Ökonomenpanel von ifo und FAZ

Europa: klimaneutral bis 2050

Das Pariser Klimaabkommen, Fridays for Future, und jüngst die Änderung des deutschen Klimaschutzgesetzes sowie das Paket „Fit for 55“ der EU-Kommission: Der Klimawandel wird von der internationalen Staatengemeinschaft, supranationalen Organisationen, der nationalen Politik und gesellschaftlichen Bewegungen zunehmend deutlich adressiert. Im Rahmen von „Fit for 55“ steigt das Minderungsziel der EU für 2030 um 15 Prozentpunkte auf mindestens 55% gegenüber 1990. In Deutschland wird mit der Änderung des Klimaschutzgesetzes 2021 die Zielvorgabe für weniger CO₂-Emissionen ebenfalls angehoben: Das Minderungsziel für 2030 steigt um 10 Prozentpunkte auf mindestens 65% gegenüber 1990. Durch die Verringerung der CO₂-Emissionen will Europa bis 2050 klimaneutral werden. Das 35. Ökonomenpanel von ifo und FAZ beschäftigt sich mit den einzelnen Komponenten des Europäischen Grünen Deals, den Vorschlägen für eine grüne Geldpolitik der EZB und den deutschen Klimaschutzmaßnahmen. Teilgenommen haben 171 Professor*innen an deutschen Universitäten.

Viele Ökonom*innen für mehr Anstrengungen in der europäischen Klimapolitik

Gut zwei Fünftel der teilnehmenden Ökonom*innen geben an, dass die EU mehr für den Klimaschutz tun sollte. Mit den aktuellen Maßnahmen sei die Erreichung der selbstgesetzten Reduktionsziele nicht möglich. Eine effektive Klimapolitik sei aber notwendig, da die Kosten eines ungebremsten Klimawandels zu hoch sind. Eine wirksame Klimapolitik sei außerdem nur über eine Stärkung der supranationalen Ebene möglich. Ein gutes Viertel der Ökonom*innen dagegen hält die aktuelle Klimapolitik der EU für angemessen. Dabei beziehen sich die Teilnehmer*innen auf den Green New Deal der EU. Gleichzeitig führen sie jedoch an, dass gewisse Grenzen der Handlungsfähigkeit durch die institutionelle Rolle der EU zu beachten sind. Ein Fünftel ist der Meinung, dass die aktuelle Klimapolitik der EU bereits zu extensiv ist und weniger für den Klimaschutz getan werden sollte. Als Gründe hierfür werden die fehlende Wirksamkeit der aktuell ergriffenen Maßnahmen, aber auch die Notwendigkeit einer globalen und nicht nur rein europäischen Klimapolitik genannt.

35. Ökonomenpanel von ifo und FAZ, Klimawandel, Grafik

Mehrheit der Ökonom*innen für Erweiterung des EU-Emissionshandels auf die Sektoren Verkehr und Wärme

Knapp 70% der teilnehmenden Ökonom*innen sind der Meinung, dass die Emissionen aus Verkehr und Wärme bepreist und im bestehenden EU-Emissionshandelsysten integriert werden sollen. Dies sei am effizientesten, da durch ein umfassendes und einheitliches Handelssystem Verzerrungen minimiert und kostenoptimale Vermeidungsentscheidungen getroffen werden könnten. Nur 17% sprechen sich für ein Parallelsystem aus, um den Übergang in die Bepreisung zu erleichtern und um mehr Flexibilität im Umgang mit bestehenden Unsicherheiten im Zusammenhang mit der Aufnahme der Sektoren zu haben. Gut 5% sind für eine Bepreisung auf nationaler Ebene. Nur 2% sind der Meinung, dass die Emissionen aus Verkehr und Wärme nicht bepreist und gehandelt werden sollten. 

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Ökonom*innen gespalten beim Thema Effort Sharing Regulation

Von den teilnehmenden Ökonom*innen sind 41% der Meinung, dass für Emissionen, die nicht vom europäischen Emissionshandelssystem erfasst werden, nationale Vermeidungsziele beibehalten werden sollen. Demgegenüber stehen 45%, die dies für nicht sinnvoll halten. Für die Beibehaltung spreche, dass die Vermeidungsziele an die individuellen Bedingungen in den einzelnen Staaten angepasst werden können und damit auch ohne eine supranational einheitliche Lösung ein Beitrag zur Einsparung von CO₂ geleistet werden könne. Dagegen führen einige Teilnehmer*innen an, dass unterschiedliche Vermeidungsziele durch die fehlende Einheitlichkeit weniger effizient seien. So könne es zu Substitutionen zwischen den Ländern kommen und die Klimapolitik durch die Mehrfachregulierung teurer werden ohne jedoch einen größeren Nutzen zu stiften.

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Ökonom*innen gegen Kombination der klimapolitischen Instrumente beim Straßenverkehr

Fast 50% der teilnehmenden Ökonom*innen sprechen sich dagegen aus, den Straßenverkehr in den EU-Emissionshandel zu integrieren und gleichzeitig die Flottenemissionsstandards zu verschärfen. Sie begründen dies mit negativen Wechselwirkungen zwischen den beiden Maßnahmen. Außerdem sprechen sich einige Ökonom*innen generell gegen Standards für die Flottenemissionen aus, da diese ineffizient, paternalistisch und nicht zielführend seien. Rund zwei Fünftel der teilnehmenden Ökonom*innen erachten die Kombination aus Emissionshandel und Flottenemissionsstandards beim Straßenverkehr für sinnvoll: Dadurch könnte man ein wirksames Signal an die Automobilindustrie setzen – gegen den Verbrennungsmotor. Auch wird angeführt, dass damit eine gewisse Verbindlichkeit für die Hersteller eingeführt wird und die Flottenemissionsstandards zu einem schnelleren Effekt der Maßnahme beitragen könnten.

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Ökonom*innen überzeugt vom CO₂-Grenzausgleichsmechanismus der EU-Kommission

Beinahe die Hälfte der teilnehmenden Ökonom*innen spricht sich für einen CO₂-Grenzausgleichsmechanismus aus, um Carbon Leakage zu verhindern. Die Einführung dieses Systems würde die aktuell freie Zuteilung von Zertifikaten an gefährdete Industrien abschaffen. Argumente für den Umstieg gehen in zwei Richtungen: Zum einen sprechen sich einige Ökonom*innen gegen das aktuelle System der freien Zuteilung aufgrund von Ineffizienzen aus. Zum andern befürworten viele den CO₂-Grenzausgleich, da so ein internationales Level Playing Field geschaffen werde und die innereuropäische Industrie vor CO₂-bedingten Abwanderungen geschützt werde. Weiterhin sehen die Befürworter*innen auch positive externe Effekte, da der Mechanismus Anreize für Länder außerhalb der EU schaffe, nationale CO₂-Standards einzuführen. Nur 9% sprechen sich für das System der freien Zuteilung aus, da sie die Wirksamkeit des CO₂-Grenzausgleichs bezweifeln und einen verstärkten Protektionismus fürchten. Ähnlich argumentieren die 7% der teilnehmenden Ökonom*innen, die sich generell gegen Maßnahmen zum Schutz vor Carbon Leakage aussprechen. Etwa 8% der teilnehmenden Ökonom*innen empfehlen der EU-Kommission alternative Maßnahmen zum Schutz vor Carbon Leakage wie etwa internationale Abkommen und Verhandlungen.

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Ökonom*innen gegen eine CO₂-Doppelbepreisung auf nationaler und supranationaler Ebene

Mehr als die Hälfte der teilnehmenden Ökonom*innen ist der Meinung, dass die Einführung von CO₂-Preisen auf supranationaler Ebene die nationalen Preise ersetzen sollte. Demgegenüber stehen zwei Fünftel der Teilnehmer*innen, die das Doppelsystem befürworten. Innerhalb dieser Gruppe befürworten 95% die nationalen CO₂-Preise auf die supranationalen Preise anzurechnen. Rund die Hälfte derer, die eine Anrechenbarkeit befürwortet, fordert zudem eine Erhöhung des nationalen CO₂-Preises, um die ambitionierten Reduktionsziele zu erreichen. Die andere Hälfte, also rund ein Fünftel der teilnehmenden Ökonom*innen, fordert nur die Anrechenbarkeit.

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Rückerstattung der Einnahmen aus der CO₂-Bepreisung als Pro-Kopf-Pauschale unter Ökonom*innen am beliebtesten

Die teilnehmenden Ökonom*innen sind sich uneinig, wie die Einnahmen aus der CO₂-Bepreisung verwendet werden sollten. Rund die Hälfte fordert eine Rückerstattung als Pro-Kopf-Pauschale an die Bürger. Ein gutes Drittel will die EEG-Umlage senken oder abschaffen: Dies würde den Strompreis verringern. Dieser würde ebenfalls durch die Abschaffung der Energie- und Stromsteuer verringert, was von 23% der teilnehmenden Ökonom*innen befürwortet wird. Ein knappes Drittel schlägt indes vor, Einnahmen aus der CO₂-Bepreisung zu verwenden, um klimafreundliche Technologien zu fördern. Fast 20% würden gerne nicht-energiebezogene Steuern und Umlagen senken. Gegen Rückerstattungen jeglicher Art sprechen sich 2% der teilnehmenden Ökonom*innen aus.

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Ökonom*innen gegen Verschärfung der sektorspezifischen Regulierungen

Die Bundesregierung hat erst kürzlich ihre Klimaziele verschärft. Eine Möglichkeit, diese zu erreichen, wären Regulierungen in einzelnen Sektoren. Der Gesetzgeber kann so Energieeffizienz- und Emissionsstandards einführen. Die Hälfte der teilnehmenden Ökonom*innen möchte jedoch auf strengere sektorspezifische Regulierungen verzichten. Demgegenüber stehen fast 40%, die die verschärfte Regulierungen einzelner Sektoren befürworten. Am häufigsten nennen die teilnehmenden Ökonom*innen dabei die Landwirtschaft (29%), gefolgt vom Verkehrs- (27%) sowie dem Gebäudesektor (24%). Dahinter liegen die Energiewirtschaft (18%), der Industriesektor (17%) sowie die Abfallwirtschaft (16%).

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Ökonom*innen für zusätzliche sektorspezifische Investitionen

Neben neuen Auflagen in den einzelnen Sektoren kann die Regierung allerdings auch stärker in die einzelnen Sektoren investieren, um die Klimaziele zu erreichen. Gut ein Viertel der teilnehmenden Ökonom*innen hält dies für eine schlechte Idee. Sie stimmten dafür in keinen Sektor zu investieren. Mehr als die Hälfte der teilnehmenden Ökonom*innen nannte bestimmte Sektoren, in die mehr investiert werden sollte: Gebäude (35%) und Verkehr (33%) liegen unter den Ökonom*innen fast gleichauf. Dahinter folgen die Energiewirtschaft (31%), die Industrie (21%) und die Landwirtschaft (20%). Die Abfallwirtschaft (12%) bildet das Schlusslicht.

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Ökonom*innen gegen sektorspezifische CO₂-Einsparungsziele

Die Bundesregierung hat im Klimaschutzgesetz für jedes Jahr genaue CO₂-Einsparungsziele in jedem Sektor bis 2030 festgelegt. Die für den Zeitraum von 2031 bis 2040 geltenden Einsparungsziele sollen 2024 bekannt gegeben werden. Die Mehrheit der teilnehmenden Ökonom*innen (60%) sieht sektorspezifische Einsparungsziele aufgrund von Ineffizienzen kritisch. Der Markt solle entscheiden, wo am meisten CO₂ eingespart werden könne. Zudem sei für das Klima unerheblich, aus welchem Sektor die Emissionen entstünden. Dagegen halten 30% der teilnehmenden Ökonom*innen definierte CO₂-Einsparungsziele für einzelne Sektoren für den richtigen Weg. Für eine stärkere Regulierung spreche, dass ansonsten einfach nicht genug passiere. Zudem könnten die einzelnen Sektoren bei verfehlten Zielen die Verantwortung nicht abgeben.

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Ökonom*innen gegen Klimaschutz-Mandat für die EZB

Bis 2050 möchte die EU klimaneutral sein. Im Zuge dessen könnte das Mandat der EZB um klimapolitische Ziele erweitert werden. Eine deutliche Mehrheit von 80% der teilnehmenden Ökonom*innen spricht sich jedoch gegen diesen Vorschlag aus. Die Mehrheit der Ökonom*innen findet, dass die EZB sich lediglich auf Geldpolitik konzentrieren solle. Zudem liege Klimaschutz außerhalb ihres Mandats und sie habe für eine solche Aufgabe keine demokratische Legitimierung. Lediglich 14% finden, dass dies eine gute Idee ist. Der am häufigsten genannte Grund für ein klimapolitisches Engagement der EZB ist, dass die Zeit für die Menschheit knapp wird und daher jede Maßnahme recht ist.

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Ankauf von Wertpapieren des Unternehmenssektors CSPP

Die EZB besitzt innerhalb ihres derzeitigen Mandats ein Programm, mit dem Wertpapiere von Unternehmen angekauft werden. Insofern könnte die EZB klimapolitisch aktiv werden, indem sie bevorzugt die Anleihen emissionsarmer Unternehmen kauft. Diesen Vorschlag lehnen 70% der befragten Ökonom*innen ab. 23% halten ihn für eine gute Idee. 7% geben an, sich keine Meinung gebildet zu haben. Das am häufigsten genannte Argument derjenigen, die diesen Vorschlag unterstützen, ist der direkte und erwartbare Zusatzeffekt: Es wird ein weiterer Anreiz geschaffen, klimafreundlich zu investieren. Der am häufigsten genannte Grund gegen diesen Vorschlag ist die Neutralität: Die EZB würde dann nicht mehr neutral, sondern politisch agieren. Zudem wäre die EZB durch Geldpolitik bereits ausgelastet. Anleihekaufprogramme sollten eher verringert und nicht für politische Zwecke verwendet werden.

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Aufsatz in Zeitschrift
Theresa Berz, Klaus Gründler, Anina Harter, Johannes Pfeiffer, Karen Pittel, Niklas Potrafke, Fabian Ruthardt
ifo Institut, München, 2021
ifo Schnelldienst, 2021, 74, Nr. 10, 66-70
Kontakt
Prof. Dr. Niklas Potrafke

Prof. Dr. Niklas Potrafke

Leiter des ifo Zentrums für öffentliche Finanzen und politische Ökonomie
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