 Prozent sind bereits beschlossen. Um Steueraufkommensverluste durch Gewinnverlagerung ins Ausland einzudämmen und Investitionen und Arbeitsplätze in Deutschland zu halten, sollte die Bundesregierung dem Beispiel Frankreichs folgen und die Steuerbelastung ebenfalls schrittweise in Richtung 25 Prozent reduzieren.

Gegner einer Unternehmensteuerreform behaupten zwar, der hohe Exportüberschuss Deutschlands zeige, dass die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft nicht weiter erhöht werden müsste. Doch das ist eine Fehlinterpretation. Wer so argumentiert, verwechselt die Exportfähigkeit der Unternehmen mit der Attraktivität Deutschlands als Standort für Investitionen und Jobs. Der Exportüberschuss geht mit einem Kapitalexport einher – es wird im Ausland statt in Deutschland investiert. Sinkende Unternehmensteuern würden den Exportüberschuss senken und die Investitionen in Deutschland steigern. Nach aktuellen Schätzungen dürften die Unternehmen in Deutschland bei einer Senkung der Steuerbelastung von 30 auf 25 Prozent ihre Investitionen um 14 Prozent erhöhen. Außerdem würden die in Deutschland ausgewiesenen Gewinne durch verringerte Steuervermeidung um rund vier Prozent zunehmen. Alles in allem wäre die Steuerreform demnach nahezu aufkommensneutral.

Und es gibt noch ein letztes schlagendes Argument für Steuerentlastungen: Sie würden die Politik zwingen, bestehende Staatsausgaben auf den Prüfstand zu stellen – statt ungehemmt immer neue Ausgabeprogramme aufzulegen, weil reichlich Geld vorhanden zu sein scheint.

Clemens Fuest
Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft
Präsident des ifo Instituts

Erschienen unter dem Titel „Wir brauchen eine Steuerreform in Deutschland – jetzt!“, in WirtschaftsWoche, 1. März 2019, S.43.

ifo Standpunkt
ifo Institut, München, 2019
ifo Standpunkt Nr. 203