Gastbeitrag

Europäische Zentralbank auf grünen Abwegen

Clemens Fuest, Hans Peter Grüner und Volker Wieland erläutern die Frage, ob die „grüne" Geldpolitik der EZB legitim ist.


Quelle:
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Das Direktorium der Europäischen Zentralbank will die Geldpolitik "grüner" machen. Kaum eine Woche vergeht, in der das Thema nicht von einem Mitglied des Direktoriums beworben wird. Neben dem sichtbaren Bemühen, die traditionell trocken anmutende Geldpolitik als praktisch hilfreich und bürgernah erscheinen zu lassen, laufen die Aktivitäten der EZB in der Sache selbst darauf hinaus, ihre Kompetenzen nochmals deutlich auszuweiten. Es geht dabei erstens um die eigenständige Beurteilung der Umweltfreundlichkeit von durch Unternehmensanleihen oder Bankkredite finanzierten Projekten und zweitens um eine direkte oder mittelbare Bevorzugung der positiv bewerteten Projekte bei den verschiedenen Markttransaktionen der Zentralbank.

Wer diese Politik kritisieren will, hat es nicht leicht, liegt es doch nahe, dahinter Desinteresse an Klimafragen oder eine negative Grundhaltung gegenüber europäischen Institutionen zu vermuten. Weder das eine noch das andere trifft auf uns zu: Wir sorgen uns um die Legitimation der Unabhängigkeit einer Zentralbank, die ihr Mandat in das Politische hinein überdehnt.

Die Legitimierung "grüner" Geldpolitik basiert auf drei Bausteinen: einem vermuteten Beitrag grüner Geldpolitik zur Preisstabilität, einer großzügigen Auslegung des Mandats der EZB und einem postulierten Marktversagen. Wir wollen diese Bausteine im Einzelnen würdigen.

Entlang der ersten Begründungslinie wird behauptet, klimabedingte Umweltkatastrophen könnten bestimmte Preise - etwa die Lebensmittelpreise - und damit auch die Inflation steigen lassen. Die EZB sei also aufgerufen, dem Klimawandel vorzubeugen. Derartige sehr langfristige Zusammenhänge sind durchaus denkbar, allerdings sind sie zu wenig untersucht, um daraus quantifizierbare Empfehlungen für kurzfristige geldpolitische Maßnahmen abzuleiten. Einerseits sind Richtung und Größe der Auswirkungen des Klimawandels auf einzelne Preise schwer prognostizierbar. Andererseits ist unklar, inwieweit der Klimawandel sich durch eine europäische Geldpolitik steuern lässt, denn es handelt sich um ein globales Phänomen. Vor allem fehlt aber der glaubhafte Bezug einzelner Preise zum Primärziel der EZB. Relative Preise müssen in einer Marktwirtschaft schwanken. Das Risiko schwankender Lebensmittelpreise ist ebenso mit dem Ziel der Preisstabilität vereinbar wie das Risiko schwankender Rohstoffpreise. Die EZB hat die Stabilität des Preisniveaus insgesamt und damit der Kaufkraft zum Ziel. Sie schützt die Geldwertstabilität am besten, indem sie direkt auf einen Anstieg der Inflation oder der Inflationserwartung mit einer Straffung der Geldpolitik reagiert.

Schwerer wiegt das Argument, klimabedingte Katastrophen könnten die geldpolitische Steuerung erschweren, sofern sie den Finanzsektor in Mitleidenschaft ziehen. Deshalb müsse die Zentralbank dem Klimawandel entgegenwirken. Wenn dieses Argument tragfähig wäre, müsste die Zentralbank auch in vielen anderen Politikbereichen Risiken beurteilen und ihnen entgegenwirken. Die EZB müsste sich außen- oder handelspolitisch engagieren, um Kriege oder Handelskonflikte und daraus resultierende Finanzkrisen zu verhindern. Wenigstens bislang fordert das aber niemand.

Die von der EZB gewählte Begründungslinie über mögliche direkte Preis- und indirekte Finanzmarkteffekte ist genau deshalb nicht stichhaltig, weil sie gar keine Abgrenzung der Geldpolitik von anderen Politikbereichen mehr zuließe. Die EZB würde zu einem einflussreichen und zugleich unabhängigen Akteur in Bereichen, für die bislang aus guten Gründen gewählte Parlamente und Regierungen zuständig sind. Zugleich würde der Ruf nach weiteren korrigierenden verteilungspolitischen Eingriffen wahrscheinlich, da nicht alle Volkswirtschaften gleichermaßen in grüne Projekte investieren. Das wäre erst recht zu erwarten, wenn die EZB eine Bevorzugung grüner Anleihen konsequent auch auf Staatsanleihen ausweiten würde.

Zweitens und hilfsweise wird daher das Argument bemüht, die Geldpolitik solle vertragsgemäß auch die allgemeine Wirtschaftspolitik der EU unterstützen, sofern das nicht dem Ziel der Geldwertstabilität entgegenwirkt. Aber kann die EZB über den Anleihemarkt Klimapolitik betreiben, ohne beim Ziel der Geldwertstabilität Kompromisse einzugehen? Die Antwort ist nicht ganz einfach. Falls "grüne" und andere Anleihen am Markt als enge Substitute gelten, spielt es für die Transmission der Geldpolitik in die Realwirtschaft keine Rolle, welche Anleihen die Zentralbank kauft oder als Besicherung entgegennimmt. Die Preise beider Anleihen gehen dann Hand in Hand. Dann aber wäre grüne Geldpolitik faktisch unwirksam. Ist die Substitutionsbeziehung der Anleihen hingegen nicht perfekt, wirkt sich eine Transaktion der Zentralbank über volkswirtschaftliche Sektoren hinweg unterschiedlich aus.

Seit die Notenbanken im Zuge der Finanzkrise die Leitzinsen auf nahe null Prozent gesenkt haben, versuchen sie, mit direkten Wertpapierkäufen die gesamtwirtschaftliche Nachfrage und Inflation anzuregen. Anleger sollen dazu gebracht werden, ihre Portfolios umzuschichten, damit Risikoprämien sinken. Die Wirkungskette ist jedoch unsicher und macht die Steuerung der Inflation schwieriger. Wenn man die Ankäufe nun gemäß einem Klimaziel auf grüne Anleihen konzentriert, statt breit auf alle wählbaren Segmente des Anleihemarktes, ist man sektorspezifischen Schwankungen in der Wirksamkeit der Geldpolitik noch stärker ausgeliefert. Eine größere Varianz der Inflation würde dem Ziel der Geldwertstabilität aber klar widersprechen.

Darüber hinaus entsteht durch grüne Anleihekäufe ein Zielkonflikt: Selektive Maßnahmen können nur etwas erreichen, wenn genügend Anleihen angekauft werden. Das ist aber nicht immer geldpolitisch geboten. Andersherum können von den wählbaren grünen Bonds auch einmal zu wenige zur Verfügung stehen. Daher ist der Spielraum der EZB faktisch klein: Etwas anderes als Preisstabilität ernsthaft zu verfolgen ruft praktisch immer einen Zielkonflikt hervor.

Das dritte Argument, der Markt versage beim Bepreisen der Klimarisiken in Unternehmensanleihen, ist schwach, denn es ist nicht klar, weshalb ausgerechnet die EZB in der Lage sei, dies zu identifizieren. In diesem Kontext oft zitiertes Marktversagen wie etwa verkürzte Zeithorizonte bei der Preisfindung zu messen ist schwierig, sonst ließe sich damit viel Geld verdienen. Selbst wenn es ginge, gibt es bessere Alternativen zu einem solchen diskretionären Eingreifen von Zentralbanken am Bondmarkt. Die einfachsten sind ein globaler CO2-Preis oder die globale Vergabe von Emissionslizenzen. Die Geldpolitik kann das nicht ersetzen. Soweit angemessene CO2-Preise existieren, richten zusätzliche geldpolitische Interventionen Schaden an, weil sie eine effiziente Verteilung von CO2-Einsparungen unter den Sektoren verhindern.

Die Tatsache, dass die EZB wegen ihrer Auswahlkriterien bislang nur in geringem Umfang grüne Bonds hält, rechtfertigt noch keine Ad-hoc-Anpassung dieser Kriterien. Vielmehr müssen diese mit Blick auf das geltende Recht so gewählt werden, dass Preisstabilität bestmöglich erreicht werden kann.

Die EZB hat seit ihrer Gründung beständig an Einfluss hinzugewonnen. Das gilt für ihre Beteiligung an der Troika im Rahmen der europäischen Schuldenkrise, die weitgehende Übernahme der Bankenaufsicht oder den länderspezifischen Ankauf von Staatsanleihen, der sich auch bei wohlwollender Auslegung an der Schnittstelle von Geld- und Fiskalpolitik bewegt. Anders als bei diesen vergangenen Schritten sind wir der Ansicht, dass die EZB mit einer "grünen" Geldpolitik den Bogen deutlich überspannt. Zu bereitwillig betritt sie den Raum, den ihr politische Institutionen lassen. Parlamente und Regierungen mögen überfordert erscheinen. Zu bewerten, ob sie es sind, ist aber nicht Aufgabe der Notenbank. Der Einstieg in eine umweltbezogene Bewertung und Bevorzugung von Anleihen durch die EZB ist nicht nur geldpolitisch schädlich. Selbst wenn er nicht formell rechtswidrig wäre, würde er die Geldpolitik zu einem demokratisch nicht legitimierten umweltpolitischen Akteur machen, den die europäischen Verträge sicherlich nicht einsetzen wollten.

Geldpolitische Bescheidenheit und Selbstbeschränkung setzen Anreize, die Probleme dort zu lösen, wo sie entstehen. Sie sollten die Tugenden jedes Zentralbankers sein. Eine um Popularität bemühte Geldpolitik, welche die Grenzen ihres Mandats nicht ernst nimmt, untergräbt auf Dauer ihre Unabhängigkeit.

Clemens Fuest ist Präsident des Ifo-Instituts in München.

Hans Peter Grüner ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Mannheim.

Volker Wieland ist Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.