Gastbeitrag

Marktwirtschaft schlägt Sozialismus

Klaus Gründler und Niklas Potrafke


Quelle:
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Große Unternehmen kollektivieren oder verstaatlichen - ist das eine gute Idee? Manch einer findet ja. Woran der Sozialismus immer wieder gescheitert ist.

Ein Interview eines SPD-Nachwuchspolitikers hat eine hitzige Sozialismus-Debatte ausgelöst. Einige Altvordere der SPD wie Ex-Parteichef Sigmar Gabriel und Betriebsräte haben Kevin Kühnerts kühnen Vorschlägen zur "Kollektivierung" von Großunternehmen eine Absage erteilt. Es erscheint paradox, dass im 30. Jahr nach dem Mauerfall in Deutschland ernsthaft über die Vorzüge von Kollektiveigentum diskutiert wird.

Demokratie und Marktwirtschaft haben Autokratie und Planwirtschaft überlebt. Im November 1989 ist die Mauer gefallen, die DDR war wirtschaftlich und politisch am Ende. Im Oktober 1990 kam die deutsche Wiedervereinigung. Auch die meisten früheren Sowjetrepubliken haben sich von der Planwirtschaft verabschiedet. Demokratie wird in freien Wahlen gelebt, und die Menschen genießen viele Annehmlichkeiten der Sozialen Marktwirtschaft, die ihnen die Planwirtschaft nicht ermöglicht hätte. Seit China, obwohl politisch weiterhin eine Diktatur, mehr und mehr Privateigentum und unternehmerische Initiative zugelassen hat, erlebte das Riesenreich eine gigantische Wachstumsgeschichte. Ökonomen sehen gesicherte private Eigentumsrechte ("property rights") als eine der wichtigsten Voraussetzungen für Wohlstand und Wachstum an. Empirische Untersuchungen belegen diesen Zusammenhang.

Sicher, es läuft nicht alles rund. Seit Beginn der 1980er Jahre ist die Einkommensungleichheit in vielen europäischen und anderen Ländern gestiegen, die hohe Staatsverschuldung vieler europäischer Staaten machte einschneidende Konsolidierungspolitiken notwendig. Doch nehmen selbst die Kritiker gerne viele der Errungenschaften des marktwirtschaftlichen Wirtschaftssystems für gegeben hin: In Supermärkten gibt es eine nie zuvor gekannte Vielfalt an Angeboten aus aller Welt zu relativ günstigen Preisen. Technische Erfindungen wie das Smartphone revolutionieren unsere Kommunikation und die ganze Gesellschaft, jeder trägt das Internet in seiner Hosentasche. Mal eben in ein Flugzeug steigen und die Welt bereisen, das kann ebenso nahezu jeder Bürger. Die Marktwirtschaft hat eine beispiellose Zunahme des Wohlstands und der technischen Zivilisation ermöglicht.

In den Genuss vielfältiger Produkte, die der technologische Fortschritt immer wieder verbessert, kommen wir, weil sich Unternehmen im Wettbewerb um Innovationen und Kunden bemühen müssen. Der Wettbewerb zwischen Unternehmen stellt sicher, dass die Preise der Güter nicht in unermessliche Höhen schießen. Monopolisten, wie es früher die sozialistischen Staatsunternehmen waren, können höhere Preise verlangen und müssen keine guten Produkte anbieten; sie haben Marktmacht und können dadurch den Menschen Geld aus der Tasche ziehen. Einige Beispiele für sozialistische Volkswirtschaften mit selbstherrlichen Staatsführern gibt es noch: Nordkorea und Venezuela sind die traurigsten Fälle. Beide Länder zeigen, wie schlecht es um die wirtschaftliche Lage der Bevölkerung bestellt ist. Die Entwicklung in Venezuela ist besonders erschreckend, war das ölreiche Land doch über viele Jahrzehnte die wohlhabendste Volkswirtschaft in Südamerika. Inzwischen droht dort der Kollaps.

Der Kühnert-Vorstoß gibt Anlass für eine erneute grundsätzliche Debatte über marktwirtschaftliche und sozialistische Wirtschaftssysteme. In der Marktwirtschaft haben alle Marktteilnehmer einen Anreiz, sich anzustrengen, und sie haften für ihr ökonomisches Handeln. Unternehmer wissen schließlich, dass sie beim Eingehen hoher Risiken im Erfolgsfall der alleinige Nutznießer sind und Gewinne erzielen. Geht ein Projekt jedoch in die Hose, so müssen sie mit den Konsequenzen leben und Verluste tragen. Die Aussicht auf Gewinne spornt an, das Haftungsprinzip diszipliniert. Im Sozialismus und schon bei nicht klar geregelten Eigentumsrechten gilt das nicht. Die Anreize und die Verantwortlichkeiten sind viel geringer. Das Bestreben des Unternehmers, nach vorne zu kommen, bringt vieles mit sich, von dem auch andere profitieren. Es entstehen Arbeitsplätze. Der Staat nimmt Steuereinnahmen und Sozialversicherungsbeiträge ein, die zur Umverteilung an geringverdienende Bürger verwendet werden können. Die Soziale Marktwirtschaft verbindet wirtschaftliche Freiheit "mit einem gerade durch die wirtschaftliche Leistung gesicherten sozialen Fortschritt", wie es Alfred Müller-Armack ausgedrückt hat.

Doch sozialer Ausgleich ist nur dann möglich, wenn zuvor Wohlstand geschaffen wird. Tatsächlich werden in Deutschland knapp 50 Prozent der Einkommenssteuern von den oberen 10 Prozent der Einkommensbezieher getragen. Auch weltweit sind die Steuereinnahmen und die Einkommensumverteilung insgesamt in demokratischen Ländern höher als in Autokratien (Berthold und Gründler: Ungleichheit, soziale Mobilität und Umverteilung, Kohlhammer, 2017). Dass durch das marktwirtschaftliche System ein Großteil des Wohlfahrtsstaates finanziert wird, wird häufig vergessen.

In Deutschland konnten wir das Scheitern sozialistischer Planwirtschaft direkt erleben. Die DDR ist gescheitert, ebenso wie ihre Schutzmacht, die Sowjetunion, zerbrochen ist. Es gab drei Hauptprobleme der Planwirtschaften, die sich gegenseitig verstärkten: Neben den Anreiz- und Motivationsproblemen sind es vor allem die Koordinations- und Innovationsmängel. Ohne Preise, die die relative Knappheit von Gütern beschreiben, fehlt dem bürokratischen zentralen Planer die entscheidende Information. Der Marktpreis eines Gutes ist das Ergebnis einer Kombination von unzähligen Einzelentscheidungen und vereint in sich die Nutzen sämtlicher Haushalte aus dem Konsum des Gutes und den Gewinnen sämtlicher Unternehmen bei Produktion und Vertrieb des Gutes. Der Staat hat nicht einmal einen Bruchteil dieser Informationen, verschwendet Ressourcen und plant am Bedarf vorbei. Dieses grundlegende Problem des Sozialismus hatte vor fast hundert Jahren schon Ludwig von Mises erkannt, Friedrich von Hayek erweiterte die Analysen des Wissensproblems.

Die Staatsunternehmen sind überdies nicht innovativ genug, sie machen nur zu oft Verluste und produzieren Güter von schlechter Qualität. Die Geschichte der DDR zeigt, wie häufig Wirtschaftspläne nicht stimmten und immer wieder korrigiert werden mussten. Ein Vergleich des Trabant mit einem VW-Golf in den achtziger Jahren führte vor Augen, wie weit die technische Entwicklung hinterherhinkte. Ineffiziente Staatsbetriebe, die dauernd Verluste machten, wurden nicht geschlossen - es gab im Sozialismus eine "weiche Budgetbeschränkung" (János Kornai). Die Defizite der Planwirtschaft wurden in den achtziger Jahren durch Schulden beim "Klassenfeind" (Milliardenkredite der Bundesrepublik) finanziert, das System zehrte von der Substanz. Im Herbst 1989 präsentierte der Vorsitzende der Zentralen Plankommission Gerhard Schürer der SED-Spitze eine schonungslose Analyse: Nur eine Senkung des ohnehin geringen Konsumniveaus der Bevölkerung um 25 bis 30 Prozent könne die Zahlungsunfähigkeit abwenden. Tatsächlich kam die DDR-Industrie nur noch auf ein Drittel der West-Produktivität.

Nun wird eingewandt, dass die DDR an ihrem bürokratisch-autokratischen System gescheitert sei und dies nicht der "wahre Sozialismus" gewesen sei. Doch läuft es in anderen Ländern mit Planwirtschaft besser? Und wie sieht der Zusammenhang aus zwischen politischer und wirtschaftlicher Freiheit? Die empirische Forschung belegt eindrucksvoll, wie eng Demokratie und Marktwirtschaft mit Wohlstand verbunden sind. Die Arbeiten des MIT-Ökonomen Daron Acemoglu sind prominent. Eine seiner jüngsten Arbeiten, die gerade im "Journal of Political Economy" erschienen ist, trägt den Titel "Democracy does cause growth". Streiten kann man darüber, welches Land in welchem Jahr als Demokratie bezeichnet werden kann. Viele frühere Indikatoren haben in der Tat Schwächen, weil sie Subindikatoren wie Pressefreiheit oder freie Wahlen mit willkürlichen Gewichten zu Demokratieindikatoren zusammenschustern. Die neuen Arbeiten vom Verfasser Klaus Gründler und Tommy Krieger von der Universität Konstanz verwenden daher neue Methoden zu "machine learning", wie sie gegenwärtig viel in der Forschung zur Künstlichen Intelligenz im Umgang mit Big Data Gebrauch finden.

Auf Basis der neuen Daten zum Messen von politischen Institutionen zeigt sich beispielsweise (siehe Grafik), dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf in Demokratien in den vergangenen fünfeinhalb Jahrzehnten durchschnittlich um 2,32 Prozent und in Nichtdemokratien um 1,90 Prozent gewachsen ist. Dieser Befund beruht auf einem Datensatz für 148 Länder für den Zeitraum 1960 bis 2014. Der Unterschied in den Wachstumsraten zwischen Demokratien und nicht demokratisch regierten Ländern ist statistisch signifikant. Die Grafik zeigt deskriptive Statistiken, die nicht zwingend Kausalität bedingen. Allerdings legen empirische Arbeiten, die sich neuer ökonometrischer Verfahren bedienen, nahe, dass Demokratie einen kausalen Effekt auf das Wirtschaftswachstum hat. Zwar haben auch einige nichtdemokratische Länder wie China eindrucksvolles Wirtschaftswachstum erzielt, doch ist starkes Wirtschaftswachstum in demokratischen Ländern wesentlich wahrscheinlicher und weiter verbreitet.

Stabile demokratische Institutionen gehen Hand in Hand mit wirtschaftlicher Freiheit. Eine Einschränkung der Eigentumsrechte ist oft der erste Schritt zur Unterminierung der Demokratie. Die Entwicklung in Venezuela ist dafür ein Beispiel. Gibt man dem Staat die Macht, über die Verteilung knapper Ressourcen zu entscheiden, so wird wirtschaftliche und politische Macht in einer Instanz gebündelt. Eine ökonomische Planwirtschaft kann keinen demokratischen Widerspruch ertragen, daher werden demokratische Prinzipien und Freiheitsrechte ausgehöhlt. Umgekehrt gibt es einen Zusammenhang zwischen Marktwirtschaft und Demokratie.

Für dieses Argument, das die Nobelpreisträger Friedrich von Hayek und Milton Friedman im vergangenen Jahrhunderts vorgetragen haben, gibt es einschlägige empirische Evidenz (siehe Lawson und Clark, Examining the Hayek-Friedman hypothesis on econmic and political freedom, "Journal of Economic Behavior and Organization", 2010). Auch in dem beschriebenen Datensatz der 148 Länder sind die Eigentumsrechte auf einer Skala von 1 (kein Schutz) bis 5 (hoher Schutz) in Demokratien mit einen Durchschnittswert von 4,5 im Vergleich zu 2,6 in Nichtdemokratien deutlich stärker. Der Schutz von Eigentum steht überdies in enger Beziehung zu höherem wirtschaftlichen Wachstum (siehe Grafik).

Es gibt weitere Gründe, warum der Wohlstand in Demokratien höher ist als in Autokratien: Bürger in demokratischen Ländern sind in der Regel besser gebildet als in nichtdemokratischen Ländern. Dies gilt insbesondere für die primäre und sekundäre Bildung, welche die wichtigsten Grundsteine für individuellen Wohlstand legt. Überdies zeigen Studien, dass Bürger in Demokratien länger leben als in Autokratien und die Kindersterblichkeit geringer ist.

Vor dem Hintergrund des kühnen Juso-Vorschlags erscheint es nützlich (für manche notwendig), daran zu erinnern, was die Aufgaben des Staates sind. In der Sozialen Marktwirtschaft soll der Staat zunächst einmal dort aktiv werden, wo der Markt versagt. Das ist beispielsweise bei öffentlichen Gü- tern wie Verkehrsinfrastruktur, Landesverteidigung und dem Justizsystem der Fall. Konsens herrscht in der Sozialen Marktwirtschaft auch darüber, dass die effiziente Bereitstellung von Gü- tern nicht alles ist. "Effizient" heißt nicht in jedem Fall "gerecht". Deshalb haben wir Steuer- und Sozialversicherungssysteme, die Einkommen umverteilen. Der Staat hat hier die wichtige Aufgabe, benachteiligte und in Not geratene Bürger zu unterstützen. Als Unternehmer allerdings ist der Staat bestimmt nicht besser als seine Bürger.

Klaus Gründler und Niklas Potrafke lehren an der Ludwig-Maximilians-Universität München und arbeiten am Ifo-Zentrum für öffentliche Finanzen und politische Ökonomie.