Gemeinschaftsdiagnose

Gemeinschaftsdiagnose Frühjahr 2021: Pandemie verzögert Aufschwung – Demografie bremst Wachstum

Das erste Jahr der Corona-Pandemie stand in Deutschland im Zeichen extremer Schwankungen der ökonomischen Aktivität und einer massiven Lähmung der Binnenwirtschaft. Der kräftige Erholungsprozess nach dem Ende des Shutdowns im vergangenen Frühjahr kam im Zuge der zweiten Infektionswelle über das zurückliegende Winterhalbjahr insgesamt zum Erliegen, wobei der Konjunkturverlauf zwischen Industrie und Dienstleistern große Unterschiede aufweist. Die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute erwarten einen Anstieg des Bruttoinlandsprodukts um 3,7% im laufenden Jahr und um 3,9% im Jahr 2022.

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Starke Exporte stützen Konjunktur

Nach dem dramatischen Einbruch im Frühjahr 2020 hat der deutsche Außenhandel im zweiten Halbjahr wieder Tritt gefasst. In der ersten Jahreshälfte 2021 setzt sich die Erholung der Exporte fort. Der Auftragseingang aus dem Ausland lag bereits im Januar deutlich über dem Vorkrisenniveau.

Anders als in früheren Krisen ist der private Konsum diesmal kein stabilisierender Faktor, sondern seinerseits mitursächlich für die starken Schwankungen. Maßgeblich hierfür ist, dass Infektionsschutzmaßnahmen zahlreiche kontaktintensive Geschäftsmodelle vor allem in den konsumbezogenen Dienstleistungsbranchen behindern, so dass die privaten Haushalte ihre Ausgaben nicht wie gewohnt tätigen können. Damit reagiert die ökonomische Aktivität dort – bis heute – stark auf das Pandemiegeschehen. 2020 gingen die privaten Konsumausgaben so stark zurück wie noch nie in der deutschen Nachkriegsgeschichte. In ihrer Prognose gehen die Institute davon aus, dass der derzeitige Shutdown zunächst fortgesetzt wird und dabei auch die zuletzt erfolgten Lockerungen wieder weitgehend zurückgenommen werden. Erneute Lockerungsschritte werden erst ab Mitte des zweiten Quartals erwartet, eine Aufhebung der Beschränkungen dann bis zum Ende des dritten Quartals. Im Zuge der Lockerungen wird für das Sommerhalbjahr eine kräftige Ausweitung der Wirtschaftsaktivität, vor allem bei den von der Pandemie besonders betroffenen Dienstleistungsbereichen, erwartet. Verwendungsseitig spielt dabei der private Konsum die Hauptrolle. In dem Maße, wie Impffortschritte auch in anderen Ländern erzielt werden, wird sich auch der grenzüberschreitende Dienstleistungshandel neu beleben.

Angesichts der zu erwartenden Lockerungen dürfte auch die Erholung der Erwerbstätigkeit im Sommerhalbjahr an Fahrt gewinnen. Im Jahresdurchschnitt ist für das Jahr 2021 ein Anstieg der Erwerbstätigkeit um 26.000 Personen zu erwarten. Im kommenden Jahr dürfte der Anstieg 539.000 Personen betragen, wobei das Vorkrisenniveau im ersten Halbjahr erreicht wird. Im Zuge der Lockerungen der Infektionsschutzmaßnahmen ab Mai wird auch die Zahl der Arbeitslosen verstärkt zurückgehen. Die Arbeitslosenquote dürfte in diesem Jahr mit 5,7% und im kommenden Jahr mit 5,2% aber noch über dem Vorkrisenniveau von 5% liegen.

Die öffentlichen Haushalte dürften im Jahr 2021 ein Defizit aufweisen, das mit 159 Mrd. Euro noch etwas höher ausfällt als im Jahr zuvor. Zwar nehmen konjunkturell die Steuereinnahmen bereits wieder zu. Die Ausgaben für Impfungen und Tests lassen jedoch die sozialen Sachleistungen kräftig steigen. Die Investitionstätigkeit des Staates dürfte zudem weiter expandieren, insbesondere aufgrund der verfügbaren Mittel in Investitionsprogrammen. In Relation zum Bruttoinlandsprodukt dürfte das gesamtstaatliche Budgetdefizit im Jahr 2021 mit 4,5% in etwa konstant bleiben und im Jahr 2022 deutlich auf 1,6% zurückgehen.

Die Corona-Pandemie hinterlässt Spuren beim Produktionspotenzial. Nach der aktuellen Schätzung dürfte es in den Jahren 2020 bis 2024 durchschnittlich rund 1,1% unter dem Niveau liegen, das vor der Coronakrise geschätzt wurde. Zudem rücken die Konsequenzen des demografischen Wandels in Deutschland immer näher. Mit dem Eintritt der Babyboomer in das Rentenalter wird die Erwerbsbevölkerung in wenigen Jahren schrumpfen und der Anteil der Älteren deutlich steigen. Die Folgen für das Potenzialwachstum sind beträchtlich: Bis zum Jahr 2030 muss mit einer Verringerung der jährlichen Potenzialwachstumsrate um rund einen Prozentpunkt gerechnet werden.

Infografik, Reales Bruttoinlandsprodukt in Deutschland, April 2021

Wirtschaftspolitik: Krise bewältigen

Die Wirtschaftspolitik hat zügig und mit umfangreichen Maßnahmen auf die wirtschaftliche Krise reagiert. Dies dürfte dazu beigetragen haben, dass der Bestand vieler durch die Krise getroffenen Unternehmen bislang gesichert wurde. Insgesamt hat allein der Bund Hilfen in Höhe von mehr als einer Billion Euro zugesagt. Dabei spricht die Anatomie der Krise für solche Instrumente, die schnell und zielgerichtet wirken und sich zudem selbst dosieren. Hierzu zählt die Möglichkeit des steuerlichen Verlustrücktrags, der bereits jetzt genutzt wird, allerdings auf die Gewinneinkünfte des Jahres 2019 begrenzt und bis zu einem Höchstbetrag von 10 Millionen Euro gedeckelt ist. Eine Ausweitung dieser Regelungen auf die Jahre 2018 und 2017 könnte die Liquidität der durch die Krise getroffenen Unternehmen ohne weitere Prüfung stärken. Für junge und neu gegründete Unternehmen bedarf es freilich gesonderter Programme. Um Unternehmensgründungen zu fördern, wäre beispielsweise auch eine Weiterentwicklung des Gründungszuschusses eine Handlungsmöglichkeit.

Solide Staatsfinanzen sind eine wichtige Voraussetzung, um angemessen auf makroökonomische Krisen reagieren zu können. Auch deshalb ist ein strukturell ausgeglichener Haushalt in normalen Zeiten sinnvoll. Der demografische Wandel lastet aber mittel- und langfristig auf den Wachstumsperspektiven. Für das Erreichen eines strukturell ausgeglichenen Haushalts bleiben damit entweder die Möglichkeit der Konsolidierung auf der Ausgaben- oder die Stärkung der Einnahmeseite. Die Abgabenquote in Deutschland ist bereits auf einem gesamtdeutschen Höchststand – Bedarf für erhebliche Mehrausgaben gerade im investiven Bereich ist angemeldet. Vor diesem Hintergrund rückt ein höheres Renteneintrittsalter stärker in den Fokus, würde dies doch die Einnahmeseite der Rentenversicherung stärken und zudem das Produktionspotenzial erhöhen. Ein solcher Schritt brächte somit eine doppelte Rendite.

Weltwirtschaft weiter auf Expansionskurs

Die internationale Konjunktur dürfte rasch anziehen, sobald sich der Bann der Pandemie löst. Allerdings erholen sich die einzelnen Weltregionen zeitlich versetzt: In China ist die Konjunktur zur Jahreswende auf Hochtouren gelaufen, wieder niedrigere Einkaufsmanagerindizes deuten auf eine moderate Verlangsamung im Frühjahr hin. Zu diesem Zeitpunkt werden finanzpolitische Impulse und Erfolge der Impfkampagne für eine sehr kräftige Konjunktur in den USA sorgen. Pandemiebedingt liegt der Euroraum weiter zurück, für das erste Quartal ist sogar mit einem deutlichen Rückgang der Produktion zu rechnen. Das gilt auch für Großbritannien, wo zudem der wichtige Handel mit der EU unter den Folgen des Brexit leidet. Der Produktionsrückgang in Europa schlägt sich zu Jahresbeginn auch in einer langsameren Expansion der Weltproduktion nieder. Im Sommerhalbjahr dürfte die europäische Konjunktur zunehmend in Schwung kommen, in Großbritannien schneller als in der EU. Dagegen sind die wirtschaftlichen Aussichten in den meisten Schwellen- und Entwicklungsländern dadurch getrübt, dass der Großteil der Bevölkerung noch bis ins Jahr 2022 hinein nicht geimpft sein wird.

Alles in allem legt die Weltproduktion im Jahresdurchschnitt 2021 voraussichtlich um 6,3% zu, nach einem Rückgang von 3,6% im Jahr 2020. Für das Jahr 2022 erwarten die Institute eine wiederum recht kräftige Zunahme um 4,1%.

Infografik reales Bruttoinlandsprodukt im Euroraum, April 2021
Infografik, Reales Bruttoinlandsprodukt in der Welt, April 2021

Risiken

Abwärtsrisiken: Ein wesentliches Abwärtsrisiko für die Konjunktur geht weiterhin vom Pandemiegeschehen aus. Ein weiteres Risiko sind zukünftige Insolvenzen. Schließlich ist die Handelspolitik nach wie vor mit einem Abwärtsrisiko verbunden, da die Biden-Administration im Grundsatz die gleichen wirtschaftspolitischen Ziele verfolgt wie die Vorgängerregierung.

Aufwärtsrisiken: Im internationalen Umfeld könnte die Kombination von stark expansiver Wirtschaftspolitik und hoher zurückgestauter Ersparnis zu einem Konsumschub führen. In Deutschland stellt die bei den privaten Haushalten während der Pandemie aufgestaute Kaufkraft ein Aufwärtsrisiko dar. Sollten die privaten Haushalte stärker auf ihre Ersparnisse zurückgreifen, würde das Bruttoinlandsprodukt deutlich stärker ausgeweitet werden. In diesem Falle würden auch die Verbraucherpreise deutlich stärker steigen.

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Prof. Dr. Timo Wollmershäuser

Prof. Dr. Timo Wollmershäuser

Stellvertretender Leiter des ifo Zentrums für Makroökonomik und Befragungen und Leiter Konjunkturprognosen
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