Ökonomenpanel von ifo und FAZ

Bankenkrise: Ökonomen erwarten keine schwere Finanzkrise und fordern weitere Zinserhöhungen zur Inflationsbekämpfung

Die Banken in Europa und Amerika werden gegenwärtig von einer großen Unsicherheit erfasst. Das 42. Ökonomenpanel von ifo und FAZ widmet sich den aktuellen Turbulenzen im Finanzsystem. Die Umfrage, an der 132 VWL-Professorinnen und Professoren teilnahmen, wurde vom 23. März bis zum 30. März 2023 durchgeführt . 

Im März 2023 ereignete sich der größte Bankenkollaps seit der Finanzkrise 2007/ 2008. Eine der Ursachen lag in der Kursänderung der Zentralbanken. Nach Jahren lockerer Geldpolitik mussten diese aufgrund von hohen Inflationsraten die Leitzinsen kontinuierlich und stark erhöhen. Das setzt jenen Banken zu, die in ihrem Portfolio einen hohen Anteil von niedrigverzinsten Staatsanleihen halten. Die kalifornische Silicon Valley Bank (SVB) verlor innerhalb kürzester Zeit das Vertrauen ihrer Kunden und wurde am 10. März der US-Einlagensicherung FDIC unterstellt. Mittlerweile wurde die Bank von einem Wettbewerber übernommen. In der Folge wandten sich die Märkte auch von der Schweizer Bank Credit Suisse ab, die unter Zusicherung staatlicher Garantien am 19. März von der UBS übernommen wurde. Wiederum eine Woche später stürzten die Kurse der beiden großen deutschen Finanzinstitute Deutsche Bank und Commerzbank ab, so dass sogar eine öffentliche Unterstützung durch den Bundeskanzler Olaf Scholz nötig wurde. 

Frage nach Liquidität systemrelevanter Banken teilt Profession in zwei gleichgroße Lager 

Die Ökonominnen und Ökonomen sind gespalten in der Frage, ob weitere systemrelevante Banken in ernsthafte Liquiditätsschwierigkeiten geraten werden. 38% der Befragten erwarten keine ernsthafte Gefahr für die Liquidität systemrelevanter Banken. Sie bewerten die Credit Suisse als einen Sonderfall, da sie schon länger angeschlagen war. Die weiteren systemrelevanten Banken schätzen sie im Allgemeinen jedoch als gut kapitalisiert ein. Zum einen würden die bisherigen Maßnahmen bereits wirken und eine Beruhigung auf den Märkten einleiten. Zum anderen sind sie überzeugt, dass sowohl Regierungen als auch Zentralbanken ausreichend Instrumente und Bereitschaft besitzen, um durch ihr Handeln eine größere Krise zu verhindern. Demgegenüber erwarten 36% der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, dass nach der Credit Suisse weitere systemrelevante Banken in ernsthafte Liquiditätsschwierigkeiten geraten werden. Sie argumentieren, dass weitere Banken vor ähnlichen Problemen wie die Credit Suisse stünden. Dabei wird insbesondere auf die unerwartet schnellen und starken Zinserhöhungen verwiesen, die bei vielen Banken die Aktiva stark belasten. Weitere Zinserhöhungen könnten diese Probleme vertiefen.

Infografik, Ökonomenpanel 04 2023, Liquiditätsschwierigkeiten bei weiteren systemrelevanten Banken

Ökonominnen und Ökonomen uneinig bei Widerstandsfähigkeit des Bankensektors

Die Präsidentin der Europäischen Zentralbank Christine Lagarde hat am 20. März öffentlich geäußert, dass der Bankensektor des Eurogebiets widerstandsfähig sei und über eine starke Kapital- und Liquiditätsposition verfüge. Dieser Aussage stimmen 9% der Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu und weitere 37% stimmen ihr eher zu. Gleichzeitig nehmen 22% eine neutrale Haltung ein, 21% stimmen der Aussage eher nicht zu und 8% stimmen ihr nicht zu. Das bedeutet, dass etwa die Hälfte der Teilnehmerinnen und Teilnehmer den Bankensektor im Eurogebiet als widerstandsfähig bewertet und die andere Hälfte daran leichte bis erhebliche Zweifel äußert. 

Infografik, Ökonomenpanel 04 2023, Widerstandsfährigkeit des Bankensektors
Infografik, Ökonomenpanel 04 2023, Widerstandsfährigkeit des Bankensektors

Keine Gefahr einer schweren Finanzkrise wie 2007 und 2008

Während die Ökonominnen und Ökonomen in den Fragen gespalten sind, wie stabil das Finanzsystem ist und ob die Turbulenzen überwunden sind, äußern sie relativ geschlossen die Überzeugung, dass keine schwere Finanzkrise von einem ähnlichen Ausmaß wie in den Jahren 2007 und 2008 zu erwarten sei. Fast drei Viertel der teilnehmenden Ökonominnen und Ökonomen teilen diese Einschätzung. Sie geben an, dass sowohl die Ausgangssituation der aktuellen Turbulenzen im Vergleich zu 2007 als auch die Reaktion darauf unterschiedlich seien. Sie führen zum Beispiel an, dass von Kursrückgängen bei Staatsanleihen weniger Gefahr ausgeht als von faulen und verbrieften Hypothekenkrediten. Außerdem sehen sie Fortschritte bei der Bankenaufsicht und -kapitalisierung. Zentralbanken sowie Regierungen seien besser auf Bankenkrisen vorbereitet. Dennoch sehen 18% der Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Gefahr einer schweren Bankenkrise. Sie verweisen auf zu niedrige Eigenkapitalquoten und die grundsätzliche Unkalkulierbarkeit von Krisen.

Infografik, Ökonomenpanel 04 2023, Gefahr einer schweren Finanzkrise
Infografik, Ökonomenpanel 04 2023, Gefahr einer schweren Finanzkrise

Erfolg der Maßnahmen nach der letzten Finanzkrise wird unterschiedlich bewertet

Regierungen und Aufsichtsbehörden haben nach der letzten Finanzkrise Vorkehrungen getroffen, um die Banken solider aufzustellen und Steuerzahlerinnen und Steuerzahler vor Haftung zu schützen. Mit Blick auf den Umgang mit den kriselnden Banken SVB und Credit Suisse in den vergangenen Wochen geben 48% der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an, dass die Vorkehrungen nicht erfolgreich waren. Sie betrachten es als einen Fehler, dass keine Eigenkapitalunterlegung von Staatsanleihen eingeführt wurde und die Eigenkapitalquoten im Allgemeinen zu niedrig angesetzt wurden. Zudem kritisieren sie, dass Regulierungen in den vergangenen Jahren aufgelockert wurden. Die konkrete Handhabung der beiden Fälle sehen sie als Zeichen, dass erneut Staaten einspringen und Steuerzahlerinnen und Steuerzahler haften, wenn Banken ins Wanken geraten. Allerdings gibt mit 42% ein ähnlich hoher Anteil der VWL-Professorinnen und -Professoren an, dass sie die Vorkehrungen für solidere Banken und den Schutz von Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern positiv bewerten. Durch schärfere Regulierungen seien nur wenige Banken unter Druck geraten und das System als Ganzes stabil geblieben. Zudem geben sie an, dass es in der Marktwirtschaft immer möglich ist, dass einzelne Unternehmen bzw. Banken scheitern. Die SVB sei eine mittelgroße Bank mit einer lascheren Regulierung und die Credit Suisse sei schlecht geführt worden.

Infografik, Ökonomenpanel 04 2023, Vorkehrungen nach der Finanzkrise nicht erfolgreich

Mehrheit der Ökonominnen und Ökonomen unterstützt weitere Zinserhöhungen

Nach einer langen Phase expansiver Geldpolitik, die von niedrigen (und teilweise negativen) Zinsen geprägt war, haben Zentralbanken im vergangenen Jahr die Zinswende als Reaktion auf die galoppierende Inflation eingeleitet. In Folge der kontinuierlichen Zinserhöhungen durch Zentralbanken sind die Werte festverzinslicher Anleihen zurückgegangen. Die aktuellen Turbulenzen im Finanzsystem wurden dadurch ausgelöst, dass Banken diese Anleihen vor dem Auslaufen mit drastischen Abschlägen verkaufen mussten und in der Folge der Zusammenbruch drohte. Dennoch sagen 67% der VWL-Professorinnen und Professoren, dass die Zinsen zur Inflationsbekämpfung weiter erhöht werden sollen. Mit Blick auf die aktuellen Entwicklungen im Finanzsystem geben 21% an, dass die Zinsen kons

Infografik, Ökonomenpanel 04 2023, Veränderung der Zinspolitik

Unterstützung für Erhöhung der Eigenkapitalquoten und Ausweitung auf Staatsanleihen

Nach dem Ende der aktuellen Turbulenzen sollten die Eigenkapitalquoten für europäische Banken laut 72% der teilnehmenden Professorinnen und Professoren erhöht werden. Zum einen führen sie aus, dass so weiteres Risko vom Staat bzw. von Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern auf Banken übertragen wird und dies die Banken zu einem risikobewussteren Handeln bewegt. Zum anderen sehen sie darin eine vertrauensbildende Maßnahme, die das System als Ganzes resilienter macht und damit auch einzelne Banken vor einem Bankansturm besser schützt. Sie sehen im hohen Eigenkapital eine zuverlässige und effektive Form der Bankenregulierung, die künftige Finanzkrisen verhindern kann. Nur 16% der Teilnehmerinnen und Teilnehmer sprechen sich gegen höhere Eigenkapitalquoten aus. Sie bewerten die Quoten als ausreichend hoch und sehen bei einer Erhöhung die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Banken gefährdet. 

Zudem unterstützen 76% der deutschen Ökonominnen und Ökonomen die Forderung, in Zukunft auch Staatsanleihenportfolios verpflichtend mit Eigenkapital zu unterlegen. Sie geben an, dass auch Staatsanleihen Kredit- und Zinsänderungsrisiken haben und entsprechend abgesichert werden sollten. Zudem gäbe es wegen der aktuellen Sonderregelung für Staatsanleihen einen Finanzierungsvorteil für Regierungen und entsprechende Marktverzerrungen. 9% der Teilnehmerinnen und Teilnehmer lehnen die Forderung nach einer Eigenkapitalunterlegung von Staatsanleihenportfolios ab. 

Infografik, Ökonomenpanel 04 2023, Erhöhung von Eigenkapitelquoten
Infografik, Ökonomenpanel 04 2023, Erhöhung von Eigenkapitelquoten
Infografik, Ökonomenpanel 04 2023, Eigenkapitalunterlegungen von Staatsanleihenportfolios
Infografik, Ökonomenpanel 04 2023, Eigenkapitalunterlegungen von Staatsanleihenportfolios

Uneinigkeit bei den Auswirkungen auf die realwirtschaftliche Entwicklung in 2023

44% der Ökonominnen und Ökonomen erwarten nicht, dass die aktuellen Entwicklungen im Finanzsystem Auswirkungen auf das Wachstum der Realwirtschaft in 2023 haben. Ein Teil von ihnen argumentiert, dass sie keine weiteren Verwerfungen im Finanzsystem erwarten und somit die Krise für ausgestanden und in ihrer Größe als überschaubar erachten. Ein anderer Teil argumentiert, dass andere Entwicklungen, wie der russische Krieg gegen die Ukraine und die Inflation, größere Auswirkungen auf die Realwirtschaft haben. Zudem begrüßen einige Teilnehmerinnen und Teilnehmer eine leichte Verknappung der Kredite aufgrund der hohen Inflation. Demgegenüber stehen 41% der teilnehmenden VWL-Professorinnen und Professoren, die negative realwirtschaftliche Folgen erwarten. Diese werden insbesondere auf die gestiegene Unsicherheit und restriktivere Kreditvergabe zurückgeführt.

Infografik, Ökonomenpanel 04 2023, Belastung der Realwirtschaft
Infografik, Ökonomenpanel 04 2023, Belastung der Realwirtschaft
Aufsatz in Zeitschrift
Clemens Fuest, Klaus Gründler, Niklas Potrafke, Marcel Schlepper
ifo Institut, München, 2023
ifo Schnelldienst, 2023, 76, Nr. 04, 75-78
Kontakt
Prof. Dr. Niklas Potrafke

Prof. Dr. Niklas Potrafke

Leiter des ifo Zentrums für öffentliche Finanzen und politische Ökonomie
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+49(0)89/9224-1319
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+49(0)89/907795-1319
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