Gastbeitrag

Hilft eine Versicherungspflicht?

Clemens Fuest und Marcel Thum erläutern die Frage, ob eine Versicherungspflicht gegen Elementarschäden ökonomisch sinnvoll ist.


Quelle:
Handelsblatt

Eine Pflicht, Gebäude gegen Elementarschäden zu versichern, kann zum ökonomischen Bumerang werden, bei richtiger Ausgestaltung aber auch hilfreich sein, analysieren Clemens Fuest und Marcel Thum.

Die dramatischen Flutschäden in Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und zum Teil auch in Bayern und Sachsen haben die Debatte um eine Versicherungspflicht für Elementarschäden neu belebt. Derzeit gibt es in Deutschland keine Pflicht für Hauseigentümer, sich gegen Überflutungsschäden zu versichern. Rund 46 Prozent aller Gebäude sind freiwillig versichert, aber innerhalb Deutschlands gibt es große Unterschiede. In Baden-Württemberg haben 94 Prozent eine Versicherung, im dieses Mal besonders getroffenen Rheinland-Pfalz sind es 37 Prozent, in Bremen sogar nur 23 Prozent. Eine amtliche Statistik darüber, wie viele Häuser in den Gebieten versichert sind, die besonders von Hochwasser bedroht sind, gibt es nicht. Eine Versicherungspflicht erscheint ökonomisch sinnvoll, sofern sie geeignet ausgestaltet wird.

Dann kann sie dazu beitragen, langfristig die gesamtwirtschaftlichen Schäden durch Überflutungen zu reduzieren. Die Versicherung schafft einen Anreiz, Neubauten eher in weniger gefährdeten Gebieten zu errichten. Wenn die grundsätzlich gute Idee einer Pflichtversicherung jedoch im politischen Prozess verwässert wird - und darauf deutet die aktuelle Debatte bereits hin - , würde eine solche Versicherungspflicht mehr Schaden als Nutzen anrichten.

Das wichtigste Argument für eine Pflichtversicherung ist das Samariterdilemma des Staates. Ist ein Elementarschaden wie bei der aktuellen Flutkatastrophe eingetreten und sind die betroffenen Gebäude nicht versichert, bleibt dem Staat kaum etwas anderes übrig, als die helfende Hand auszustrecken. Die Unterstützung durch die Solidargemeinschaft in der Not ist lobenswert, sie zu verweigern würde auf Unverständnis stoßen.

Die Unterstützung hat aber Rückwirkungen auf die Bereitschaft der Bürger, sich überhaupt zu versichern. In der Abwägung zwischen teurer Elementarschadenversicherung und dem Risiko, unversichert einen Schaden zu erleiden, fällt die Entscheidung oft gegen eine Versicherung aus - und das umso eher, je größer die staatliche Hilfe ist, die man erwarten kann, wenn es doch schiefgeht.

Wichtiger noch ist: Gleicht man die Schäden aus, ohne dass Versicherungsprämien erhoben werden, deren Höhe den Risiken entspricht, fehlt der Anreiz, besonders gefährdete Gebiete zu meiden. Tendenziell werden daher zu viele Gebäude in gefährdeten Lagen errichtet. Die Kosten dieser exzessiven Risikoübernahme trägt dann - zumindest teilweise - über die staatlichen Hilfen die Allgemeinheit.

Bei Versicherungsprämien, die lokale Risiken angemessen abbilden, müssten hingegen Immobilienbesitzer in gefährdeten Lagen mehr zahlen als in relativ sicheren. Die Folge: Es entstünden mehr neue Gebäude in weniger bedrohten Gebieten. Die Eigentümer von Immobilien in Überflutungslagen würden sich außerdem stärker dafür einsetzen, dass staatliche Stellen den Hochwasserschutz zum Beispiel durch zusätzliche Überflutungsflächen und Rückbau von Flussbegradigungen verbessern. Die Resilienz gegenüber Naturkatastrophen würde sich durch eine so ausgestaltete Pflichtversicherung erhöhen.

Gelegentlich wird gegen eine umfassende Versicherungspflicht eingewandt, dass ein entsprechendes Versicherungsangebot gar nicht existiere. Dabei wird allerdings übersehen: Das Versicherungsangebot wird gerade wegen der staatlichen Hilfen zurückgedrängt. Da in gefährdeten Gebieten die Versicherungsprämien hoch wären und sich im Vertrauen auf staatliche Hilfen kaum jemand versichern würde, lohnt es sich für die Versicherungen nicht, dieses Produkt überhaupt zu entwickeln.

Mit einer umfassenden Versicherungspflicht entstünde jedoch ein großer Markt in Deutschland, den private Versicherungen erschließen könnten. Angesichts der relativ geringen Größe Deutschlands im Weltmaßstab wäre auch nicht zu befürchten, dass sich diese Risiken im globalen Rückversicherungsmarkt nicht diversifizieren ließen.

Nach dem Elbehochwasser 2002 wurde schon einmal eine Versicherungspflicht diskutiert. Damals bestätigte die deutsche Versicherungswirtschaft, dass internationale Rückversicherer zumindest einen erheblichen Teil der Risiken absichern könnten. Zur Einführung einer Pflichtversicherung kam es aber nicht.

Gegen eine Versicherungspflicht könnte man ferner einwenden, sie würde Eigentümer bereits bestehender Häuser, die sie womöglich erst kürzlich zu hohen Preisen gekauft haben, unzumutbar belasten. Ihre Immobilien könnten noch mehr an Wert verlieren, als dies durch die wachsenden Flutrisiken ohnehin schon der Fall ist. Um auf diese Gruppe Rücksicht zu nehmen, sollte die Politik die Pflichtversicherung auf neu errichtete Häuser beschränken. Damit wäre zumindest dafür gesorgt, dass bei Neubauten Standorte mit Überflutungsrisiken vermieden werden.

Zusammengefasst: Eine Versicherungspflicht kann ökonomisch sinnvoll sein, um den Staat aus dem Samariterdilemma zu befreien und die Resilienz gegenüber Naturkatastrophen zu erhöhen. Um das zu erreichen, muss die Versicherung jedoch richtig konstruiert sein. Benötigt wird eine Versicherungspflicht mit sehr unterschiedlichen Prämien, deren Höhe vom Standort abhängt. Die Versicherungsprämien für einzelne Gebäude muss sich am jeweiligen individuellen Überflutungsrisiko orientieren.

Außerdem sollte sie eine Selbstbeteiligung beinhalten, um Anreize zu wahren, bauliche Konstruktionen zu wählen, die Flutschäden möglichst gering halten. Die Abdeckung durch die Versicherung darf aber auch nicht so niedrig sein, dass den Betroffenen trotzdem umfangreiche staatliche Hilfen gewährt werden.

Andererseits kann die Versicherungspflicht zum ökonomischen Bumerang werden, wenn essenzielle Bestandteile einer solchen Versicherungslösung, vor allem die risikoabhängigen Prämien, im politischen Prozess verwässert werden. Die Debatten zur Versicherungspflicht in der Vergangenheit haben gezeigt, dass die Politik häufig Einheitsprämien favorisiert.

Würde die Versicherungspflicht jedoch mit Einheitsprämien gekoppelt, wäre das Ergebnis noch schlechter als ohne Versicherung. Die Betroffenen erhielten zwar im Schadensfall eine Kompensation. Diese Kompensation käme aber von den anderen Pflichtversicherten statt vom Staat - hinter dem letztlich alle Steuerzahler beziehungsweise Versicherten stehen. Damit wären die Anreize, besonders gefährdete Gebiete zu meiden, noch geringer.

Wegen der Einheitsprämie macht es für den Einzelnen keinen Unterschied, ob er sein Gebäude in einer relativ sicheren oder gefährdeten Lage errichtet. Darüber hinaus würde eine solche umfassende Versicherung vermutlich einen größeren Teil der Schäden abdecken als die jetzigen staatlichen Hilfen, was die Anreize zum Neubau in sicheren Gebieten weiter schwächt.

Mit einer solchen fehlgeleiteten Versicherungslösung würde die Resilienz in Deutschland gegenüber den Folgen von Extremwetterereignissen geschwächt und nicht gestärkt. Eine richtig gestaltete Pflichtversicherung kann also helfen, eine falsch gestaltete aber wäre wohl schlechter als gar keine.

Würde die Versicherungspflicht mit Einheitsprämien gekoppelt, wäre das Ergebnis noch schlechter als ohne Versicherung.

Gleicht man die Schäden aus, ohne dass Versicherungsprämien erhoben werden, deren Höhe den Risiken entspricht, fehlt der Anreiz, besonders gefährdete Gebiete zu meiden.

Die Autoren Clemens Fuest ist Präsident des Ifo-Instituts und Professor für Volkswirtschaftslehre an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Marcel Thum leitet die Dresdener Niederlassung des Ifo-Instituts und ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der TU Dresden.

Kontakt
Prof. Dr. Dr. h.c. Clemens Fuest

Prof. Dr. Dr. h.c. Clemens Fuest

Präsident
Tel
+49(0)89/9224-1430
Mail
Portrait Prof. Dr. Marcel Thum

Prof. Dr. Marcel Thum

Leiter der ifo Niederlassung Dresden
Tel
+49(0)351/26476-19
Fax
+49(0)351/26476-20
Mail