Gastbeitrag

Ab ins Homeoffice!

Jean-Victor Alipour, Harald Fadinger und Jan Schymik

In der Corona-Krise zeigt sich: Als Arbeitsort hat das Büro ausgedient. Aufgeben sollte man es dennoch nicht. Seine Stärke liegt woanders.


Quelle:
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Selten hat sich unser Arbeitsumfeld auf solch rasante Weise verändert wie jetzt. Obwohl etwas mehr als die Hälfte der Jobs in Deutschland grundsätzlich im Homeoffice ausgeübt werden könnte, tauschte vor Ausbruch der Corona-Pandemie lediglich jeder zehnte Arbeitnehmer regelmäßig das Büro gegen den Schreibtisch zu Hause ein. Nun hat die Krise Arbeitgeber und -nehmer dazu gezwungen, technische Hürden und Homeoffice-Stigmen innerhalb kürzester Zeit zu überwinden.

 Die Vorteile von Telearbeit in der Pandemie liegen auf der Hand. Während die meisten politischen Maßgaben entweder epidemiologische oder ökonomische Ziele verfolgen, vereint Telearbeit diese beiden Ziele. Obwohl der Wechsel ins Homeoffice in vielen Haushalten in kürzester Zeit und unter widrigen Voraussetzungen umgesetzt wurde - parallel zu Kinderbetreuung oder ohne entsprechende Ausstattung -, ist der Erfolg dennoch messbar, wie unsere Untersuchungen zeigen. Regionen mit einem hohen Anteil homeofficefähiger Jobs verzeichneten demnach deutlich geringere Kurzarbeiterzahlen, verglichen mit Regionen mit niedrigem Homeoffice-Potential. Die Verlagerung des Arbeitsplatzes ins Homeoffice hatte demnach einen beschäftigungssichernden Effekt. Zudem ergab die Auswertung von Umfragedaten des Ifo-Instituts, dass Unternehmen, die kurzfristig verstärkt auf Telearbeit setzen konnten, bislang seltener mit negativen Auswirkungen der Krise kämpften.

 Neben der positiven wirtschaftlichen Wirkung hat sich Telearbeit auch aus gesundheitspolitischer Sicht bewährt. Wo mehr Menschen ihre Arbeit zu Hause ausüben können, fallen Infektions- und Sterberaten deutlich niedriger aus. Das hat zwei Gründe: Zum einen wird das Infektionsrisiko auf dem Arbeitsweg reduziert; zum anderen vergrößert sich die räumliche Distanz unter den restlichen Mitarbeitern in den Betrieben. Unsere Untersuchungen haben ergeben, dass insbesondere in den Wochen vor den bundesweit abgestimmten Kontaktbeschränkungen der Wechsel ins Homeoffice in Regionen mit einem hohen Homeoffice-Potential das Infektionsgeschehen messbar verlangsamt hat. Das heißt: Wo es keine staatlich verordneten Restriktionen (mehr) gibt, kann die Telearbeit die Infektionsrate dämpfen.

 Doch wird Homeoffice auch über die Pandemie hinaus zur neuen Normalität? Einiges spricht dafür, dass die Krise eine katalysierende Wirkung auf die Neuorganisation von Arbeit entfalten wird. So leistet sie einem technologischen Wandel Vorschub: Arbeitsprozesse werden innerhalb kürzester Zeit digitalisiert, neue Kommunikationstools eingesetzt und digitale Kompetenzen aufgebaut. In einer aktuellen Umfrage des Ifo-Instituts gab die Mehrheit der Firmen an, auch nach der Krise verstärkt auf Homeoffice setzen zu wollen. Anekdotische Evidenz lässt sogar vermuten, dass Büros bald kleiner werden könnten.

 Die unmittelbaren Vorteile einer solchen Verlagerung sind offensichtlich. Betriebe sparen sich teure Büroflächen in immer dichter besiedelten Metropolen, und Beschäftigte verbringen weniger Zeit im Stau oder in überfüllten U-Bahnen. Unsere eigenen Untersuchungen anhand von Mobilitätsdaten, die Verkehrsströme anhand der Bewegung von Mobilfunkgeräten messen, zeigen diesen Effekt deutlich. Verglichen mit Landkreisen mit weniger homeofficefähigen Jobs, fiel der Straßenverkehr in Kreisen mit höherem Homeoffice-Potential in den Wochen vor dem Eintritt der Kontaktbeschränkungen merklich geringer aus. Ein ähnliches Bild zeigt sich auch beim Pendlerverkehr in Zügen. Eine Reduktion des Verkehrs kommt letztendlich auch der Umwelt zugute. Ebenso ist eine Entspannung der städtischen Wohnungsmärkte denkbar, wenn die Notwendigkeit wegfällt, in unmittelbarer Nähe zur Arbeitsstätte zu wohnen. Davon könnten wiederum Menschen ohne beruflichen Zugang zu Homeoffice, etwa Beschäftigte im Gesundheitswesen, profitieren.

 Außerdem könnte die Beseitigung der räumlichen Entfernung als limitierender Faktor das Matching von Jobsuchenden und Arbeitgebern verbessern, also die Chance des Zueinanderfindens steigern. Letztendlich ließe sich so die gesamtwirtschaftliche Produktivität steigern. Die positive Wirkung der Telearbeit auf die Produktivität ist empirisch belegt. In einer Studie über amerikanische Patentprüfer etwa zeigte sich dieser Effekt. Auch ein Feldexperiment mit Mitarbeitern eines chinesischen Callcenters gab Hinweise darauf, dass Telearbeit die Produktivität steigerte und zu einer höheren Mitarbeiterzufriedenheit führte.

 Dennoch sprechen gute Gründe gegen eine vollständige Reorganisation in Richtung Homeoffice. Eine dauerhafte Isolation während der Arbeit kann eine psychosoziale Belastung sein. Im erwähnten Feldexperiment kehrte die Hälfte der Teilnehmer nach Beendigung der Studie freiwillig zurück in den Betrieb. Häufigster Grund für diesen Schritt waren Einsamkeit und der Mangel an sozialem Austausch.

 Hinzu kommt, dass die Konzentration wirtschaftlicher Aktivität in Ballungsräumen gerade den Transfer von Ideen, Wissen, Zielen oder Motivation fördert und so maßgeblich zur Produktivität beiträgt. Ökonomen sprechen von Agglomerationseffekten. Eine durch Telearbeit getriebene Deagglomeration würde diese Möglichkeiten verspielen, sofern sich diese Formen der Interaktion nicht vollständig ins Digitale verlagern lassen. Daher ist davon auszugehen, dass sich Arbeitsmodelle eher in Richtung einer hybriden Arbeitsform zwischen Homeoffice und Präsenzarbeit entwickeln werden. Büros wären dann vielmehr eine Begegnungsstätte statt bloßer Arbeitsraum. Letztendlich ließen sich so die Vorzüge des Homeoffice mit denen des sozialen Austauschs im Betrieb vereinen.

 Jean-Victor Alipour ist Doktorand der Volkswirtschaftslehre am ifo Institut und an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Prof. Harald Fadinger, Ph.D., ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Mannheim. Dr. Jan Schymik ist Postdoktorand für Volkswirtschaftslehre an der Universität Mannheim.

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