Ökonomenpanel von ifo und FAZ

Coronakrise: Ökonom*innen bewerten die ersten wirtschaftspolitischen Reaktionen

Die Corona-Pandemie trifft die Wirtschaft heftig. Regierungen und Notenbanken weltweit reagieren mit umfangreichen wirtschaftspolitischen Maßnahmen auf die Krise. Ziel der fiskal- und geldpolitischen Instrumente ist es, die Folgen einer Rezession abzufedern. Auch für Deutschland sind die gegenwärtigen wirtschaftspolitischen Herausforderungen immens. Es handelt sich um einen gleichzeitigen Angebots- und Nachfrageschock mit einer Einschränkung globaler Wertschöpfungsketten. Das 28. Ökonomenpanel von ifo und FAZ widmet sich den wirtschaftspolitischen Maßnahmen in Deutschland und auf europäischer Ebene. An der Umfrage nahmen 155 Ökonom*innen teil. 

Große Mehrheit hält Höhe des Nachtragshaushalts für angemessen

Bundestag und Bundesrat haben zum 27. März 2020 den Weg für einen in der deutschen Geschichte bisher beispiellosen Nachtragshaushalt in Höhe von 156 Mrd. Euro freigemacht. Dabei entfallen rund 122,5 Mrd. Euro auf zusätzliche Staatsausgaben und 33,5 Mrd. Euro auf geringere Steuereinnahmen, die auf die Coronakrise zurückzuführen sind. 67% der Teilnehmer*innen halten die Höhe des Nachtragshaushalts aufgrund der Ausnahmesituation der Pandemie für angemessen. 14% der Teilnehmer*innen fordern umfangreichere Maßnahmen und begründen dies meist mit den hohen wirtschaftlichen Kosten des Shutdowns. Nur 6% der Ökonom*innen beurteilen die Summe als „zu hoch“.

Grafik zum Ökonomenpanel: Historischer Nachtragshaushalt mit 156 Mrd. Euro Neuverschuldung

Ökonom*innen bewerten Anleihekaufprogramm der EZB unterschiedlich

Die Coronakrise hat schon jetzt eine geldpolitische Dimension. Im Gegensatz zur Finanzkrise 2007-2008 sind Leitzinssenkungen als klassische geldpolitische Maßnahmen aufgrund der bereits sehr niedrigen bis negativen Zinssätze kaum mehr möglich. Die EZB gab daher am 18. März 2020 ein erweitertes Anleihekaufprogramm in Höhe von 750 Mrd. Euro bis Ende 2020 bekannt (Pandemic Emergency Purchase Programme, PEPP). Mit dem zusätzlichen Notenbankgeld will die EZB in den kommenden Monaten europäische Staats- und Unternehmensanleihen kaufen. 48% der Teilnehmer*innen des Ökonomenpanels halten das Anleihekaufprogramm der EZB für die richtige geldpolitische Reaktion auf die Coronakrise und begründen dies mit der notwendigen Bereitstellung von Liquidität und der Beruhigung der Finanzmärkte. 20% sprechen sich gegen das Anleihekaufprogramm aus, da Geldpolitik nicht das richtige Mittel sei, um auf den Angebotsschock der Coronakrise zu reagieren und eventuell falsche Anreize für Staaten setze.

Grafik zum Ökonomenpanel: 750 Mrd. Euro Anleihekaufprogramm der EZB

Großer Konsens besteht bei Kurzarbeitergeld und staatlichen Bürgschaften

Die Bundesregierung hat bereits eine Reihe von ad-hoc-Maßnahmen umgesetzt, um die negativen Auswirkungen auf die deutsche Volkswirtschaft zu dämpfen. 96% plädieren für eine Ausweitung des Kurzarbeitergelds als eine der wichtigsten wirtschaftspolitischen Maßnahmen. 80% halten staatliche Bürgschaften für Unternehmenskredite für sinnvoll. Steuererleichterungen für Unternehmen sowie Einmalzahlungen an Unternehmen werden jeweils von knapp der Hälfte der Ökonom*innen genannt. Ein gutes Drittel spricht sich für staatliche Unternehmensbeteiligungen aus. Nur 13% würden sich für Einmalzahlungen an alle Bürger*innen entscheiden. Außerdem nennen die Ökonom*innen Einmalzahlungen an besonders betroffene Kleinunternehmen und Bürger*innen sowie Investitionen in das Gesundheitssystem.

 

deutsche Grafik zum Ökonomenpanel: Wirtschaftspolitische Maßnahmen

Ökonomen halten Shutdown für maximal 11 Wochen durchhaltbar

In einem Sondergutachten schätzt der Sachverständigenrat den Rückgang des deutschen BIP im laufenden Jahr aufgrund der Coronakrise auf 2,8 bis 5,4% (Feld et al. 2020). Das ifo Institut beziffert in einer aktuellen Studie (Dorn et al. 2020) die Kosten eines zweimonatigen Shutdowns für Deutschland sogar auf 255 bis 495 Mrd. Euro bzw. eine reduzierte Jahreswachstumsrate des BIP von 7,2 bis 11,2 Prozentpunkten. Jede Verlängerung des Shutdowns um eine weitere Woche verursacht einen Rückgang des BIP-Wachstums um geschätzt 0,7 bis 1,6 Prozentpunkte. Die am Ökonomenpanel teilnehmenden Ökonom*innen geben im Durchschnitt an, dass Deutschland den gegenwärtigen Shutdown maximal 11 Wochen durchhalten könne, bevor das Risiko einer wirtschaftlichen Destabilisierung zu groß werde. Allerdings sei die weitere Entwicklung mit großen Unsicherheiten verbunden und eine seriöse Berechnung daher nicht möglich. Dementsprechend stark variieren die Schätzungen: Die Antworten reichen von 0 bis 50 Wochen und 95% liegen zwischen 0 und 24 Wochen.

Es entsteht gegenwärtig ein Tradeoff zwischen hohen wirtschaftlichen Kosten einer ausgeprägten Rezession und Gesundheitsrisiken, die bei einer Lockerung der Eindämmungsmaßnahmen entstehen. 57% der Teilnehmer*innen des Ökonomenpanels sprechen sich dafür aus, den gegenwärtigen Shutdown aufgrund der volkswirtschaftlichen Kosten schon nach durchschnittlich acht Wochen zu beenden, selbst wenn zu diesem Zeitpunkt noch nicht ausreichend medizinische Behandlungsmöglichkeiten vorhanden seien. 95% der Antworten dieser Teilnehmer*innen liegen zwischen 0 und 16 Wochen. Sie begründen dies mit der Möglichkeit, die Wirtschaft kontrolliert wieder hochzufahren, während gleichzeitig Risikogruppen weiterhin geschützt würden. 35% würden hingegen den Shutdown erst zu einem Zeitpunkt beenden, an dem die medizinische Versorgung für alle Bürger*innen umfassend gesichert ist.

deutsche Grafik zum Ökonomenpanel: Dauer des Shutdowns

Mehrheit gegen Ausweitung der Fiskalkompetenzen auf gesamteuropäische Ebene

Vor dem Hintergrund der aktuellen Herausforderungen durch die Coronakrise werden die Rufe nach einer Ausweitung der Fiskalkompetenzen der EU lauter. 27% der teilnehmenden Ökonom*innen wünschen sich eine Ausweitung der Fiskalkompetenzen der EU, v.a. in den Bereichen Gesundheit, Risikovorsorge und Krisenmanagement. 62% der Ökonom*innen halten eine Ausweitung der Fiskalkompetenzen jedoch für nicht sinnvoll, da auf nationaler Ebene fiskalpolitisch effektiver auf die Krise reagiert werden könne.

Grafik zum Ökonomenpanel: Europäische Fiskalkompetenz

Relative Mehrheit für Corona-Bonds

Die Finanzierung der gegenwärtigen wirtschaftspolitischen Gegenmaßnahmen, v.a. bei einer Ausweitung auf eine gesamteuropäische Ebene, wird kontrovers diskutiert. 46% der Teilnehmer*innen des Ökonomenpanels sprechen sich für eine einmalige Schuldenaufnahme auf gesamteuropäischer Ebene zur Bekämpfung der Coronakrise aus und begründen diesen außerordentlichen Schritt mit der Unterstützung für finanzschwächere Länder und einem deutlichen Signal für die europäische Solidarität. 43% der teilnehmenden €Ökonom*innen sprechen sich gegen eine einmalige Schuldenaufnahme auf gesamteuropäischer Ebene aus. Wichtige Gründe sind, dass eine einmalige Schuldenaufnahme auf gesamteuropäischer Ebene falsche Anreize setze, zu einer Vergemeinschaftung der Schulden führe und sich nicht oder nur schwer umkehren lasse.

graphik Ökonomenpanel Corona Bonds

Gestaltung von Wertschöpfungsketten im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge umstritten

Befragt wurden die Ökonom*innen ebenso zur Gestaltung der Produktion von Gütern im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge, wie z.B. Medikamente oder medizinische Ausrüstungsgegenstände. 22% der Ökonom*innen wollen eine Rückverlagerung der Produktion nach Europa, gegebenenfalls mit staatlichen Ausgleichszahlungen, um die Lieferketten zu schützen und die medizinische Versorgung zu jedem Zeitpunkt sicherzustellen. Mit den gleichen Argumenten fordern 16% eine Rückverlagerung der Wertschöpfungsketten nach Deutschland. Demgegenüber sprechen sich 19% für eine höhere internationale Diversifizierung aus. So soll die Abhängigkeit von einzelnen Anbietern reduziert und das Ausfallrisiko komplexer Wertschöpfungsketten kompensiert werden. Ein gutes Viertel will am Status quo festhalten, u.a. weil Produktionsentscheidungen den Unternehmen überlassen werden sollten. Andere Antworten (9%) plädieren für eine Kombination der deutschen mit der europäischen Ebene und einer generell höheren Lagerhaltung.

Grafik zum Ökonomenpanel: Wertschöpfungsketten für die öffentliche Daseinsvorsorge

Literatur

Aufsatz in Zeitschrift
Florian Dorn, Clemens Fuest, Marcell Göttert, Carla Krolage, Stefan Lautenbacher, Sebastian Link, Andreas Peichl, Magnus Reif, Stefan Sauer, Marc Stöckli, Klaus Wohlrabe, Timo Wollmershäuser
ifo Institut, München, 2020
ifo Schnelldienst, 2020, 73, Nr. 04

Anhang: Volkswirtschaftliche Kosten des Corona-Shutdown: Annahmen zu den sechs berechneten Szenarien

Die gesamtwirtschaftliche Lage angesichts der Corona-Pandemie

Feld, L. / Truger, A. / Wieland, V.
Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, 2020

 

Veröffentlichung

Aufsatz in Zeitschrift
Johannes Blum, Martin Mosler, Niklas Potrafke, Fabian Ruthardt
ifo Institut, München, 2020
ifo Schnelldienst, 2020, 73, Nr. 04, 48-51
Kontakt
Prof. Dr. Niklas Potrafke

Prof. Dr. Niklas Potrafke

Leiter des ifo Zentrums für öffentliche Finanzen und politische Ökonomie
Tel
+49(0)89/9224-1319
Fax
+49(0)89/907795-1319
Mail
Das könnte Sie auch interessieren