Guest article

Was uns die Energiewende wirklich kosten wird

Karen Pittel und Hans-Martin Henning


Quelle:
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Online:

In aller Welt demonstrieren Schülerinnen und Schüler für mehr Klimaschutz, und während Hitzewellen, Dürren und Waldbrände Deutschland und Europa in Atem halten, legen die Bundestagsparteien trotz Sommerpause fast wöchentlich neue Klimakonzepte und Gutachten vor.

Der Energiesektor leistet den größten Beitrag zu den von Menschen verursachten Treibhausgasemissionen, in Deutschland wie global. So wird die Energiewende zum derzeit wichtigsten gesellschaftlichen Großprojekt Deutschlands. Ihr Ziel ist, die Treibhausgasemissionen drastisch zu reduzieren und damit einen Beitrag zum globalen Klimaschutz zu leisten. Konkret will Deutschland bis zum Jahr 2050 insgesamt 80 bis 95 Prozent weniger Treibhausgase ausstoßen als 1990, und jüngst hat Bundeskanzlerin Angela Merkel sogar verkündet, Deutschland solle bis 2050 treibhausgasneutral werden.

Soweit besteht, von wenigen Ausnahmen abgesehen, Konsens in Politik und Gesellschaft. Wenn es allerdings um die Kosten der Energiewende geht, gehen die Einschätzungen ebenso weit auseinander wie in der Frage, welches die wirksamsten politischen Instrumente für effizienten Klimaschutz sind. Beide Aspekte möchten wir einordnen. Wir stützen uns größtenteils auf Ergebnisse der Studie „Sektorkopplung – Optionen für die nächste Phase der Energiewende“, die die deutschen Wissenschaftsakademien in ihrem vom Bildungsministerium geförderten Projekt „Energiesysteme der Zukunft“ (Esys) erstellt haben.

Ansätze zur Berechnung der Kosten

Um Aussagen über die Kosten der Energiewende zu beurteilen, muss zunächst klar sein, welche Arten von Kosten einbezogen werden. Drei Abgrenzungen sind möglich. Diese zeigen nicht, wer die Kosten im Einzelnen trägt, sondern bilden die Höhe der Kosten für die ganze Gesellschaft ab. Allen drei Abgrenzungen ist gemein, dass die Klimaschutzziele erreicht werden. Dies wird mit einer Entwicklung verglichen, bei der heutige Politiken einfach fortgeschrieben werden (Business-As-Usual-Szenario).

In der ersten Betrachtung wird ermittelt, wie viele technische Komponenten und Infrastrukturen benötigt werden, um die Klimaziele zu erreichen. Dazu gilt es, alle Kosten von heute bis zum Jahr 2050 für jeden untersuchten Entwicklungspfad zu addieren. Dies umfasst Kosten für künftige Investitionen, notwendige Importe von Energieträgern, Betrieb und Wartung aller relevanten Anlagen und Systeme – vom Heizkessel im Keller bis zum Großkraftwerk – sowie für die Herstellung heimischer Energieträger wie Braunkohle und biomassebasierte Energieträger. Die Differenz aus Klimaschutzszenario und Business-As-Usual-Szenario beziffert die Mehrkosten und damit die Kosten der Energiewende, die wir in der Studie als „kumulative systemische Gesamtkosten“ bezeichnen.

Eine zweite, umfassendere Analyse berücksichtigt auch die volkswirtschaftlichen Wirkungen jeder Entwicklung. In dem Fall werden also auch die Folgen für die Wertschöpfung und die Beschäftigung beziffert. Diese Betrachtung ist allerdings äußerst komplex, da sie alle Teile der Volkswirtschaft einbezieht. Im Zuge der Energiewende neu entstehende Arbeitsplätze müssen ebenso betrachtet werden wie Arbeitsplätze, die aufgrund der Energiewende wegfallen. Neue Exportchancen in innovativen Branchen entstehen, während Exporte anderer Branchen möglicherweise schrumpfen. Versuche einer Gesamtabschätzung all dieser Folgen, die zudem vom Fortschritt der globalen Anstrengungen zum Klimaschutz abhängen, sind daher mit Vorsicht zu genießen.

Schließlich kann eine dritte, noch umfassendere Betrachtung erfolgen, in der auch Kosten einbezogen werden, die für die Gesellschaft entstehen, aber nicht Eingang in ökonomische Entscheidungen finden: sogenannte externe Kosten. Dies können beispielsweise Folgen des Klimawandels selbst sein. Die Kosten abzuschätzen, die aus dem Ausstoß einer Tonne CO2 langfristig global entstehen, ist natürlich schwierig. Schätzungen schwanken zwischen 40 Euro und 350 Euro, extreme Szenarien kommen auf noch höhere Werte. Trotz dieser Unsicherheiten müssen die Kosten mit einbezogen werden, um die Dimension des Problems zu begreifen. So ergäben sich aus den Treibhausgasemissionen Deutschlands allein im Jahr 2018 externe Kosten in Höhe von 35 bis 300 Milliarden Euro.

Die drei Definitionen zeigen die Komplexität der Fragestellung und die damit verbundene Unsicherheit der Ergebnisse, die mit jeder Erhöhung des Komplexitätsgrads steigt. In unserer Studie haben wir deshalb die erste Definition gewählt, auch wenn sie sowohl volkswirtschaftliche Effekte als auch externe Kosten nicht erfasst. Grundlage bildete eine umfangreiche mathematische Modellierung aller Verbrauchssektoren, aus der kostenoptimale Transformationspfade zu einem klimafreundlichen Energiesystem im Jahr 2050 ermittelt wurden. Natürlich gibt es vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten, weshalb wir unterschiedliche Ausprägungen verglichen haben – beispielsweise mit mehr oder weniger Wasserstoff und mehr oder weniger Batteriefahrzeugen.

Die wichtigsten Schlüsse aus den Modellrechnungen:

Die kumulativen systemischen Mehrkosten für die Energiewende bis 2050 liegen je nach Randbedingungen zwischen 500 Milliarden Euro und mehr als 3000 Milliarden Euro. Das entspricht pro Jahr im Durchschnitt 0,4 bis 2,5 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts aus dem Jahr 2018.

Die kumulativen systemischen Mehrkosten hängen wesentlich vom Klimaziel ab, je ambitionierter, desto höher. Zugleich spielen weitere Faktoren eine wichtige Rolle. So sinken die Kosten beispielsweise, wenn bisher nicht ausgeschöpfte Energieeffizienzpotentiale gehoben oder Kuppelstellen im Stromübertragungsnetz zu den Nachbarländern verstärkt ausgebaut werden.

Die mittleren CO2-Vermeidungskosten lassen sich aus dem Verhältnis der Mehrkosten zu den vermiedenen CO2-Emissionen errechnen. Sie liegen im günstigsten Fall bei rund 60 Euro je Tonne CO2, im ungünstigsten Fall können sie bis zu 400 Euro je Tonne betragen. Die berechneten Werte liegen also innerhalb der oben genannten Schadensschätzungen.

Der größte Anteil der Mehrkosten entfällt auf den Umbau des Energiesystems, also Investitionen in Anlagen und Infrastrukturen – von den Wandlern erneuerbarer Energien wie Sonne und Wind über den Ausbau der Netze bis zum Aufbau einer Ladeinfrastruktur für die Elektromobilität. Damit nicht genug: Auch der Gebäudesektor braucht neue Infrastrukturen, damit Gebäude umfassender energetisch saniert werden und die Wärmeversorgung durch mehr Wärmenetze und elektrische Wärmepumpen klimaschonend erfolgt.

Ist der Umbau erst einmal abgeschlossen, so belaufen sich die jährlichen kumulativen systemischen Kosten auf einen Wert, der ähnlich hoch liegt wie der heutige Wert zum Betrieb der Energieversorgung. Nach erfolgter Energiewende wäre demnach unsere Energieversorgung nicht teurer als heute.

Aus heutiger Sicht erscheinen diese Mehrkosten vielen astronomisch. In ihrer Größenordnung sind sie vergleichbar mit anderen gesellschaftlichen Großprojekten, zum Beispiel der Wiedervereinigung. Wie sich solche Großvorhaben in Wertschöpfung und Beschäftigung niederschlagen, ist – wie im Fall der Wiedervereinigung – in hohem Maße von der politischen Rahmensetzung abhängig.

Ökonomen plädieren in diesem Zusammenhang seit Jahren für die Einführung eines CO2-Preises. Technologieoffen ausgestaltet setzt er Anreize, den Ausstoß von Treibhausgasen dort zu verringern, wo dies am günstigsten ist. Auch die Ergebnisse der Esys-Studie wurden unter der Annahme der Technologieoffenheit berechnet. Eine Bevorzugung spezifischer Technologien hingegen würde die Gesamtkosten weiter erhöhen. So liegen die geschätzten Gesamtkosten bis 2050 in solchen Szenarien bis zu einer Billion Euro höher als im vergleichbaren technologieoffenen Szenario.

Das bisherige Abgabensystem entrümpeln

Zwar gibt es implizit schon verschiedene Abgaben, die den Ausstoß von Kohlendioxid in Deutschland bepreisen. Die fehlende Systematik setzt bisher allerdings in nahezu allen Sektoren nicht die notwendigen Anreize für eine effiziente Vermeidung der Emissionen. Durch die Ökosteuer werden beispielsweise Benzin und Diesel mit circa 60 Euro je ausgestoßener Tonne CO2 belastet, während beim Heizen privater Haushalte mit Erdöl nur 8 Euro je Tonne Kohlendioxid anfallen. Strom wird allein durch Stromsteuer, Emissionszertifikate und die Umlage für erneuerbare Energien (EEG-Umlage) mit fast 200 Euro je Tonne belastet. Grüner Strom muss in Zukunft jedoch viel stärker als bisher in den Sektoren Wärme und Verkehr eingesetzt werden, um die Klimaziele zu erreichen. Das aktuelle Steuersystem setzt dafür nicht die richtigen Anreize.

In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten wurde durch ein immer komplexeres System aus Ge- und Verboten, Standards und Subventionen versucht, die Anreize zu korrigieren. Im Ergebnis haben nicht nur Bürger, sondern auch Unternehmen Schwierigkeiten, den Überblick zu behalten. Unsicherheit über künftige Technologien wird so durch Unsicherheit über regulative Rahmenbedingungen ergänzt. Negative Folgen für das Investitionsklima sind absehbar.

Die Frage lautet, ob komplexe Aufgaben wie Energiewende und Klimaschutz ein ebenso komplexes System staatlicher Eingriffe erfordern. Durch die Myriaden von Eingriffen wird letztlich versucht, Marktpreise so zu korrigieren, dass der Fortschritt in die gewünschte Richtung geht. Die entstehenden Kosten sind dabei weit weniger überschaubar als von CO2-Preisen. Vielleicht liegt darin der politische Reiz eines überkomplexen Systems: Es verringert den gesellschaftlichen Widerstand. Es ist die gleiche Logik, mit der die Wirkungen einer CO2-Steuer präsentiert werden: Ein Liter Milch würde 3 Cent mehr kosten, ein T-Shirt 60 Cent mehr und so weiter. Solche Zahlen sind leichter verdaubar als die einfache Rechnung, dass jeder Deutsche im Durchschnitt 9,6 Tonnen CO2 im Jahr ausstößt. Multipliziert mit dem jeweiligen CO2-Preis ergibt sich ungefähr die durchschnittliche Belastung eines Bürgers. Bei einem CO2-Preis von 60 Euro wären das insgesamt knapp 600 Euro pro Jahr (dieser Wert beinhaltet alle Emissionen, auch die vom EU-Emissionshandel erfassten).

Inwieweit CO2-Preise zu einer Mehrbelastung für den Einzelnen führen, hängt davon ab, wie diese in das Steuer- und Abgabensystem integriert werden. Und natürlich davon, wie viele CO2-Emissionen jeder Einzelne verursacht – das ist gerade die Idee der Bepreisung, diesen Zusammenhang unmittelbar herzustellen.

Ein CO2-Preis, der dem geltenden System aus Steuern, Abgaben und Umlagen einfach übergestülpt wird, würde sein Ziel nur bedingt erreichen. Verzerrungen im Preissystem blieben bestehen, wenn auch auf höherem Niveau. Deshalb brauchen wir dringend eine grundlegende Reform des Systems. Das bedeutet auch, Instrumente wie die Stromsteuer oder die Energiesteuer zu reformieren und die Teile durch CO2-Preise zu ersetzen, die den Kosten der Treibhausgasemissionen zuzurechnen sind. Auf den ersten Blick mag dies schwieriger erscheinen als die reine Einführung von CO2-Preisen. Auf den zweiten Blick könnte es die Akzeptanz der Reform aber durchaus erhöhen. Es geht eben nicht (nur) darum, Haushalte und Unternehmen stärker zu belasten, sondern ihnen die richtigen Signale zu senden.

Ob diese Signale durch eine CO2-Steuer oder einen Zertifikatehandel generiert werden, ist letztlich eine Entscheidung der Politik. Eine Ausweitung des EU-Emissionshandelssystems auf Gebäude und Verkehr schaffte einheitliche CO2-Preise in Europa. Die schrittweise Abschmelzung der ausgegebenen Zertifikate ließe die Emissionsziele sicher erreichen.

Den europäischen Emissionshandel auszuweiten, erscheint aber eher mittelfristig realistisch. Kurzfristig sollte Deutschland daher, möglichst in Kooperation mit Nachbarländern, einen eigenen Weg wählen. Die Einführung einer einheitlichen CO2-Steuer auf Emissionen außerhalb des Emissionshandels bei gleichzeitiger Reform des Steuer- und Abgabensystems wäre eine Möglichkeit. Das schließt nicht aus, in der EU weiter auf die Ausweitung des Emissionshandels hinzuwirken. Dass eine Einbeziehung von beispielsweise Verkehrsemissionen in den Emissionshandel möglich ist, zeigen Handelssysteme wie in Kalifornien.

Wie hoch ein wirksamer CO2-Preis sein sollte

Wie erläutert, sollte der CO2-Preis nach ökonomischer Logik zwischen 40 Euro und 350 Euro liegen. Zugegeben: Diese weite Spanne ist nur bedingt hilfreich. In der Realität ist der Preis eine (wirtschafts-)politische Entscheidung, die vielfach von Ängsten über Wettbewerbsfähigkeit und Ausweichreaktionen getrieben wird. Sind diese Ängste berechtigt? Nun, viele der nicht vom EU-Emissionshandel erfassten Emissionen könnten einem CO2-Preis nur schwer ausweichen: Zwar könnten einige Autofahrer jenseits der Grenze tanken. Ein Haushalt, der Erdgas zum Heizen kauft, wird bei steigenden Erdgaspreisen aber kaum ins Ausland abwandern.

Was einerseits gewollt ist, kann andererseits zu sozialen Härten führen. Selbst wenn CO2-Preise von der Senkung anderer Steuern begleitet werden, können veränderte Preisstrukturen Einzelne stark belasten. Eine Pro-Kopf-Rückverteilung steuerlicher Mehreinnahmen, wie sie das Bundesumweltministerium befürwortet, würde zwar im Durchschnitt zu einer Entlastung einkommensschwacher Gruppen beitragen, aber nicht allen Härtefällen gerecht werden. Härtefälle sollten aber nicht das Instrument der CO2-Bepreisung infrage stellen, sondern durch Maßnahmen der Sozialpolitik aufgefangen werden.

Die direkte Rückverteilung der Einnahmen an die Bürger hat den Vorteil, dass es unproblematisch wäre, wenn die Einnahmen aus den CO2-Preisen bei rückläufigen Emissionen sinken. Da die Bürger entsprechend weniger belastet würden, muss die Erstattung nicht so hoch sein. Würden Einnahmen aus CO2-Preisen jedoch genutzt, um etwa die Umsatz- oder Einkommensteuer zu senken, wäre ein Einnahmenrückgang problematischer.

Zum Schluss sei betont, dass CO2-Preise allein nicht selig machen werden. Einige der für den Klimaschutz benötigten Technologien sind zwar schon etabliert, andere stehen aber erst am Anfang ihrer Markteinführung und Lernkurve. Um langfristige und kostspielige Pfadabhängigkeiten zu vermeiden, muss hier rechtzeitig in Infrastruktur und Technologieentwicklung investiert werden. Das Henne-Ei-Problem der Elektromobilität und Ladeinfrastruktur zeigt dies deutlich. Entsprechend können wir auf ergänzende Maßnahmen in der Infrastruktur und Forschungsförderung nicht verzichten.

Die Subventionen sollten aber regelmäßig auf Wirksamkeit und Notwendigkeit überprüft werden. Um es mit den Worten des Harvard-Ökonomen Dani Rodrik auszudrücken: „Government agencies need to be embedded in, but not in bed with, business.“ Eine Konzentration auf bestimmte Technologien wird nicht immer zu vermeiden sein. Sie ist teilweise geboten, um rechtzeitig Anreize für Investitionen zu setzen. Die Kunst wird sein, hier nicht zu früh und nicht zu spät zu handeln. Fehler (auch kostspielige) werden da nicht immer ausbleiben.

Die Debatte zeigt: Über die Notwendigkeit eines ambitionierten Klimaschutzes besteht immer breiterer Konsens. Und auch im Hinblick auf die Verwirklichung wächst die Überzeugung, dass die Klimaschutzziele nur mit einer Bepreisung von CO2-Emissionen als übergreifendem Steuerungselement effizient erreicht werden können. Die Bundesregierung ist gefordert, dafür jetzt die notwendigen Schritte einzuleiten.

Contact
Harald Schultz

Harald Schultz

Press Officer
Tel
+49(0)89/9224-1218
Fax
+49(0)89/907795-1218
Mail
Prof. Dr. Karen Pittel

Prof. Dr. Karen Pittel

Director of the ifo Center for Energy, Climate, and Resources
Tel
+49(0)89/9224-1384
Fax
+49(0)89/985369
Mail