ifo Konjunkturprognose

ifo Konjunkturprognose Herbst 2022: Inflation würgt privaten Konsum ab – deutsche Konjunktur vor hartem Winter

Die deutsche Konjunktur kühlt kräftig ab. Die hohen Inflationsraten lassen die realen Einkommen der privaten Haushalte sowie deren Ersparnisse dahinschmelzen und reduzieren ihre Kaufkraft. Das Bruttoinlandsprodukt wird in diesem Jahr noch um 1,6% zulegen und dann im kommenden Jahr um 0,3% schrumpfen. Die Inflationsrate wird in diesem Jahr bei durchschnittlich 8,1% liegen und im kommenden Jahr auf 9,3% steigen. Ihren Höhepunkt wird sie voraussichtlich im ersten Quartal 2023 mit etwa 11% erreichen. Im Jahr 2024 wird sich die Konjunktur allmählich wieder normalisieren. Die Wirtschaftsleistung dürfte mit 1,8% zulegen und die Inflationsrate auf 2,4% sinken.

Lage der deutschen Wirtschaft

Nach einem kräftigen Jahresauftakt kühlt sich die deutsche Wirtschaft seit dem Sommer ab. Die hohen Inflationsraten lassen die realen Einkommen der privaten Haushalte sowie deren Ersparnisse dahinschmelzen und reduzieren ihre Kaufkraft. Zwar konnten viele konsumnahe Dienstleistungsbereiche noch vom Ende der Omikron-Welle profitieren und ihre Umsätze bis in den Mai hinein kräftig ausweiten. Allerdings machte sich auch dort zunehmend die Kaufzurückhaltung der Konsument*innen bemerkbar, die im Einzelhandel bereits seit dem Frühjahr ihre Spuren hinterlassen hat. Im Einklang damit trübte sich das Geschäftsklima in den konsumnahen Bereichen zuletzt deutlich ein.

Das Verarbeitende Gewerbe erfuhr im Sommer ebenfalls einen Dämpfer. Zum einen behindern anhaltende Lieferschwierigkeiten bei Rohstoffen und Vorprodukten die Produktion. Zum anderen leidet die Nachfrage unter den hohen Preisen und der globalen Konjunkturabschwächung. Die rückläufigen Auftragseingänge dürften jedoch zu keinem nennenswerten Einbruch in der Produktion geführt haben, da die Auftragsbücher der Unternehmen immer noch weit überdurchschnittlich gut gefüllt sind. Wohl auch deshalb verschlechterte sich das Geschäftsklima in der Industrie und den industrienahen Dienstleistungsbereichen in den vergangenen Monaten nur geringfügig. Bei der Baukonjunktur zeichnet sich hingegen ein deutlicher Abschwung ab. Neben den hohen Baukosten dürfte dazu vor allem die Zinswende, die zusätzlich die Finanzierungskosten in die Höhe treibt, ihren Beitrag geleistet haben. Deutlich gestiegene Auftragsstornierungen und rückläufige Neuaufträge ließen das Geschäftsklima im Baugewerbe seit März so stark sinken wie zuletzt während der Weltfinanzkrise im Jahr 2008.

Prognose der deutschen Wirtschaft

Insgesamt wird sich die konjunkturelle Abkühlung fortsetzen. Während die Wirtschaftsleistung im dritten Quartal 2022 noch stagnieren dürfte, wird sie in den beiden Quartalen des Winterhalbjahres voraussichtlich um 0,2 bzw. 0,4% schrumpfen. Ausschlaggebend hierfür dürfte ein Rückgang der privaten Konsumausgaben sein. Da die Energieversorger vor allem zu Jahresbeginn 2023 ihre Strom- und Gaspreise spürbar an die hohen Beschaffungskosten anpassen werden, wird die Inflationsrate im ersten Quartal 2023 mit etwa 11% voraussichtlich ihren Höhepunkt erreichen. Damit werden die realen Haushaltseinkommen kräftig zurückgehen und die Kaufkraft spürbar sinken. Die Maßnahmen der Bundesregierung aus dem Entlastungspaket III dürften diesem Rückgang zwar etwas entgegenwirken, ihn aber bei weitem nicht ausgleichen. Im weiteren Verlauf des kommenden Jahres schwächt sich der Preisanstieg allmählich ab. Dabei wird angenommen, dass Gas im Winter in ausreichendem Umfang zur Verfügung steht. Deshalb sollten die Energiepreise nicht weiter steigen und spätestens ab dem Frühjahr 2023 wieder sinken. Die Kerninflationsrate dürfte zunächst noch hoch bleiben, auch weil sich der Anstieg der Lohnzahlungen mit dem Abschluss neuer Tarifverträge allmählich beschleunigen wird. Gleichzeitig dürften aber die realen Haushaltseinkommen ab Jahresmitte 2023 wieder steigen, was die Konsumkonjunktur beleben wird.

„Die Kürzungen der Gaslieferungen aus Russland im Sommer und die dadurch ausgelösten drastischen Preissteigerungen verhageln die wirtschaftliche Erholung nach Corona. Erst 2024 erwarten wir eine Normalisierung mit 1,8% Wachstum und 2,4% Inflation.“

Prof. Dr. Timo Wollmershäuser, Stellvertretender Leiter des ifo Zentrums für Makroökonomik und Befragungen und Leiter Konjunkturprognosen

Das Verarbeitende Gewerbe wird die hohen Auftragsbestände in den kommenden Quartalen allmählich abarbeiten und dabei seine Produktion langsam ausweiten. Dabei wird unterstellt, dass die Lieferengpässe zwar weiterhin behindern, im Zuge der globalen Konjunkturabkühlung aber allmählich nachlassen. Auch wird angenommen, dass es während des Winters zu keiner Gasmangellage kommt, die mit einer Rationierung der Gasversorgung bei Industrieunternehmen einhergehen würde. Somit stützen das Verarbeitende Gewerbe und die damit verflochtenen Unternehmensdienstleister die Konjunktur im Prognosezeitraum. Bremsend wirkt hingegen die Bauwirtschaft, die am unmittelbarsten unter den rasch steigenden Finanzierungskosten leiden dürfte. Bis Ende kommenden Jahres wird in der vorliegenden Prognose mit Leitzinsanhebungen auf 4% gerechnet.

Eckdaten der Prognose für Deutschland

  2021 2022 2023 2024
Bruttoinlandsprodukt (Veränderung gegenüber Vorjahr in %) 

2,6 

1,6 -0,3 1,8
Erwerbstätige (1.000 Personen) 44.980 45.534 45.634 45.710
Arbeitslose (1.000 Personen) 2.613 2.417 2.470 2.358
Arbeitslosenquote (in % der zivilen Erwerbspersonen) 5,7 5,3 5,4 5,1
Verbraucherpreise (Veränderung gegenüber Vorjahr in %) 3,1 8,1 9,3 2,4
Lohnstückkosten (Veränderung gegenüber Vorjahr in %) 0,7 3,3 6,2 4,0
Finanzierungssaldo des Staates 2021 2022 2023 2024
 - in Mrd. EUR -134,3 -71,2 -48,0 -64,6
 - in % des Bruttoinlandsprodukts -3,7 -1,8 -1,2 -1,5
Leistungsbilanzsaldo 2021 2022 2023 2024
 - in Mrd. EUR 265,0 181,0 240,9 270,0
 - in % des Bruttoinlandsprodukts 7,4 4,7 5,9 6,3

Quelle: Statistisches Bundesamt; Bundesagentur für Arbeit; Deutsche Bundesbank; 2022 bis 2023: Prognose des ifo Instituts
© ifo Institut Sept. 2022

Alles in allem wird das preisbereinigte Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr um 1,6% zulegen und im kommenden Jahr um 0,3% schrumpfen. Die Inflationsrate wird in diesem Jahr bei durchschnittlich 8,1 Prozent liegen und im kommenden Jahr auf 9,3 Prozent steigen. Im Vergleich zur ifo Konjunkturprognose Sommer 2022 wurden damit insbesondere für das kommende Jahr die Wachstumsprognose deutlich um 4,0 Prozentpunkte herabgesetzt und die Inflationsprognose kräftig um 6,0 Prozentpunkte angehoben. Im Zuge der konjunkturellen Abkühlung wird sich der Beschäftigungsaufbau vorübergehend verlangsamen. Der Anstieg der Arbeitslosen um gut 50 000 Personen im kommenden Jahr geht jedoch vor allem auf den sprunghaften Anstieg der arbeitslosen ukrainischen Staatsbürger*innen im Sommer 2022 zurück, die im Prognosezeitraum nur allmählich in den Arbeitsmarkt integriert werden. Im Jahr 2024 wird sich die Konjunktur allmählich wieder normalisieren. Die Wirtschaftsleistung dürfte mit 1,8% zulegen, die Inflationsrate auf 2,4% sinken und die Arbeitslosigkeit wieder zurückgehen. Der Staatshaushalt wird in diesem und in den kommenden beiden Jahren weiterhin mit durchschnittlich 1,5% der Wirtschaftsleistung im Defizit bleiben. Die Entlastungspakete, die steigenden Zinsausgaben und die konjunkturelle Abkühlung verschieben bis bislang erwartete Konsolidierung der Staatsfinanzen auf die lange Bank.

Risiken für die Prognose

Die Risiken für die vorliegende Prognose sind vielfältig. Vor allem könnten sich die Annahmen über den weiteren Verlauf der Energiepreise und deren Überwälzung durch die Energieversorger an die Verbraucher*innen als falsch herausstellen. Dadurch könnten die Kaufkraftverluste der Haushalte mehr oder weniger groß ausfallen und die Konsumkonjunktur einen anderen Verlauf nehmen. Hierbei spielt auch eine Rolle, in welcher Form der Staat in das Preisgeschehen eingreift. So ist zum Beispiel die im Entlastungspaket III anvisierte Strompreisgrenze sowie die Bezuschussung der Stromnetzentgelte noch nicht in der Prognose berücksichtigt, da die konkrete Ausgestaltung der Maßnahmen zum Zeitpunkt der Prognoseerstellung zu ungenau war. Dies dürfte den Preisanstieg abmildern und damit konjunkturstützend wirken. Allerdings könnten die Energiepreise auch weiter steigen, weil das Gasangebot im Winter doch zu knapp wird. Neben höheren Kaufkraftverlusten und einer stärkeren Konsumeinschränkung dürfte es zusätzlich zu Produktionsrückgängen in der Industrie kommen, falls Gas rationiert werden müsste.

Unklar ist zudem, wie die privaten Haushalte auf die hohen Preisanstiege und die damit einhergehenden Liquiditätsengpässe reagieren. In der vorliegenden Prognose wurde unterstellt, dass sie ihr verfügbares Haushaltseinkommen vorübergehend durch eine verringerte Sparneigung anheben werden. Dies kann etwa dadurch erreicht werden, dass ein geringerer Betrag aus den monatlichen Einkommen zurückgelegt, bestehendes Finanzvermögen aufgelöst oder die Neuverschuldung erhöht wird. Dabei wurde angenommen, dass die Sparquote auf 8% in der ersten Jahreshälfte 2023 und damit deutlich unter den Mittelwert der Jahre vor der Corona-Krise von etwa 10,5% sinkt. Auf das Jahr 2023 insgesamt gerechnet entsteht dadurch zusätzliche Kaufkraft in Höhe von knapp 40 Mrd. Euro, wodurch die realwirtschaftlichen Auswirkungen des Preisschocks in der Prognose spürbar abgemildert werden. Aus den Erfahrungen mit den Folgen der beiden Ölpreiskrisen in den 1970er und 1980er Jahren kann ein solcher Rückgang der Sparneigung jedoch nicht unmittelbar abgeleitet werden. Vielmehr wurde damals in Zeiten hoher Inflation von den privaten Haushalten ein zunehmender Anteil des Einkommens beiseitegelegt, möglicherweise aus einem Vorsichtsmotiv heraus. Zwar ist die Unsicherheit heute auch groß, allerdings erscheint aus anderen Motiven heraus ein Rückgang der Sparneigung nicht unplausibel. So ist der Kaufkraftverlust, gemessen am Rückgang der realen Pro-Kopf-Löhne in diesem und im kommenden Jahr (um jeweils etwa 3%), so hoch wie nie zuvor seit dem Beginn der heutigen Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen im Jahr 1970. Ähnliches gilt für die Entwertung der Ersparnis, die gemessen am kurzfristigen Realzins mit durchschnittlich etwa −6% in diesem und im kommenden Jahr einen Rekordtiefstand erreicht.

Schließlich bestehen auch im Hinblick auf die Annahmen bezüglich der Lieferkettenproblematik und dem weiteren Verlauf der Corona-Pandemie Risiken. So ist nicht ausgeschlossen, dass sich das Infektionsgeschehen ab dem Herbst wieder beschleunigt und gefährlichere Virusvarianten auftreten, die neuerliche Einschränkungen des öffentlichen Lebens nach sich ziehen und damit die Konsumkonjunktur zusätzlich belasten. Auch könnten dadurch erneut die globalen Lieferketten und die Produktion in Deutschland gestört werden.

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Prof. Dr. Timo Wollmershäuser

Prof. Dr. Timo Wollmershäuser

Stellvertretender Leiter des ifo Zentrums für Makroökonomik und Befragungen und Leiter Konjunkturprognosen
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