Ökonomenpanel von ifo und FAZ

Zum Vorschlag der Wirtschaftsweisen: Mehrheit der Ökonom*innen für höheren „Reichensteuersatz“ und Abbau der Kalten Progression

Die Energiekrise in Folge des russischen Angriffskriegs und die damit einhergehenden Preisanstiege belasten die deutsche Wirtschaft und Bevölkerung. Die Entlastungspakete der Bundesregierung können die Wucht der Krise zwar abfedern, doch verschärfen sie zugleich die bereits mit der Covid-19-Pandemie eingesetzte Belastung der öffentlichen Haushalte. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung schlug deswegen in seinem Jahresgutachten  vom 9. November 2022 eine temporäre Erhöhung des Spitzensteuersatzes, die Einführung eines Energie-Solidaritätszuschlags für Spitzenverdienende sowie eine Verschiebung des Abbaus der Kalten Progression  vor. Das 41. Ökonomenpanel von ifo und FAZ widmet sich den Vorschlägen des Sachverständigenrats zur Steuerpolitik. Die Umfrage, an der 153 VWL-Professor*innen teilnahmen, fand vom 16. November bis zum 23. November 2022 statt.

Die Sachverständigen führen aus, dass eine Gegenfinanzierung der Entlastungen in Form von einer temporären Erhöhung des Spitzensteuersatzes sowie der Einführung eines Energie-Solidaritätszuschlags für Spitzenverdienende der fiskalische Impuls und somit die Inflationswirkung der Entlastungen begrenzt werden. Außerdem seien die Entlastungspakete insofern wenig zielgenau als sie auch Besserverdienenden zugutekommen. Die Einkommensteuererhöhung soll das neutralisieren. Der Sachverständigenrat geht zudem davon aus, dass durch eine zeitliche Begrenzung negative Wachstumseffekte überschaubar blieben. Sie fordern überdies, dass in Folge der breit angelegten und somit kostenintensiven Entlastungen, von denen auch Haushalte mit höherem Einkommen profitierten, der Abbau der Kalten Progression verschoben werden solle.

Ökonom*innen präferieren Reduzierung der öffentlichen Ausgaben

Mit Blick auf die erhöhte Belastung der öffentlichen Haushalte infolge der Covid-19-Pandemie und des russischen Angriffskriegs befürworten 52% der Ökonom*innen eine Reduktion der öffentlichen Ausgaben. Demgegenüber sprechen sich 43% der Teilnehmenden für Steuererhöhungen aus. Eine ähnlich hohe Zustimmung findet mit 37% die Aussetzung der Schuldenbremse. Nur 6% befürworten das Einsetzen weiterer Extrahaushalte. 9% sind für eine Fortführung der gegenwärtigen Politik. 16% der Teilnehmenden unterstützen „andere“ Maßnahmen zur Entlastung der öffentlichen Haushalte wie Umschichtungen innerhalb des Haushaltes oder die konsequente Ausweitung des Energieangebots zur Überwindung der Krise. Mehrfachnennungen waren möglich.

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Temporäre Erhöhung des Spitzensteuersatzes spaltet Ökonom*innen

Der Vorschlag des Sachverständigenrates den Spitzensteuersatz temporär zu erhöhen, spaltet die Ökonom*innen in zwei etwa gleich große Gruppen. 52% lehnen den Vorschlag ab, 46% unterstützen ihn. Nur 2% sind unentschlossen. Der Spitzensteuersatz greift im Jahr 2022 ab einem jährlich zu versteuernden Einkommen von rund 59.000 Euro und beträgt gegenwärtig 42%. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung spezifiziert im Jahresgutachten nicht, was er unter dem Begriff „Spitzensteuersatz“ versteht. Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) verwendet den Begriff für den Steuersatz von 42% auf jährlich zu versteuernde Einkommen über etwa 59.000 Euro (BMF, 2022). Insofern ist davon auszugehen, dass sich auch der Sachverständigenrat auf diese Definition bezieht. Befürworter*innen einer Anhebung argumentieren, dass so der Staatshaushalt entlastet werde. Zudem ergebe sich eine Umverteilung, die insbesondere notwendig sei, weil Spitzenverdienende nicht nur weniger von der Krise betroffen seien, sondern auch von den Entlastungsmaßnahmen profitiert hätten. Einige Teilnehmende sprechen sich für einen dauerhaft höheren Spitzensteuersatz aus, während andere die temporäre Natur der Erhöhung betonen. Kritiker*innen der Erhöhung verweisen auf die bereits heute hohe Steuerlast, das frühe Einsetzen des Spitzensteuersatzes und die wachstumshemmende Wirkung von Steuererhöhungen im Allgemeinen. Ein großer Teil der Ökonom*innen befürchtet, dass aus der temporären eine dauerhafte Steuererhöhung würde.

ifo Grafik, Ökonomenpanel, Steuern
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Temporäre Erhöhung des Spitzensteuersatzes wird mit fairer Lastenverteilung in der Krise verbunden

Von jenen Ökonom*innen, die eine temporäre Steuererhöhung für Spitzenverdienende unterstützen, geben 94% an, dass dies die Fairness der Lastenverteilung in der Krise verbessere, 64% sehen einen Beitrag zur Sanierung des Staatshaushalts und 47% glauben, dass so die Zielgenauigkeit der Energiehilfen verbessert werden könnte. Demgegenüber glaubt nur jeweils ein Viertel jener Ökonom*innen, die eine temporäre Steuererhöhung für Spitzenverdienende ablehnen, dass diese die Fairness der Lastenverteilung verbessere und ein Beitrag zur Sanierung des Staatshaushalts leiste. Dass Steuererhöhungen die Zielgenauigkeit von Energiehilfen verbessern würden, geben in dieser Gruppe nur 13% der Teilnehmenden an. Von den Befürworter*innen der temporären Steuererhöhung erwarten 11%, dass sie die Inflation senke. Von den Kritiker*innen teilen nur 6% diese Einschätzung. 13% der Teilnehmenden, die eine temporäre Steuererhöhung für Spitzenverdienende ablehnen, äußern die Sorge, dass diese die Rezession verschärfe. Von den Befürworter*innen befürchten das nur 2%.

ifo Grafik, Ökonomenpanel, Steuern
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Ökonom*innen fordern eine höhere Einkommensgrenze für den Spitzensteuersatz

92% der Ökonom*innen befürworten eine Anhebung der Einkommensgrenze über etwa 59.000 Euro, ab der im Jahr 2022 der Spitzensteuersatz von 42% zu zahlen ist. Mit dem vom Bundestag beschlossenen Inflationsausgleichsgesetz soll die Grenze im Jahr 2023 auf etwa 63.000 Euro und im Jahr 2024 auf etwa 67.000 Euro angehoben werden. Mit 75% bewertet die Mehrheit der Ökonom*innen auch diese Grenzwerte noch als zu niedrig. Für 31% der Teilnehmenden sollte der Spitzensteuersatz ab einem jährlich zu versteuernden Einkommen zwischen 70 000 Euro und 80.000 Euro beginnen, 28% befürworten eine Grenze zwischen 90.000 Euro und 100.000 Euro. Von 11% der Teilnehmenden werden Grenzen oberhalb von 100.000 Euro gefordert.

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Mehrheit lehnt Energie-Soli für Spitzenverdienende ab

Die Unterstützung für einen Energie-Solidaritätszuschlag für Spitzenverdienende fällt mit 40% etwas geringer aus als die Unterstützung für eine temporäre Erhöhung des Spitzensteuersatzes. 56% der Teilnehmenden lehnen eine solche Zusatzsteuer ab. Die Argumentationslinien sind ähnlich zur temporären Erhöhung des Spitzensteuersatzes. Auf der Seite der Befürworter*innen wird vergleichsweise häufig auf die Forderung verwiesen, dass in einer Krise stärkere Schultern eine größere Last tragen sollten. Kritiker*innen verweisen auf den Solidaritätszuschlag für den Aufbau Ost, der über Jahrzehnte fortgeführt wurde und heute eine intransparente Zusatzsteuer für Spitzenverdienende darstelle.

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Mehrheit für Erhöhung des „Reichensteuersatzes“

Ab einem jährlich zu versteuernden Einkommen von rund 278.000 Euro greift oberhalb des Spitzensteuersatzes der so genannten „Reichensteuersatz“ von 45%. Während eine Mehrheit der Ökonom*innen eine temporäre Erhöhung des Spitzensteuersatzes ablehnen, unterstützen 56% die Anhebung des Reichensteuersatzes. 39% sprechen sich sogar für eine dauerhafte Erhöhung aus. 32% unterstützen den Erhalt des Reichensteuersatzes in seinem aktuellen Umfang, während 12% eine vollständige Abschaffung befürworten. Ein Viertel der Teilnehmenden möchte den Reichensteuersatz temporär oder dauerhaft um mehr als drei Prozentpunkte anheben.

ifo Grafik, Ökonomenpanel, Steuern
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Große Mehrheit befürwortet das Inflationsausgleichsgesetz und lehnt eine Verschiebung ab

Mit 76% befürwortet eine große Mehrheit der Ökonom*innen das vom Bundestag beschlossene Inflationsausgleichsgesetz, das die Effekte der Kalten Progression entlang des Einkommensteuertarifs ausgleicht und so die Mehrbelastung von Bürger*innen in Folge hoher Inflation abfedert. Nur 12% der Teilnehmenden lehnen das Gesetz ab, 12% sind sich unsicher. Befürworter*innen betonen, dass der Staat nicht durch höhere Steuereinnahmen von der Inflation profitieren solle, während für Bürger*innen die reale Steuerlast steige. Während ein Teil der Teilnehmenden den Ausgleich für grundsätzlich überfällig hält, betont ein anderer Teil, dass die Entlastungen für niedrige und mittlere Einkommen durch höhere Steuern für Spitzenverdienende ausgeglichen werden sollten. Kritiker*innen des Inflationsausgleichsgesetzes verweisen auf den aktuell hohen Finanzierungsbedarf des Staates. Den Vorschlag des Sachverständigenrates, das Inflationsausgleichsgesetz temporär zu verschieben, lehnen 57% der Ökonom*innen ab. Sie befürchten, dass aus einer temporären eine dauerhafte Verschiebung werde. Nur 24% unterstützen den Vorschlag und begründen dies unter anderem mit einer Ausnahmesituation, in der die Staatsfinanzen Priorität hätten. Rund 19% sind sich unsicher.

ifo Grafik, Ökonomenpanel, Steuern
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Zwei Drittel der Ökonom*innen unterstützen Tarif auf Rädern

67% der Teilnehmenden sprechen sich für eine automatische Angleichung des Einkommensteuertarifs an die Inflationsentwicklung aus. Sie begründen das damit, dass sich das Steuersystem an realen Einkommen ausrichten solle, versteckte Steuererhöhungen so entfielen und der Staat nicht zum Inflationsgewinner würde. Zudem würde damit die wiederkehrende Diskussion über die Kalte Progression von der politischen Tagesordnung fallen und der Fokus könne auf andere Fragen der Steuerpolitik gelegt werden. 26% sind gegen eine solche Regelung. Sie wenden zum Beispiel ein, dass das Risiko der Inflation ohne die Kalte Progression unterschätzt würde, die Messung der Inflation problematisch sei und das Parlament die Entscheidungshoheit behalten solle.

ifo Grafik, Ökonomenpanel, Steuern
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Aufsatz in Zeitschrift
Sebastian Blesse, Klaus Gründler, Philipp Heil, Sarah Necker, Niklas Potrafke, Marcel Schlepper, Timo Wochner
ifo Institut, München, 2023
ifo Schnelldienst, 2023, 76, Nr. 1, 49-53
Kontakt
Prof. Dr. Niklas Potrafke

Prof. Dr. Niklas Potrafke

Leiter des ifo Zentrums für öffentliche Finanzen und politische Ökonomie
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+49(0)89/9224-1319
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+49(0)89/907795-1319
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