Gemeinschaftsdiagnose

Gemeinschaftsdiagnose Frühjahr 2023: Inflation im Kern hoch – Angebotskräfte jetzt stärken

Der konjunkturelle Rückschlag im Winterhalbjahr 2022/2023 dürfte glimpflicher ausgefallen sein als im Herbst befürchtet. Die angebotsseitigen Störungen, die die deutsche Wirtschaft seit geraumer Zeit belasten, haben nachgelassen. Ein merklicher Rückgang der Inflationsraten wird jedoch noch etwas auf sich warten lassen, da der Nachfragesog vorerst kaum geringer werden dürfte. Dazu tragen neben den staatlichen Entlastungsmaßnahmen auch die absehbar hohen Lohnsteigerungen bei. Die Inflationsrate wird im Jahr 2023 mit 6,0% nur wenig niedriger liegen als im Vorjahr. Das preisbereinigte Bruttoinlandsprodukt wird in diesem Jahr um 0,3% und im kommenden Jahr um 1,5% zulegen.  

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Das Verarbeitende Gewerbe dürfte in den kommenden Quartalen die Konjunktur stützen, da es unmittelbar vom Abflauen der Lieferengpässe und der günstigeren Energie profitiert. Da die Reallöhne wieder anziehen, wird auch der private Konsum im weiteren Verlauf zur gesamtwirtschaftlichen Expansion beitragen. Die Bauwirtschaft wird die Konjunktur hingegen bremsen, auch wenn dort zu Jahresbeginn wohl witterungsbedingt ein Produktionszuwachs verzeichnet wurde. Besonders im Wohnungsbau wird die Nachfrage schwach bleiben, auch weil die Europäische Zentralbank ihren geldpolitischen Kurs weiter straffen wird und damit die Finanzierungskosten weiter steigen werden.

„Der konjunkturelle Rückschlag im Winterhalbjahr 2022/2023 dürfte glimpflicher ausgefallen sein als im Herbst befürchtet. Maßgeblich ist ein geringerer Kaufkraftentzug infolge deutlich rückläufiger Energiepreise.“

Prof. Dr. Timo Wollmershäuser, Stellvertretender Leiter des ifo Zentrums für Makroökonomik und Befragungen und Leiter Konjunkturprognosen

Inflation ebbt ab

Der Höhepunkt der Inflationswelle dürfte mittlerweile erreicht sein, wobei die gemessene Inflation von den staatlichen Preisbremsen für Strom und Gas zunächst gedämpft wird. Ein merklicher Rückgang beim Verbraucherpreisanstieg wird jedoch noch etwas auf sich warten lassen, da der Nachfragesog vorerst noch andauern dürfte. Dazu trägt neben den staatlichen Entlastungsmaßnahmen insbesondere der voraussichtlich kräftige Anstieg der Tarifverdienste bei. Im Verlauf des Jahres dürften die Reallöhne wieder anziehen und der private Konsum im kommenden Jahr wieder positiv zur gesamtwirtschaftlichen Expansion beitragen. Die Inflationsrate wird im Jahr 2023 mit 6,0% nur wenig niedriger liegen als im Vorjahr. Erst im kommenden Jahr dürfte die Rate, insbesondere aufgrund der rückläufigen Energiepreise, spürbar sinken. Der Rückgang der Kerninflationsrate (also der Anstieg der Verbraucherpreise ohne Energie) fällt zunächst deutlich schwächer aus. Sie dürfte von 6,2 % im laufenden Jahr nur langsam auf 3,3 % im kommenden Jahr zurückgehen.

Gute Nachrichten für den Arbeitsmarkt

Die Zahl der Erwerbstätigen dürfte weiter zunehmen, von 45,6 Millionen im Jahr 2022 auf 45,9 Millionen im Jahr 2023 und 46,0 Millionen im Jahr 2024. Die Zahl der Arbeitslosen steigt in diesem Jahr vorübergehend von 2,41 auf 2,48 Millionen, da die ukrainischen Flüchtlinge nicht sofort auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen. Im kommenden Jahr dürfte die Arbeitslosigkeit dann allerdings wieder sinken auf dann 2,40 Millionen Personen.

Staatliches Finanzierungsdefizit bleibt

Der Staat wird sein Finanzierungsdefizit im laufenden Jahr nur leicht auf 2,2% in Relation zum nominalen Bruttoinlandsprodukt verringern, weil die Finanzpolitik zunächst an ihrem expansiven Kurs festhält. Erst im kommenden Jahr dürfte das Defizit dann auf 0,9% sinken. Der Leistungsbilanzsaldo wird bis zum Jahr 2024 wieder auf 6,0% der Wirtschaftsleistung steigen, nachdem er im vergangenen Jahr als Folge der kräftigen Verteuerung vor allem der Energieimporte vorübergehend auf 3,8% gesunken war.

Wirtschaftspolitik: Reformbedarf

Die Wirtschaftspolitik hat in den vergangenen Jahren die angebotspolitischen Zügel weitgehend schleifen lassen, auch in Zeiten, in denen kein akutes Krisenmanagement anstand. Umso größer ist nun der Reformbedarf, um insbesondere die Herausforderungen des demografischen Wandels und der Energiewende zu bewältigen. Beide erfordern potenzialstärkende Maßnahmen, auch um die sich verschärfenden Verteilungskonflikte einzuhegen.

Infografik, GD 2023
Infografik, GD 2023

Weltkonjunktur weiterhin schwach

Im Frühjahr 2023 ist die Weltkonjunktur weiterhin schwach. Vielerorts wird die Kaufkraft der privaten Haushalte durch hohe Inflation geschmälert und die gesamtwirtschaftliche Nachfrage durch steigende Zinsen gedämpft. Zwar verbessert die Öffnung der chinesischen Volkswirtschaft nach dem Ende der Pandemie die wirtschaftlichen Aussichten vor allem in Asien. Das dortige Verarbeitende Gewerbe bekommt aber das Auslaufen des Booms für IT-Güter und Halbleiter zu spüren. In Europa belasten zudem hohe Energiepreise die Haushalte und Unternehmen. 

Die Institute rechnen mit einem Zuwachs der Weltproduktion von 2,0% in diesem und 2,6% im kommenden Jahr. In den Schwellenländern wird der Produktionsanstieg im Jahr 2023 vor allem durch die Konjunkturerholung in China und die hohe Dynamik in Indien gestützt. Im Prognosezeitraum dürften die Zuwachsraten 3,9% (2023) bzw. 4,4% (2024) betragen. Für die fortgeschrittenen Volkswirtschaften erwarten die Institute eine Ausweitung der Produktion um 0,9% im laufenden sowie 1,5% im kommenden Jahr. Für den Euroraum beläuft sich die erwartete Zunahme des Bruttoinlandsprodukts auf 0,9% im Jahr 2023 sowie 1,6% im Jahr 2024. 

Der weltweite Warenhandel wird wohl nach dem Zuwachs um 3,2% im vergangenen Jahr im laufenden Jahr zunächst schwach sein und sich nur langsam beleben. Im Jahresdurchschnitt erwarten die Institute eine Zunahme von 0,4% in diesem und 2,8% im kommenden Jahr. Die Inflation in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften dürfte mit 4,8% im Jahr 2023 und 2,4% im Jahr 2024 zwar sinken, sie bleibt damit aber deutlich höher als im langjährigen Durchschnitt, denn die Kerninflation wird sich wohl auch aufgrund der expansiven Geld- und Fiskalpolitik in den Vorjahren nicht rasch zurückbilden.

Infografik, Reales Bruttoinlandsprodukt im Euroraum, 1 q 2023
Infografik, Reales Bruttoinlandsprodukt im Euroraum, 1 q 2023

Risiken

  • Turbulenzen im internationalen Bankensektor 
  • Reaktion privater Haushalte auf hohe Preisanstiege
  • Verfügbarkeit von Erdgas im kommenden Winter  
Kontakt
Prof. Dr. Timo Wollmershäuser

Prof. Dr. Timo Wollmershäuser

Stellvertretender Leiter des ifo Zentrums für Makroökonomik und Befragungen und Leiter Konjunkturprognosen
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