Stellungnahme -

ifo Standpunkt 227: Vor- und Nachteile einer Reform des Ehegattensplittings

Die Besteuerung von Ehegatten in Deutschland gilt seit langer Zeit als reformbedürftig. Das geltende Ehegattensplitting sieht vor, dass Verheiratete gemeinsam besteuert werden. Ein Vorteil ergibt sich immer dann, wenn die Partner unterschiedlich hohe Einkommen haben. Das liegt am progressiven Einkommensteuertarif: Der Steuersatz steigt mit wachsenden Einkommen.

Bild Clemens Fuest für Standpunkte

Die aus ökonomischer Sicht wichtigste Kritik an diesem Modell lautet, dass es für die Zweitverdiener, in der Regel Frauen, starke Anreize setzt, keiner Erwerbsarbeit nachzugehen oder allenfalls eine Teilzeitstelle anzunehmen – und sich stattdessen auf Haushaltsarbeit und Kindererziehung zu konzentrieren.

 Das liegt daran, dass das Arbeitseinkommen des Zweitverdieners beim Ehegattensplitting vom ersten Euro an dem Grenzsteuersatz des Ehepaars unterliegt. Je höher das Einkommen des Erstverdieners, desto höher der Grenzsteuersatz und desto weniger lohnt es sich für den Zweitverdiener, Arbeitseinkommen zu erzielen.

Anpassung an ein neues Gesellschaftsbild

Problematisch ist aber nicht nur der Beschäftigungseffekt, sondern auch das mit dem Ehegattensplitting verbundene Gesellschaftsbild, das die Ehe mit klassischer Arbeitsteilung zwischen den Ehepartnern als dominierende Form des Zusammenlebens sieht. Familienkonstellationen sind heute vielfältiger. Immer mehr Paare leben ohne Trauschein zusammen. Die Zahl der Alleinerziehenden und Patchworkfamilien hat zugenommen. Ehen werden häufiger geschieden.

Die Gleichberechtigung von Frauen, ein grundlegendes gesellschaftliches Anliegen, hat viel mit Erwerbstätigkeit und wirtschaftlicher Unabhängigkeit zu tun. Als eine Alternative zum Ehegattensplitting gilt daher die Individualbesteuerung. Sie hat den Vorteil, dass für die Zweitverdiener deutlich größere Arbeitsanreize bestehen. Der erste hinzuverdiente Euro wird hier nicht mit dem Grenzsteuersatz belastet, dessen Höhe vom Einkommen des Erstverdieners abhängt. Sondern der Grenzsteuersatz ist gleich null, sofern der Zweitverdiener keine anderen Einkommensquellen hat.

Wirkung auf dem Arbeitsmarkt

Die Folgen für das Arbeitsangebot wären beträchtlich – zumal Frauen deutlich stärker auf Nettolohnänderungen reagieren als Männer. Studien schätzen, dass die Beschäftigung um gut 200 000 Vollzeitstellen steigen könnte. Dabei ist nicht berücksichtigt, dass Ausbildungsinvestitionen voraussichtlich zunehmen und sich gesellschaftliche Konventionen ändern würden, so dass der langfristige Effekt sogar noch größer sein könnte.

Die Individualbesteuerung hat allerdings einen erheblichen Nachteil: Sie vernachlässigt, dass Ehepartner einander zu Unterhalt verpflichtet sind. Insofern müsste ein Teil des Einkommens des einen Ehepartners wirtschaftlich wie Einkommen des anderen gelten.

Dieses Problem kann durch das Konzept des Realsplittings gemildert werden. Dabei gilt im Prinzip die Individualbesteuerung, aber der Erstverdiener kann steuerlich einen gewissen Betrag auf den Zweitverdiener übertragen.

Aber auch das Realsplitting hat einen Nachteil. Die Arbeitsanreize für den Zweitverdiener werden zwar nicht so stark eingeschränkt wie beim Ehegattensplitting. Doch die Steuerlast des Zweitverdieners ist vom ersten Euro an positiv, weil der übertragene Einkommensbetrag hinzukommt. Deshalb sind die Beschäftigungseffekte geringer. Schätzungen sprechen von rund 50 000 zusätzlichen Vollzeitstellen.

Eine weitere Reformidee kommt vom Wissenschaftlichen Beirat des Bundesfinanzministeriums. Er schlägt vor, statt des Realsplittings einen „Ehezusatzfreibetrag“ einzuführen, dessen Höhe mit wachsendem Einkommen des Zweitverdieners sinkt. Das führt zu etwas höheren Erwerbsanreizen als beim Realsplitting. Die Wirkung ist aber ebenfalls schwächer als bei der Individualbesteuerung.

Beschäftigungseffekt erst auf lange Sicht

Das Problem bei allen Optionen: Viele verheiratete Paare müssten mehr Steuern zahlen. Der Staat könnte die Mehreinnahmen zwar verwenden, um die Einkommensteuer oder andere Steuern zu senken, was zusätzliche Beschäftigungseffekte ermöglichte. Die Steuererhöhung wäre jedoch hart, insbesondere für Ehepaare, die sich im Vertrauen auf die geltenden Regeln auf die klassische Arbeitsteilung eingerichtet haben und bei denen die Zweitverdiener nicht ohne weiteres Erwerbsarbeit aufnehmen können und wollen. Aus Gründen des Vertrauensschutzes könnten die alten Regeln für existierende Ehen fortbestehen. Nur würde es dann viele Jahre dauern, bis die erhofften Beschäftigungseffekte eintreten.

Eine Reform des Ehegattensplittings allein arbeitsmarktpolitisch zu begründen, greift letztlich zu kurz. Vor allem bei der realistischsten Option, dem Realsplitting, ist der Effekt nicht groß. Um die Frauenerwerbstätigkeit zu erhöhen, ist die Steuerpolitik daher nur einer von mehreren Pfeilern. Es ist ein Maßnahmenbündel erforderlich, das auch die Kinderbetreuung weiter ausbaut sowie die Vereinbarkeit von Beruf und Familie stark verbessert.

Clemens Fuest
Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft
Präsident des ifo Instituts

Erschienen unter dem Titel „Droht verheirateten Paaren der Steuerschock?“, WirtschaftsWoche, 3. September 2021

ifo Standpunkt
Clemens Fuest
ifo Institut, München, 2021
ifo Standpunkt Nr. 227
Das könnte Sie auch interessieren

Artikel

ifo Standpunkte