Stellungnahme -

ifo Standpunkt 216: Wie funktioniert der Exit aus dem Shutdown?

09.04.2020

Die Covid-19-Pandemie hat Deutschland wie viele andere Länder in eine beispiellose Krise gestürzt. Ausgeh- und Versammlungsbeschränkungen wurden verhängt, viele Unternehmen haben die Produktion eingestellt.

Bild Clemens Fuest für Standpunkte

Die Eingriffe sind nötig, um die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen. Allerdings verursachen sie astronomische Kosten. Nach Szenarien des ifo Instituts führt ein einmonatiger Shutdown, der die Wertschöpfung um gut ein Drittel reduziert, gefolgt von einer zweimonatigen Erholungsphase bereits dazu, dass das Bruttoinlandsprodukt um 5,7% fällt – in Deutschland immerhin rund 200 Mrd.  Euro. Eine zusätzliche Woche würde Mehrkosten von 42 Mrd. Euro verursachen. Das entspricht ungefähr dem deutschen Verteidigungshaushalt.

Gesundheitsschutz und wirtschaftliche Interessen zusammen denken

Die Gegenüberstellung von Menschenleben, die durch das Virus gefährdet sind, und Produktionsausfällen andererseits erweckt den Eindruck, es bestehe ein unlösbarer Konflikt zwischen wirtschaftlichen Interessen einerseits und Gesundheitsschutz andererseits. So einfach ist es aber nicht. Selbst wenn man gesetzliche Beschränkungen einfach aufheben würde: Die Wirtschaft kann nicht florieren, während ein gefährliches Virus grassiert. Wer umgekehrt denkt, dass die Gesundheit der Bevölkerung umso besser geschützt sei, je länger der Shutdown dauert, irrt ebenfalls. Der Shutdown hat zur Folge, dass viele andere Krankheiten nicht mehr behandelt werden. Psychische Leiden und soziale Probleme wie etwa häusliche Gewalt nehmen zu. Die Zerstörung der wirtschaftlichen Existenz von Selbständigen und wachsende Arbeitslosigkeit verursachen ebenfalls gesundheitliche Schäden.

Ein erfolgreicher Exit-Prozess muss den Schutz der Gesundheit mit wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Stabilisierung vereinen. Dabei sind vielfältige Risiken zu berücksichtigen. Gemeinsam mit einer interdisziplinären Wissenschaftlergruppe habe ich dazu eine Strategie vorgeschlagen. Wir halten weder das Ankündigen fester Ausstiegsdaten noch deren mechanische Bindung an einzelne Kennzahlen wie etwa die Zeit bis zur Verdopplung der Infiziertenzahlen für sinnvoll. Stattdessen ist ein flexibler, stufenweiser Öffnungsprozess erforderlich. Um die dabei entstehenden Infektionsrisiken einschätzen zu können, müssen entsprechende Informationen vorliegen. Deshalb sind großflächige Tests zur Überwachung der Virusausbreitung und des Anstiegs der Immunität in der Bevölkerung von zentraler Bedeutung. Ebenso grundlegend ist die Ausstattung der Krankenhäuser und Pflegeheime mit Schutzkleidung und Masken.

Kriterien für eine schrittweise Öffnung

Öffnungsschritte sollten sich an folgenden Kriterien orientieren. Sektoren mit niedriger Ansteckungsgefahr, etwa hochautomatisierte Fabriken, sowie vorwiegend weniger gefährdeten Personen, beispielsweise Kindertagesstätten und Schulen, sollten prioritär geöffnet werden. Einzelne Schüler oder Lehrer können zu Risikogruppen gehören und müssen geschützt werden. Das ist belastend, andauernde Schulschließungen sind aber die schlechtere Alternative.  Zusammenhänge zwischen Sektoren sind zu berücksichtigen. Beispielsweise können viele Menschen mit Kindern nicht zur Arbeit gehen, wenn Kindertagesstätten geschlossen sind. Sektoren, in denen gut im Homeoffice gearbeitet werden kann, haben weniger Priorität. Hohe Wertschöpfung spricht für prioritäre Öffnung. Beschränkungen, die hohe soziale oder psychische Belastungen implizieren, sind vorrangig zu lockern. Regionen mit niedrigeren Infektionsraten, weniger Verbreitungspotenzial oder hoher natürlicher Immunität können eher geöffnet werden. Das gilt auch für Regionen mit freien Kapazitäten in der Krankenversorgung.

Politik kann Folgen überbrücken

Wie kann die Politik die Wirtschaftsentwicklung im Exit-Prozess stützen? So lange es keine Impfung oder wirksame Behandlung für Covid 19 gibt, also vermutlich bis Jahresende, werden wir mit erheblichen Einschränkungen leben müssen. Die Wirtschaftspolitik konzentriert sich derzeit darauf, den Betroffenen die Überbrückung der Stilllegungszeit zu ermöglichen. Hier wird man nachlegen müssen. Klassische Konjunkturpolitik zur Stützung der Nachfrage, beispielsweise breite Steuersenkungen, würden derzeit ins Leere laufen. Stimulierende Maßnahmen müssen sehr zielgenau sein. Beispielsweise sind öffentliche Bauinvestitionen möglich, wenn die Arbeiten draußen stattfinden und Baumaterial lieferbar ist. Investitionen von Behörden in Digitalisierung sollten ebenfalls forciert werden, soweit die Einrichtungen nicht krisenbedingt überlastet sind. Zielgenauigkeit ist auch deshalb entscheidend, weil die Finanzierungskraft des deutschen Staates zwar groß, aber nicht unbegrenzt ist. Das wird auch gelten, wenn die Beschränkungen ganz überwunden und breitere Konjunkturprogramme möglich sind.

Clemens Fuest
Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft
Präsident des ifo Instituts

Erschienen unter dem Titel „Lockerung nach klaren Kriterien“, Handelsblatt,  9. April 2020, S. 47.

ifo Standpunkt
Clemens Fuest
ifo Institut, München, 2020
ifo Standpunkt Nr. 216
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