ifo Konjunkturprognose

ifo Konjunkturprognose Winter 2022: Inflation und Rezession

Die deutsche Wirtschaft leidet unter gewaltigen Angebotsschocks. Engpässe bei Energie, Vorprodukten und Arbeitskräften belasten die Produktion und treiben die Inflation auf Rekordhöhen. Erst im Jahr 2024 dürfte der Preisdruck langsam nachgeben. Das Bruttoinlandsprodukt wird im Winterhalbjahr 2022/23 schrumpfen und die deutsche Wirtschaft damit in eine Rezession geraten. Ab dem Frühjahr 2023 dürfte sich die Konjunktur dann erholen und die Wirtschaft in der zweiten Jahreshälfte mit kräftigeren Raten zulegen, wenn die Einkommen wieder stärker steigen als die Preise. Alles in allem wird das Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr um 1,8% zunehmen und im kommenden Jahr geringfügig um 0,1% schrumpfen. Im Jahr 2024 liegt der Zuwachs dann wieder bei 1,6%.

Deutsche Wirtschaft leidet unter Angebotsschocks

Engpässe bei der Versorgung mit Energie, Schwierigkeiten bei der Lieferung von Rohstoffen, Vorprodukten und Handelswaren, sowie ein sich verschärfender Arbeitskräftemangel belasten die Herstellung von Waren und Dienstleistungen in nahezu allen Wirtschaftsbereichen. Dadurch werden nicht nur die Produktionsmöglichkeiten eingeschränkt, sondern auch die Produktionskosten als Folge der angebotsseitigen Knappheiten in die Höhe getrieben. Gleichzeitig ist die Nachfrage nach Waren und Dienstleitungen noch kräftig. Insgesamt sind somit die Produktionskapazitäten der deutschen Wirtschaft, die durch die Angebotsschocks reduziert wurden, nach Einschätzung der vom ifo Institut befragten Unternehmen seit Jahresbeginn überausgelastet. Damit stiegen die Preise nicht nur, weil sich Energie, Rohstoffe und Vorprodukte, die Deutschland größtenteils aus dem Ausland importiert, spürbar verteuerten. In einigen Wirtschaftsbereichen stiegen sie auch, weil eine hohe Nachfrage eine Ausweitung der Unternehmensgewinne ermöglichte. 

Inflationsrate zurückläufig

Die Inflationsrate dürfte in den kommenden Monaten zurückgehen. Dafür sorgen die staatlichen Strom- und Gaspreisbremsen, die ab Dezember ihre Wirkung entfalten. Dennoch wird der heimische Inflationsdruck noch eine Weile hoch bleiben. Zum einen wird die Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen auch im kommenden Jahr nicht zuletzt als Folge der breit angelegten staatlichen Entlastungspakete gestützt. Zum anderen dürften hohe Tarifabschlüsse sowohl die Kaufkraft als auch die Lohnkosten merklich steigern. Insgesamt dürfte die Inflationsrate von 7,8% in diesem Jahr auf 6,4% im kommenden Jahr sinken. Gleichzeitig wird die Kernrate voraussichtlich von 4,8% auf 5,8% steigen.

Konjunkturelle Entwicklung von unterschiedlichen Kräften geprägt

Der hohe Preisauftrieb wird vor allem im Winterhalbjahr die verfügbaren Realeinkommen der privaten Haushalte sinken lassen und damit die Konsumkonjunktur abkühlen. Erst ab der zweiten Jahreshälfte dürften die Einkommen im Verlauf wieder stärker zulegen als die Preise und damit der private Konsum an Fahrt aufnehmen. Auch die Baukonjunktur wird sich zunächst weiter abkühlen. Hohe Baupreise und steigende Zinsen lassen die Nachfrage nach Bauleistungen einbrechen. Das Verarbeitende Gewerbe dürfte dank der hohen Auftragsbestände seine Produktion weiter moderat ausweiten und dann mit dem allmählichen Auslaufen der Lieferengpässe wieder deutlich kräftiger expandieren.

Zusammengenommen wird die gesamtwirtschaftliche Leistung in den beiden Quartalen des Winterhalbjahres 2022/23 um 0,3% bzw. 0,4% gegenüber dem Vorquartal zurückgehen. Damit wird die deutsche Wirtschaft in eine technische Rezession geraten. Ab dem Frühjahr 2023 dürfte sich die Konjunktur dann wieder erholen und die Wirtschaft in der zweiten Jahreshälfte mit kräftigeren Raten zulegen. Alles in allem wird das Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr um 1,8% zunehmen und im kommenden Jahr geringfügig um 0,1% schrumpfen. Im Jahr 2024 liegt der Zuwachs dann wieder bei 1,6%.

„Insbesondere das 3. Quartal 2022 war mit + 0,4% viel besser als gedacht. In den beiden Quartalen des Winterhalbjahres 2022/23 schrumpft das Bruttoinlandsprodukt zwar, aber danach geht es wieder aufwärts.“

Prof. Dr. Timo Wollmershäuser, Stellvertretender Leiter des ifo Zentrums für Makroökonomik und Befragungen und Leiter Konjunkturprognosen

Konjunkturelle Abschwächung hinterlässt Spuren am Arbeitsmarkt

Der Beschäftigungsaufbau dürfte in den kommenden Monaten weitestgehend zum Erliegen und im weiteren Prognosezeitraum nur schleppend wieder in Gang kommen. Damit dürfte sich der Anstieg der Zahl der Erwerbstätigen von etwa 554.000 im Jahr 2022 auf 77.000 im Jahr 2023 und 80.000 im Jahr 2024 verlangsamen. Die Arbeitslosigkeit wird im kommenden Jahr voraussichtlich um 84.000 Personen steigen und im Jahr 2024 wieder um 117.000 sinken. In der Folge liegt die Arbeitslosenquote in den Jahren 2023 und 2024 bei 5,5% bzw. 5,3% nach 5,3% im laufenden Jahr. Auch die Kurzarbeit dürfte im Winterhalbjahr vorübergehend wieder ausgeweitet werden.

Expansive Finanzpolitik

Die Finanzpolitik ist in diesem und vor allem im kommenden Jahr deutlich expansiv ausgerichtet. Durch die zahlreichen Entlastungspakete wird das Finanzierungsdefizit des Staates von 68 Mrd. Euro bzw. 1,8% des nominalen Bruttoinlandsprodukts in diesem Jahr auf 104 Mrd. Euro bzw. 2,6% des Bruttoinlandsprodukts im kommenden Jahr deutlich zunehmen. Durch das Auslaufen der Preisbremsen im Jahr 2024 wird die Finanzpolitik dann restriktiv, und das Defizit sinkt auf 50 Mrd. Euro bzw. 1,2% des Bruttoinlandsprodukts.

Geldpolitik versucht, Rekordinflation zu zähmen

Die Europäische Zentralbank (EZB) reagierte zuletzt auf die anhaltend hohen Inflationsraten im Euro-Währungsgebiet mit kräftigen Leitzinserhöhungen. In den nächsten Monaten dürften weitere Zinsschritte folgen, die jedoch etwas schwächer ausfallen dürften als zuletzt. Der Zinssatz für Hauptrefinanzierungsgeschäfte wird bis Mitte 2023 voraussichtlich auf 4,0% steigen. Im Einklang mit der sich abschwächenden Inflationsrate dürften dann die Leitzinsen im Jahr 2024 wieder leicht um rund 50 Basispunkte fallen und sich damit in Richtung des neutralen Niveaus bewegen. Die Kredit- und Kapitalmarktzinsen werden diese Entwicklungen nachvollziehen. So dürften die Rendite auf zehnjährige Bundesanleihen bis Mitte nächsten Jahres auf rund 3,5% steigen.

Eckdaten der Prognose für Deutschland

  2021 2022 2023 2024
Bruttoinlandsprodukt (Veränderung gegenüber Vorjahr in %)  2,6 1,8 -0,1 1,6
Erwerbstätige (1.000 Personen) 44980 45534 45611 45692
Arbeitslose (1.000 Personen) 2613 2420 2503 2386
Arbeitslosenquote (in % der zivilen Erwerbspersonen) 5,7 5,3 5,5 5,3
Verbraucherpreise (Veränderung gegenüber Vorjahr in %) 3,1 7,8 6,4 2,8
Finanzierungssaldo des Staates 2021 2022 2023 2024
 - in Mrd. EUR -134,3 -68,1 -104,1 -49,7
 - in % des Bruttoinlandsprodukts -3,7 -1,8 -2,6 -1,2
Leistungsbilanzsaldo 2021 2022 2023 2024
 - in Mrd. EUR 265,0 139,1 122,9 165,9
 - in % des Bruttoinlandsprodukts 7,4 3,6 3,1 4,0

Quelle: Statistisches Bundesamt; Bundesagentur für Arbeit; Deutsche Bundesbank; 2022 bis 2024: Prognose des ifo Instituts.
© ifo Institut Dez. 2022

Infografik, Bruttoinlandsprodukt in Deutschland

Euroraum und Weltwirtschaft

Im Euroraum schrumpft das preisbereinigte Bruttoinlandsprodukt im Winterhalbjahr 2022/2023, bevor es sich im weiteren Verlauf leicht erholt. Das Jahreswachstum fällt damit 2023 mit 0,6% gering aus, und wird sich erst im Folgejahr erhöhen (+1,7%). Auf der Angebotsseite schränken Engpässe bei der Versorgung mit Energie, Rohstoffen und Vorprodukten und die damit verbundenen hohen Kosten die Produktion ein, insbesondere in energieintensiven Wirtschaftsbereichen. Auf der Nachfrageseite schmälert vor allem die hohe Inflation die Realeinkommen und dämpft trotz erheblicher Unterstützung durch die Fiskalpolitik den Konsum der privaten Haushalte, während die Verlangsamung des Exportmarktwachstums und die steigenden Zinssätze die privaten Investitionen belasten. Da die öffentlichen Investitionen im Jahr 2023 stark zunehmen und die Inflation aufgrund der sich stabilisierenden Rohstoffpreise allmählich zurückgeht, dürften das Wachstum der Realeinkommen und die Wirtschaftstätigkeit im Quartalsverlauf in den Jahren 2023 und 2024 anziehen. Der Aufschwung könnte jedoch bescheiden bleiben, da die Stützungsmaßnahmen im Rahmen der Energiekrise trotz der nach wie vor außergewöhnlich hohen Energiepreise langsam auslaufen und die Auswirkungen der höheren Realzinsen auf die Wirtschaftstätigkeit stärker zum Tragen kommen.

In den Vereinigten Staaten von Amerika wird das Wachstum von voraussichtlich 1,9% im Jahr 2022 auf 0,9% im Jahr 2023 zurückgehen und 2024 auf 1,5% steigen. Das rückläufige real verfügbare Einkommen beeinträchtigt weiterhin die Verbrauchernachfrage, und die höheren Zinssätze dämpfen die Investitionen. Unternehmensumfragen deuten auf eine weitere Abschwächung der Industriekonjunktur hin, die sich zunehmend negativ auf die Ausrüstungsinvestitionen auswirken dürfte, nachdem die Bauinvestitionen (insbesondere im Wohnungsbau) bereits seit einiger Zeit rückläufig sind. Insbesondere im Jahr 2023 dürfte sich dies allmählich stärker auf den Arbeitsmarkt auswirken und letztlich das Lohnwachstum bremsen. Der Inflationsdruck wird sich daher im kommenden Jahr allmählich abschwächen, was auch durch niedrigere Energiepreise begünstigt wird. 

In China wirkt sich die erwartete schrittweise Aufhebung der strengen behördlichen Beschränkungen zur Eindämmung der Ausbreitung von Covid-19-Infektionen im Prognosezeitraum positiv auf die Konjunktur aus. Obwohl der Normalisierungsprozess noch einige Zeit in Anspruch nehmen wird, wird er zu einer spürbar höheren Expansion der Gesamtwirtschaft im Jahr 2023 führen. Staatliche Ausgaben, insbesondere für Infrastrukturprojekte, stützen dabei die Konjunktur. Auch von der Geldpolitik gehen expansive Impulse aus, zumal im Gegensatz zu den meisten fortgeschrittenen Volkswirtschaften die Geldpolitik in China tendenziell gelockert wird, nachdem sie im Vorjahr im Zuge des Immobilienbooms gestrafft wurde. Nach einem Wachstum von 3,4% im Jahr 2022 dürfte das preisbereinigte Bruttoinlandsprodukt in den Folgejahren um 4,5% und 4,8% zulegen.

Insgesamt wird das Bruttoinlandsprodukt der Welt nach einem Anstieg von 2,8% im laufenden Jahr um 1,6% im Jahr 2023 und um 2,6% im Jahr 2024 expandieren. Der Welthandel wird nach einem leichten Rückgang im kommenden Jahr (-0,5%) im Jahr 2024 in etwa wieder mit der Rate (+4,0%) des Jahres 2022 wachsen.
 

 

Infografik, Bruttoinlandsprodukt in der Welt

Risiken

  • Gasmangellage
  • Auswirkungen des Ukraine-Kriegs/Russland-Sanktionen
  • Inflationsentwicklung
  • Pandemieverlauf
     
Kontakt
Prof. Dr. Timo Wollmershäuser, Stellvertretender Leiter des ifo Zentrums für Makroökonomik und Befragungen

Prof. Dr. Timo Wollmershäuser

Stellvertretender Leiter des ifo Zentrums für Makroökonomik und Befragungen und Leiter Konjunkturprognosen
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