Sondervermögen unter der Lupe: Ökonomen äußern Zweifel
Im Februar 2025, unmittelbar nach der Bundestagswahl, hat der alte Bundestag eine Änderung des Grundgesetzes beschlossen. Sie sieht neben einer Bereichsausnahme für Verteidigungsausgaben von der Schuldenbremse auch die Einrichtung eines Sondervermögens für „Infrastruktur und Klimaneutralität“ vor. Das Sondervermögen ist auf zwölf Jahre angelegt und umfasst Kreditermächtigungen in Höhe von 500 Milliarden Euro, die nicht auf die Schuldenbremse angerechnet werden.
Rund um die Verabschiedung des Ausführungsgesetzes hat in der politischen Öffentlichkeit eine intensive Debatte über die Ausgestaltung und Wirksamkeit des Sondervermögens eingesetzt. Dies nimmt das 53. Ökonomenpanel von ifo und FAZ zum Anlass, um Ökonominnen und Ökonomen deutscher Universitäten zu den Auswirkungen und zur Ausgestaltung des Sondervermögens sowie zu möglichen Reformen der Schuldenbremse und den Folgen für die Einhaltung der EU-Fiskalregeln zu befragen.
An der Umfrage im Zeitraum vom 30. September bis zum 7. Oktober 2025 nahmen 179 VWL-Professorinnen und VWL-Professoren teil.
Zweifel an Zusätzlichkeit der Investitionen
Rund um die Verabschiedung des Gesetzes zum Sondervermögen „Infrastruktur und Klimaneutralität“ hat eine öffentliche Debatte darüber eingesetzt, in welchem Umfang die damit finanzierten Investitionen tatsächlich zusätzlich zu den Investitionen des Bundeshaushalts erfolgen. In unserer Umfrage wurden die teilnehmenden Ökonominnen und Ökonomen um eine Einschätzung gebeten, welcher Anteil der Mittel des Sondervermögens tatsächlich in zusätzliche Investitionen fließt.
Die meisten Antworten bewegen sich im Bereich zwischen 20% und 60%. Entsprechend gehen viele Ökonominnen und Ökonomen davon aus, dass das Sondervermögen nicht ausschließlich für neue Investitionen genutzt wird, sondern teilweise bereits geplante Investitionen aus dem Bundes- und den Länderhaushalten ersetzt. Der Durchschnitt aller Antworten liegt bei einem Wert von 47%. 24 Teilnehmende erwarten sogar, dass weniger als 20% der Mittel in zusätzliche Investitionen fließen. Auf der anderen Seite erwarten 38 Teilnehmende, dass mehr als 60% der Mittel tatsächlich zusätzlich eingesetzt werden.
In den Begründungen ihrer Einschätzungen verweisen viele der Ökonominnen und Ökonomen darauf, dass bereits in den Haushalten für 2025 und 2026 erkennbar sei, wie geplante Investitionen aus dem Bundeshaushalt in das Sondervermögen ausgelagert werden. Zudem wird kritisiert, dass in den 100 Mrd. Euro für die Bundesländer keine Zusätzlichkeitsklausel vorgesehen ist. Einige Teilnehmende weisen jedoch auch darauf hin, dass die Definition von „zusätzlich“ nicht eindeutig ist – etwa, ob eine Investition bereits dann als zusätzlich gilt, wenn sie durch das Sondervermögen früher umgesetzt werden kann.
Prioritäten im Verkehrs- und Energiebereich gefordert
Auf die Frage, wofür das Sondervermögen „Infrastruktur und Klimaneutralität“ eingesetzt werden soll, zeigen die Ökonominnen und Ökonomen eine klare Präferenz für die Verkehrs- (151 Nennungen) und Energieinfrastruktur (131 Nennungen). Mehrfachnennungen waren dabei möglich.
Als weitere bedeutende Bereiche werden die Digitalisierung und die Bildungs- und Wissenschaftsinfrastruktur genannt, die jeweils über 100 Nennungen erreichen. Weniger wichtig schätzen die Teilnehmenden dagegen den Zivil- und Bevölkerungsschutz (61 Nennungen), die Krankenhausinfrastruktur (37 Nennungen) sowie Ausgaben für Kultur- und Sportstätten (12 Nennungen) ein. Unter „andere Zwecke“ werden vor allem zusätzliche Ausgaben für den Klimaschutz angeführt.
Positive Wirkung auf private Investitionen erwartet
Zusätzliche öffentliche Mittel für Infrastruktur können private Investitionen auf vielfältige Weise beeinflussen. Einerseits können sie private Investitionen anregen, weil eine verbesserte Infrastruktur die Standortattraktivität erhöht. Andererseits können sie private Investitionen verdrängen, wenn in der Wirtschaft nicht ausreichend Kapazitäten vorhanden sind - der sogenannte Crowding-Out-Effekt.
Gefragt nach der Wirkung der zusätzlichen öffentlichen Investitionen auf private Investitionen, erwartet die Mehrheit der VWL-Professorinnen und VWL-Professoren einen positiven Effekt. 7% rechnen mit einer „sehr positiven“ Wirkung und 55% mit einer „positiven“ Wirkung auf private Investitionen. 21% gehen von einer „neutralen“ Wirkung aus, während 15% der Teilnehmenden eine „negative“ Wirkung auf private Investitionen erwarten. Von einer „sehr negativen“ Wirkung geht lediglich 1% aus; ebenfalls 1% antwortet mit „Weiß nicht“.
In den Begründungen für eine positive Wirkung wird häufig genannt, dass die Investitionen die Standortbedingungen in Deutschland verbessern und öffentliche Investitionen einen Multiplikatoreffekt haben. Zudem ermögliche die neu geschaffene langfristige Planungssicherheit für staatliche Investitionen es insbesondere dem Bausektor, seine Kapazitäten auszuweiten.
Teilnehmende, die eine negative Wirkung erwarten, führen vor allem den Zinskanal als Ursache an: Steigende Zinsen infolge öffentlicher Investitionen können private Investitionsprojekte teurer und damit weniger attraktiv machen.
Entwicklung des Zustands der deutschen Infrastruktur nicht eindeutig
Knapp die Hälfte der Teilnehmenden (46%) erwartet, dass sich der Zustand der deutschen Infrastruktur in zehn Jahren im Vergleich zu heute eher verbessern wird.. Weitere 5% rechnen sogar mit einer deutlich besseren Infrastruktur. Als Gründe werden vor allem das derzeit hohe Maß an öffentlicher Aufmerksamkeit für den Investitionsbedarf sowie die große Summe der bereitgestellten Mittel genannt.
Demgegenüber erwarten 12% eine „eher schlechtere“ und 11% eine „deutlich schlechteren“ Infrastruktur in zehn Jahren. Ein Viertel (25%) der VWL-Professorinnen und VWL-Professoren erwartet hingegen keine Veränderung im Zustand der deutschen Infrastruktur.
Laut mehreren Teilnehmenden müssten neben den Bestands- auch Zusatzinvestitionen getätigt werden, für die jedoch keine ausreichenden Mittel zur Verfügung stünden. Auch sei der aktuelle Infrastrukturverfall immens und die heute geplanten Maßnahmen würden nicht ausreichen, um diesen zu stoppen.
Als weitere Hemmnisse werden langsame Verwaltungsprozesse, mangelnder Mut zum Bürokratieabbau und die Gefahr genannt, dass Investitionen aus dem Sondervermögen Investitionen aus dem regulären Haushalt verdrängen könnten. Dadurch bestehe das Risiko, dass der Bundeshaushalt künftig noch stärker für Sozialausgaben genutzt wird.
1% der Teilnehmenden antwortet mit „Weiß nicht“.
Stärkung von Investitionen bei erneuter Reform der Schuldenbremse wichtig
Für die Erarbeitung eines Vorschlags zur Modernisierung der Schuldenregel im Grundgesetz hat die Bundesregierung eine Expertenkommission eingesetzt. Ziel ist es, dauerhaft zusätzliche Investitionen in die Stärkung des Standorts Deutschlands zu ermöglichen.
In unserer Umfrage wurden die VWL-Professorinnen und VWL-Professoren gebeten anzugeben, welche Aspekte die Bundesregierung ihrer Ansicht nach bei einer erneuten Reform der Schuldenbremse besonders berücksichtigen sollte.
Eine Wortwolke der Antworten zeigt deutlich die Häufung des Begriffs „Investitionen“. Auch Begriffe wie Ausgaben, Schulden, Flexibilität, Lockerung und Haushalt kommen häufig vor. Diese Wortwolke bietet einen ersten Hinweis darauf, mit welchen Themenfeldern sich die Teilnehmenden im Zusammenhang mit einer Reform der Schuldenbremse auseinandersetzen.
Die detaillierte Auswertung der Antworten auf die offene Frage verdeutlicht ein breites Bekenntnis zur Beibehaltung einer strikten, glaubwürdigen und flexiblen Schuldenregel. Eine Mehrheit der Teilnehmenden spricht sich gegen eine weitere Lockerung der Schuldenbremse aus. Auch wird häufig die Forderung nach einer klaren Trennung zwischen konsumtiven und investiven Ausgaben gestellt. Staatsschulden sollten ausschließlich für Zukunftsinvestitionen aufgenommen werden dürfen, etwa in Infrastruktur, Digitalisierung oder Klimaschutz, „von denen auch die nachfolgende Generation profitiert“. Konsumtive Ausgaben sollen dagegen strikt ohne Kreditfinanzierung erfolgen.
Allerdings räumen viele der Teilnehmenden ein, dass diese Abgrenzung schwierig ist und gegebenenfalls von einem externen Gremium vorgenommen werden sollte. Zentral ist für viele VWL-Professorinnen und VWL-Professoren auch das Prinzip der Generationengerechtigkeit. Heute getroffene finanzpolitische Entscheidungen dürften zukünftige Generationen nicht übermäßig belasten. In diesem Zusammenhang wird mehrfach auf die Nachhaltigkeit der Staatsfinanzen verwiesen.
Gleichzeitig plädieren einige Teilnehmende für mehr Flexibilität der Schuldenbremse. Kurzfristige Abweichungen sollen möglich bleiben, um auf außergewöhnliche Situationen reagieren zu können („kurzfristige Flexibilität bei langfristiger Stabilität“). Genannt werden hierbei insbesondere zukünftige geopolitische Extremszenarien oder konjunkturelle Schwankungen, auf die beispielsweise durch eine Anpassung der Konjunkturkomponente besser reagiert werden könne.
Darüber hinaus betonen einige Teilnehmende die Notwendigkeit einer zukunftsorientierten Ausgabensteuerung. Zusätzliche Ausgaben – etwa im Verteidigungsbereich – sollten nach Möglichkeit durch Einsparungen in anderen Ressorts, beispielsweise im Sozialetat, finanziert werden.
Skepsis bei Einhaltung der EU-Fiskalregeln
Die europäischen Vorgaben des Stabilitäts- und Wachstumspakts begrenzen den Spielraum für eine schuldenfinanzierte Ausgabenpolitik. Eine Lockerung der Schuldenbremse könnte dazu führen, dass Deutschland in Konflikt mit diesen EU-Vorgaben gerät.
Die teilnehmenden Ökonominnen und Ökonomen haben hierzu eine klare Meinung. Die Mehrheit (58%) geht nicht davon aus, dass die EU-Fiskalregeln in Zukunft eingehalten werden können. Im Gegensatz dazu sehen 22% der Teilnehmenden eine Einhaltung der EU-Fiskalregeln.
Hauptsächlich wird in diesem Zusammenhang angemerkt, dass die EU-Fiskalregeln eine abnehmende Bedeutung hätten. 20% der Teilnehmenden antworten mit „Weiß nicht“.