Ökonomenpanel von ifo und FAZ

Coronakrise: Ökonom*innen bewerten verschobene Prioritäten bei den wirtschaftspolitischen Reaktionen

Die Corona-Pandemie hat gewaltige Auswirkungen auf die Wirtschaft. Wie schlimm die ökonomischen Folgen sein werden, ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht absehbar. Nach anfänglichen ad-hoc-Reaktionen von Regierungen und Notenbanken verschieben sich die fiskalpolitischen Prioritäten hin zu Konjunkturhilfen. Ziel der Maßnahmen ist es, eine rasche Erholung der Wirtschaft zu ermöglichen. Das 29. Ökonomenpanel von ifo und FAZ widmet sich den wirtschaftspolitischen Maßnahmen in Deutschland und auf europäischer Ebene. An der Umfrage nahmen 120 Ökonom*innen teil. 

Große Mehrheit der Ökonom*innen befürwortet Hilfspaket der Bundesregierung noch immer

Die Bundesregierung hat als Reaktion auf die Coronakrise das größte Hilfspaket in der Geschichte der Bundesrepublik beschlossen. Der Umfang der haushaltswirksamen Maßnahmen beträgt insgesamt 353,3 Mrd. € und der Umfang der Garantien beläuft sich auf 819,7 Mrd. € (Bundesministerium der Finanzen 2020). 77% der Ökonom*innen befürworten das Hilfspaket und haben ihre Einstellung zum Hilfspaket im Vergleich zu Ende März nicht geändert. Sie begründen dies mit der unveränderten Krisensituation, die umfangreiche fiskalpolitische Maßnahmen erfordert. 3% lehnten das Hilfspaket anfangs ab, befürworten es aber inzwischen. 4% änderten Ihre Meinung von anfänglicher Zustimmung zu Ablehnung. 7% lehnen das Hilfspaket bereits seit Ende März ab und begründen dies mit dem geringen Nutzen der Maßnahmen.

ifo Ökonomenpanel Grafik Einstellung zum Hilfspaket

Beim letzten Ökonomenpanel hielten 67% der Teilnehmer*innen die Höhe des Nachtragshaushalts aufgrund der Ausnahmesituation der Pandemie für angemessen (Blum et al. 2020). Die Zustimmung für den Umfang des Hilfspakets der Bundesregierung sinkt im aktuellen Ökonomenpanel auf 60%. Während beim letzten Ökonomenpanel nur 6% die Summe des Nachtragshaushalts als „zu hoch“ bewerteten, beurteilen jetzt 18% der Ökonom*innen die Summe des mittlerweile größer gewordenen Hilfspakets als „zu hoch“ und begründen dies mit einer ineffizienten Nutzung der Gelder. Gleichzeitig fordern nur noch 4% der Teilnehmer*innen umfangreichere Maßnahmen. Beim letzten Ökonomenpanel waren es noch 14%.

ifo Ökonompenpanel Grafik Historisches Hilfspaket

Erhöhung des Kurzarbeitergeldes wird positiv beurteilt

Dreiviertel der Ökonom*innen sehen die Erhöhung des Kurzarbeitergeldes mit zeitlicher Staffelung „positiv“ oder „eher positiv“. 69% befürworten auch die Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes. Bei der Unterstützung für Unternehmen stehen 65% der Ökonom*innen Investitionszuschüssen „positiv“ oder „eher positiv“ gegenüber. Für die Ausweitung der steuerlichen Verlustrückträge für Unternehmen sprechen sich sogar 90% der Ökonom*innen aus. Demgegenüber werden temporäre Umsatzsteuersenkungen eher negativ gesehen.

Ökonom*innen gespalten bei früherer Soli-Abschaffung

Eigentlich sollte der Solidaritätszuschlag erst ab 1. Januar 2021 für 90% der Steuerzahler entfallen und für Bruttoeinkommen zwischen 73.000 € und 109.000 € (verheiratet: zwischen 151.000 € und 221.000 €) reduziert werden (Bundesministerium der Finanzen 2019). Im Ökonomenpanel sprechen sich aber 53% der Ökonom*innen für einen früheren Abbau aus. 41% sehen das „negativ“ oder „eher negativ“.

Kaufprämie für Autos, Urlaubsförderung, Familienprämie und Konsumgutscheine fallen durch.
Bei Politikern beliebte und medienwirksame Maßnahmen haben es bei den Teilnehmer*innen des Ökonomenpanels schwer. 89% beurteilen die Kaufprämie für Neufahrzeuge „negativ“ oder „eher negativ“. Ebenfalls 89% sehen eine finanzielle Förderung von Urlaub in Deutschland „negativ“ oder „eher negativ“. 64% lehnen eine Einmalzahlung an Familien ab. Konsumgutscheine für lokale Geschäfte treffen bei 68% der Ökonom*innen auf Widerstand.

Von Konjunkturmaßnahmen sollen alle profitieren

Fördermaßnahmen für einzelne Branchen werden von den Ökonom*innen im Allgemeinen kritisch gesehen. Zwar beurteilen 69% der Ökonom*innen einen Einkommensausgleich für Kulturschaffende „positiv“ oder eher „positiv“. Abgesehen von dieser speziellen Maßnahme fordern die Teilnehmer*innen aber, dass die gesamtwirtschaftliche Belebung gefördert werden muss.

ifo Ökonomenpanel Mai 2020 Grafik Konjunkturmassnahmen

Mehrheit der Ökonom*innen sehen die langfristige Tragfähigkeit der deutschen Staatsfinanzen nicht gefährdet

Die Staatsschuldenquote wird von 59,8% Ende 2019 (Bundesbank 2020) auf geschätzt 75,3% Ende 2020 (Bundesministerium der Finanzen 2020) steigen. Trotzdem beurteilen 62% der Ökonom*innen das Risiko für die langfristige Tragfähigkeit der deutschen Staatsfinanzen als „sehr gering“ oder „gering“. Sie begründen dies mit der geringen Staatsschuldenquote, der niedrigen Zinslast und einer verantwortungsvollen Haushaltspolitik. 25% schätzen das Risiko als „hoch“, 12% sogar als „sehr hoch“ ein, da Maßnahmen auf europäischer Ebene noch nicht berücksichtigt seien, Unsicherheit bezüglich der zukünftigen wirtschaftlichen Entwicklung bestehe und Staatsausgaben ineffizient eingesetzt werden würden.

ifo Ökonomenpanel Mai 2020 Grafik Risiko für deutsche Staatsfinanzen

Knappes Drittel für permanent höhere Staatsverschuldung

29% der Ökonom*innen wollen die höhere Staatsverschuldung durch die Coronakrise nicht gegenfinanzieren. Die zusätzlichen Kredite seien aufgrund des niedrigen Zinsniveaus günstig und durch ein zukünftig höheres Wirtschaftswachstum würde die Staatsschuldenquote automatisch wieder sinken. 35% befürworten eine Mischung aus höheren Steuereinnahmen und geringeren Staatsausgaben für die Gegenfinanzierung, da dies die Lasten intertemporal am besten verteile. 20% sprechen sich für künftige Ausgabenkürzungen aus und begründen dies mit dem hohen Vorkrisenniveau der Staatsausgaben, potentiell positiver Wachstumseffekte einer Konsolidierung und dem Potential für künftige Steuerkürzungen. Die Gegenfinanzierung über höhere Steuereinnahmen wird von 7% der Teilnehmer*innen befürwortet. Begründet wird dies mit dem Potential für eine Reduzierung der Einkommensungleichheit und mit der Annahme eines höheren Wirtschaftswachstums und daraus folgend höheren Steuereinnahmen. 6% der Ökonom*innen nennen andere Maßnahmen wie den Abbau von Regulierungen und wachstumsfördernde Programme, um der höheren Staatsverschuldung zu begegnen.

ifo Ökonomenpanel Mai 2020 Grafik Staatsverschuldung

Eine gemeinsame Schuldenaufnahme der EU-Staaten ist umstritten

Die Diskussionen über Hilfsmaßnahmen für EU-Staaten (Merkel-Macron-Fonds und der Plan der „sparsamen Vier“) hat die Kontroversen um eine gemeinsamen Schuldenaufnahme auf europäischer Ebene neu entfacht. 35% der teilnehmenden Ökonom*innen befürwortet eine gemeinsame Schuldenaufnahme der EU-Staaten. 38% lehnen diese ab. 26% antworten mit „Teils-teils“. Befürworter sprechen von einem wichtigen Zeichen der europäischen Solidarität angesichts der Notlage in manchen Ländern und der Notwendigkeit für die Erhaltung des europäischen Wirtschaftsraums. Gegner begründen ihre Entscheidung mit der falschen Anreizsetzung und der fehlenden Kompetenz auf europäischer Ebene. Außerdem führe die gemeinsame Schuldenaufnahme nicht zu einer Lösung der jeweiligen strukturellen Probleme in den einzelnen Ländern. Unentschlossene verweisen auf die Sondersituation durch die Coronakrise, die temporäre Dimension der Schuldenaufnahme und die Schwierigkeit, die zeitliche Befristung durchzusetzen.

ifo Ökonomenpanel Mai 2020 Grafik Schuldenaufnahme auf europäischer Ebene

Hilfen für EU-Staaten sollen aus Krediten und nicht rückzahlbaren Zuschüssen bestehen

Die Hälfte der Ökonom*innen wünscht sich eine Mischung aus Krediten und nicht rückzahlbaren Zuschüssen, um in Not geratenen EU-Staaten zu helfen. Sie begründen dies mit der Notwendigkeit eigener Anstrengungen ohne die Haushalte in Not geratener Länder zu überlasten. Ein Viertel befürwortet ausschließlich nicht rückzahlbare Zuschüsse, da es sich um eine unverschuldete Sondersituation handle und zusätzliche Kredite aufgrund des hohen Schuldenstands einzelner Länder nicht zielführend seien. 9% wollen den EU-Staaten ausschließlich mit Krediten helfen, um einer falschen Anreizsetzung vorzubeugen. 6% fordern andere Maßnahmen wie direkte medizinische Hilfe, eine Umstrukturierung des EU-Haushalts oder die Einführung einer Steuer, deren Einnahmen an in Not geratene EU-Staaten ausgezahlt werden könne. Ebenfalls 8% wollen gar nicht helfen, da die Maßnahmen in der Eigenverantwortung der Länder lägen.

ifo Ökonomenpanel Mai 2020 Grafik Hilfe für in Not geratene EU-Staaten

Literatur

Aufsatz in Zeitschrift
Johannes Blum, Martin Mosler, Niklas Potrafke, Fabian Ruthardt
ifo Institut, München, 2020
ifo Schnelldienst, 2020, 73, Nr. 04, 48-51
Aufsatz in Zeitschrift
Klaus Gründler, Niklas Potrafke, Fabian Ruthardt
ifo Institut, München, 2020
ifo Schnelldienst, 2020, 73, Nr. 06, 52-55
Kontakt
Prof. Dr. Niklas Potrafke

Prof. Dr. Niklas Potrafke

Leiter des ifo Zentrums für öffentliche Finanzen und politische Ökonomie
Tel
+49(0)89/9224-1319
Fax
+49(0)89/907795-1319
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