Stellungnahme -

ifo Standpunkt Nr. 207: Nettovermögensteuer: Die falsche Antwort auf eine berechtigte Frage

07.10.2019

In Deutschland mehren sich derzeit die Forderungen nach einer Wiederbelebung der Vermögensteuer. Nicht nur die SPD tritt für die Vermögensteuer ein, auch die Grünen haben sich dieser Forderung angeschlossen. Gerechtfertigt wird diese Forderung mit wachsender Ungleichheit in der Vermögensverteilung, die vor allem durch den Boom der Immobilienpreise verursacht wird. Was ist davon zu halten?

Bild Clemens Fuest für Standpunkte

Nettovermögensteuern sind in fast allen Ländern abgeschafft worden

Vielfach wird behauptet, andere Länder würden Vermögen stärker besteuern. Deutschland würde mit der Einführung einer Nettovermögensteuer also nur mit anderen gleichziehen. Das ist falsch. Hier werden verschiedene Steuern gleichgesetzt, die als ‚vermögensbezogen‘ bezeichnet werden, aber sehr unterschiedlich sind: Dazu gehört vor allem die kommunale Grundsteuer. Ihr Aufkommen ist in Deutschland mit 0,4% des Bruttoinlandsprodukts in der Tat niedriger als im Durchschnitt der OECD-Länder (1,1%). Deshalb hat etwa der IWF vorgeschlagen, Deutschland sollte die Grundsteuern erhöhen und mit dem zusätzlichen Aufkommen Steuern auf Arbeitseinkommen senken. Allerdings wird bei diesem Vergleich leicht übersehen, dass Grundsteuern im Ausland oft kommunale Leistungen wie die Müllabfuhr finanzieren, für die in Deutschland zusätzlich Gebühren erhoben werden. In der aktuellen Debatte geht es jedoch nicht um Grundsteuern, sondern um Steuern auf das Nettovermögen von Privathaushalten und Unternehmen. Nettovermögensteuern sind in fast allen Industrieländern in den letzten Jahren abgeschafft worden. Einige Schweizer Kantone erheben mit dieser Steuer noch nennenswerte Einnahmen, allerdings sind dafür die Einkommensteuern dort niedriger als anderswo. In Spanien und Norwegen gibt es ebenfalls noch Nettovermögensteuern, aber mit geringerem Aufkommen. Alle anderen OECD-Länder, auch Hochsteuerstaaten wie Dänemark und Schweden, verzichten auf diese Steuer. Damit ist klar: Mit der Einführung einer Nettovermögensteuer würde Deutschland einen Sonderweg beschreiten und sich von internationalen Steuertrends verabschieden. Das muss natürlich nicht falsch sein. Aber wenn man diesen Weg geht, sollte man dafür gute Gründe haben.

Kombination aus Vermögensteuer und Einkommensteuer führt zu hoher Gesamtbelastung

Betrachten wir einen mittelständischen Unternehmer, dessen Einkommen bei getrennter Veranlagung 300 000 Euro beträgt, so dass er den Bereich des Spitzensteuersatzes von knapp 47,5% inklusive Solidaritätszuschlag erreicht. Er ist Eigentümer eines selbst genutzten Einfamilienhauses, dessen Wert dem Freibetrag bei der Vermögensteuer entspricht. Er überlegt, mit Eigenkapital in Deutschland eine zusätzliche Produktionsstätte zu errichten. Wenn man annimmt, dass die Investition eine Rendite von 4% erwirtschaftet, dann ergibt sich daraus für den Unternehmer ein jährlicher Zuwachs des Bruttoeinkommens von 40 000 Euro. Dafür fallen Einkommensteuern in Höhe von 18 990 Euro an. Hinzu kommt Vermögensteuer – bei einem Steuersatz von einem Prozent wären das 10 000 Euro. Netto würden dem Unternehmer also 11 010 Euro verbleiben. Die Gesamtsteuerlast würde 72,5% des mit der Investition erzielten Bruttogewinns ausmachen. Die Nettovermögensteuer wirkt in diesem Beispiel wie eine Erhöhung des Grenzsteuersatzes um 25 Prozentpunkte. Diese Wirkung ist bei Projekten mit höherer Rendite kleiner. Aber selbst bei 8% Rendite würde die Vermögensteuer noch wie eine Steuererhöhung um mehr als 12 Prozentpunkte wirken.

Führt die Vermögensteuer zu einer „gerechten“ Steuerbelastung?

Ob man diese Steuerbelastung für gerecht hält, ist Geschmackssache. Sicherlich handelt es sich in dem Beispiel um einen Steuerzahler an der Spitze der Einkommensverteilung. Befürworter einer solchen Belastung werden außerdem darauf verweisen, dass es sich hier ‚nur‘ um eine Grenzbelastung handelt, also die zusätzliche Steuer, gemessen in Prozent des Einkommenszuwachses. Für die Frage, ob die Investition überhaupt durchgeführt wird, ist diese Grenzbelastung aber entscheidend. Wie wirkt sich die Steuer auf die durchschnittliche Belastung aus, also das Verhältnis aus dem gesamten Einkommen und den Steuern, die der Unternehmer insgesamt zahlt? Nehmen wir an, dass das bereits vorhandene Eigenkapital des Betriebs beispielsweise eine Million Euro beträgt. Darauf würden weitere 10 000 Euro Vermögensteuer anfallen. Die durchschnittliche Steuerbelastung des Gesamteinkommens steigt dann durch die Vermögensteuer von 42 auf 48% – also immer noch sehr deutlich.

Ausweichreaktionen und andere Probleme von Nettovermögensteuern

Wenn der Unternehmer seinen Wohnsitz in Deutschland hat, kann er der Steuer durch Verlagerung der Investition ins Ausland nicht entgehen. Bei ihm wäre auch Auslandsvermögen steuerpflichtig. Er kann der Steuer auch nicht dadurch entgehen, dass er sein Kapital auf dem Bankkonto lässt. Er müsste das Geld schon für Urlaubsreisen oder anderen Konsum ausgeben, es an seine Kinder verschenken, falls vorhanden, oder ins Ausland umziehen. Ob der Unternehmer in unserem Beispiel wegen der Vermögensteuer in Höhe von 20 000 Euro pro Jahr einen Umzug ins Ausland erwägen würde, mag man bezweifeln. Aber letztlich ist die Aussagekraft von Beispielen begrenzt. Viele Unternehmer haben weit mehr Kapital in ihren Betrieben gebunden, entsprechend stärker wäre die Belastung und der Anreiz, Investitionen zu unterlassen oder sogar abzuwandern.

Vier weitere Aspekte sprechen gegen Nettovermögensteuern und erklären, warum viele Länder sie abgeschafft haben.

  • Erstens erfordert sie eine genaue Durchleuchtung der Privatsphäre der Besteuerten. Schmuck, Gemälde, teure Teppiche, all das muss erfasst werden, um Steuervermeidung zu verhindern.
  • Zweitens müssen alle Vermögensgegenstände regelmäßig bewertet werden. Diese Bewertung ist zeitraubend, teuer und streitanfällig.
  • Drittens ist, wenn das Vermögen einmal vollständig erfasst ist, die Versuchung für die Politik groß, den Steuersatz stetig weiter zu erhöhen.
  • Viertens: Anders als bei der Einkommensteuer muss der Unternehmer die Vermögensteuer auch dann zahlen, wenn Verluste anfallen. Dem kann man entgegenhalten, dass die Ertragsunabhängigkeit der Vermögensteuer bessere Leistungsanreize setzt als die Einkommensteuer. Das würde aber nur dafür sprechen, die Einkommensteuer zu senken und sie durch Vermögensteuern zu ersetzen. Die Vermögensteuer draufzusatteln, vermindert Leistungsanreize.

Studien zeigen, dass sich Steuern in bestimmten Fällen stark auf die Wohnsitzwahl auswirken. Die vorliegenden Untersuchungen beziehen sich allerdings meistens auf Steuerpflichtige, die Profisportler, Künstler oder Spitzenwissenschaftler sind. Oder sie untersuchen die Wirkung steuerlicher Sonderregeln, die gezielt der Anwerbung ausländischer Fachkräfte dienen. Es geht also um Gruppen mit hoher Mobilitätsbereitschaft. Ob sich diese Ergebnisse auf andere Gruppen übertragen lassen, ist unklar. Dennoch ist zu bedenken, dass Steuern selbst bei begrenzter Mobilitätsbereitschaft Einzelner zu einer langfristigen Abwanderungsbewegung führen können. Viele gut gestellte Familien in Deutschland lassen beispielsweise ihre Kinder im Ausland ausbilden. Bei der Entscheidung, nach Deutschland zurückzukehren oder im Ausland zu arbeiten oder eine Firma zu gründen, wäre eine deutsche Vermögensteuer ein Argument, im Ausland zu bleiben – etwa in Österreich, wo weder Erbschaften noch Nettovermögen besteuert werden.

Starke Ausweichreaktionen bei ausländischen Investoren zu erwarten

Während heimische Steuerzahler ins Ausland umziehen müssten, um einer Vermögensteuer zu entgehen, können ausländische Investoren mit Aktivitäten in Deutschland leichter ausweichen. Sie können die Steuer vermeiden, indem sie Investitionen ins Ausland verlagern. Hier kann man mit erheblichen negativen Wirkungen auf Investitionen und Arbeitsplätze in Deutschland rechnen. Ähnliches gilt für größere und börsennotierte Kapitalgesellschaften, die in der Regel ausländische Aktionäre haben. Auf eine deutsche Vermögensteuer würden sie reagieren, indem sie Investitionen ins Ausland verlagern und die in Deutschland verbleibenden Aktivitäten stärker mit Schulden statt Eigenkapital finanzieren. Das ist leicht so gestaltbar, dass auf die ausländischen Aktivitäten keine inländische Vermögensteuer anfällt.

Unterm Strich: Weniger Wachstum und weniger Steuereinnahmen statt mehr

Im Jahr 2017 hat das ifo Institut eine modellbasierte Analyse der Einführung verschiedener Varianten von Vermögensteuern in Deutschland vorgelegt. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass eine Vermögensteuer in Höhe von 1%, mit einem Freibetrag in Höhe von einer Million Euro aber ohne weitere Ausnahmen ein Steueraufkommen von 17 Milliarden Euro pro Jahr erwirtschaften würde. Gleichzeitig würden die Unternehmen ihre Investitionen deutlich reduzieren, das Wachstum würde zurückgehen. Nach einer Übergangszeit von acht Jahren wäre die Wirtschaftsleistung in Deutschland um 6% niedriger als ohne die Steuer, das Aufkommen aus Einkommen- und Konsumsteuern würde ebenfalls sinken. Per saldo wäre das Steueraufkommen geringer. Die Ergebnisse derartiger Simulationsstudien müssen kritisch und im Lichte der zugrunde gelegten Annahmen betrachtet werden. Eine wichtige Prämisse dieser Studie liegt darin, dass die Einnahmen aus der Vermögensteuer nicht investiv, sondern konsumtiv verwendet werden. Bei investiver Verwendung zumindest eines Teils der Steuereinnahmen würde die Bilanz besser aussehen, aber dass die negativen Wachstumseffekte ganz verschwinden, ist unwahrscheinlich. Die Studie betrachtet als Variante eine Vermögensteuer, die Immobilien stärker belastet als Betriebsvermögen. Das reduziert die Wachstumseinbußen, aber auch die Umverteilungseffekte.  

Erfahrungen anderer europäischer Länder

Neben derartigen Simulationsstudien, die Effekte hypothetischer Steuerreformen abschätzen, gibt es empirische Analysen zu den Wirkungen existierender Vermögensteuern. Eine Studie über die Schweiz kommt zu dem Ergebnis, dass eine einprozentige Vermögensteuer das deklarierte Vermögen um 23 bis 34% reduziert. Es gibt also eine massive Kapitalflucht. In Dänemark wurde der Spitzensatz der Vermögensteuer 1989 von 2,2 auf 1% gesenkt. 1997 wurde sie ganz abgeschafft. Die Senkung von 2,2 auf 1% steigerte das deklarierte Vermögen in der betroffenen Gruppe innerhalb von acht Jahren um 30%. Schweden hatte bis 2007 eine Vermögensteuer. Auch dort reagierten die Steuerzahler massiv auf die Abschaffung der Vermögensteuer. Es gibt aber auch Studien, die nur schwache Ausweichreaktionen finden. Man kann davon ausgehen, dass es sich bei den beobachteten Vermögensänderungen um eine Mischung aus realen Veränderungen bei der Kapitalbildung und Steuergestaltungsmaßnahmen wie etwa die Verlagerung von Aktiva in steuerlich begünstigtes Betriebsvermögen handelt. Die beobachteten Effekte sind stark von der jeweiligen Ausgestaltung und Durchsetzung der Vermögensteuer abhängig und deshalb nicht ohne weiteres auf Deutschland übertragbar.

Dass eine umfassende Vermögensteuer für Deutschland erhebliche negative Auswirkungen auf Investitionen und Arbeitsplätze haben könnte, bestreiten im Übrigen auch Befürworter der Steuer nicht. Die SPD schlägt deshalb vor, für Betriebsvermögen analog zur Erbschaftsteuer Ausnahmen vorzusehen. Das hat den Haken, dass die meisten großen Vermögen in Deutschland nun einmal Anteile an Unternehmen sind. Werden sie verschont, mutiert die Vermögensteuer zu einer Steuer auf mittelständische Unternehmer und Freiberufler, die für ihre Altersvorsorge Immobilienvermögen aufgebaut haben. Damit würden die Ungerechtigkeiten, die derzeit die Erbschaftsteuer in Deutschland auszeichnen, ausgeweitet. Es könnte keine Rede mehr davon sein, dass die Nettovermögensteuer die ‚Multimillionäre‘ in Deutschland trifft.

Fazit: Gerechtere Vermögensverteilung über andere Wege erreichen

Die Frage, ob mehr für eine faire Verteilung von Steuerlasten und eine ausgeglichenere Vermögensverteilung in Deutschland getan werden kann, ist berechtigt. Eine Nettovermögensteuer ist aber keine überzeugende Antwort. Deutschland würde einen steuerpolitischen Sonderweg einschlagen. Dieser signalisiert heimischen wie ausländischen Investoren, Deutschland zu meiden. Eine begrenzte Umverteilung würde mit dem Risiko erheblicher Wachstumseinbußen erkauft. Die negativen Wachstumseffekte kann man dämpfen, indem man Betriebsvermögen von der Besteuerung ausnimmt. Dann hat man aber eine hochgradig unfaire Steuer, bei der Steuerzahler mit ähnlichem Vermögen sehr unterschiedlich behandelt werden. Außerdem öffnet man Steuervermeidungsstrategien Tür und Tor. Angesichts einer seit vielen Jahren steigenden Steuereinnahmenquote und fallenden Zinsausgaben ist die These, der Staat benötige höhere Einnahmen, nicht sonderlich überzeugend. Angesichts der negativen Wachstumswirkungen wäre ohnehin zweifelhaft, ob der Staat am Ende höhere Einnahmen hätte.

Gibt es bessere Instrumente, um zu einer gleichmäßigeren Vermögensverteilung zu kommen? Grundsätzlich haben einzelne und international stark integrierte Länder wie Deutschland nur begrenzte Möglichkeiten, Steuerzahler mit hohen Vermögen stärker zu belasten. Dennoch gibt es eine Reihe von Ansatzpunkten:

  • Man könnte die Einkommensteuer überprüfen im Hinblick darauf, Wertzuwächse bei nicht selbst genutzten Immobilien steuerlich besser zu erfassen.
  • In der Erbschaftsteuer sollte man die Privilegierung von Betriebsvermögen und selbst genutzten Immobilien abschaffen und einen einheitlichen, niedrigen Steuersatz in Höhe von beispielsweise 8% einführen. Dadurch würde die Existenz von mittelständischen Unternehmen nicht gefährdet.
  • Man könnte Vermögensbildung wirksamer als bisher fördern durch Ideen wie Mietkauf oder die derzeit diskutierte Einführung eines Bürgerfonds, der die außerordentlichen Finanzierungskonditionen des deutschen Staates nutzt, um für alle Bürger Vermögen zu bilden.

Clemens Fuest
Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft
Präsident des ifo Instituts


Erschienen unter dem Titel “Kosten und Nutzen einer deutschen Vermögensteuer“, in Frankfurter Allgemeine Zeitung, 4. Oktober 2019, S. 18.

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ifo Institut, München, 2019
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