Gastbeitrag

Rentensystem: Seien wir ehrlich - wir werden länger arbeiten müssen

Niklas Potrafke erklärt, warum es mit dem demografischen Wandel auch nicht bei der Rente mit 67 bleiben kann.


Quelle:
Welt online

Die Rente mit 67 war keine Gemeinheit der Politik, sondern schlichtes Ergebnis der glücklicherweise gestiegenen Lebenserwartung. Und bei 67 wird es nicht bleiben. Um das zu verstehen, genügt Volksschule Sauerland, wie einst SPD-Sozialminister Franz Müntefering sagte.

Unser Rentensystem besteht in seiner gegenwärtigen Form seit dem Jahr 1957. Damals wurde die dynamische Rente eingeführt, welche Rentenzahlungen an die Lohnentwicklung koppelte. Die Rente ist seitdem als Umlagesystem organisiert, in dem die Renten der alten Generation durch die Beitragszahlungen der jungen Generation finanziert werden. Es herrscht - im Kern - Teilhabeäquivalenz: Wer relativ viel Beiträge im Erwerbsleben zum Rentensystem geleistet hat, der erhält im Alter auch eine höhere Rente als jemand, der im Erwerbsleben weniger Beiträge geleistet hat. Für die erste Generation an Rentenbeziehern gab es damals einen Einführungsgewinn; sie haben eine Rente bezogen, ohne jemals Beiträge in das System eingezahlt zu haben. Die junge Generation war damals bereit, das System mitzutragen, weil sie sich darauf verlassen hat, im Alter selbst eine Rente zu erhalten, welche dann die junge Generation finanziert - ein Generationenvertrag. Das geht so lange gut, wie die Bevölkerung und die Löhne in der Volkswirtschaft ordentlich wachsen. Bundeskanzler Konrad Adenauer, der sich für die dynamische Rente einsetzte, durfte optimistisch sein. "Kinder kriegen die Leute immer", sagte er.

In der Tat bekommen die Leute weiterhin Kinder, nur seit einigen Jahrzehnten weniger als noch in den 1950er- und 1960er-Jahren. Das Bevölkerungswachstum ist gesunken, die Gesellschaft altert. Dieser Alterungsprozess schlägt sich auf das Umlageverfahren nieder, denn die Wachstumsrate der Bevölkerung ist ein Teil der internen Rendite des Umlageverfahrens.

In den 1990er-Jahren wurde die Wirkung des demografischen Wandels auf das Rentensystem diskutiert und gefragt, ob nicht eine umfassende Rentenreform durch einen Wechsel vom Umlage- zum Kapitaldeckungsverfahren angezeigt wäre. Das Kapitaldeckungsverfahren funktioniert so, dass die Rentenbeiträge in der Erwerbsphase am Kapitalmarkt angelegt werden. Wenn man in Rente geht, nutzt jeder Bürger individuell sein Erspartes. Die interne Rendite des Kapitaldeckungsverfahrens ist der Kapitalmarktzins, welcher lange Zeit oberhalb der internen Rendite des Umlageverfahrens lag. Diese Renditedifferenz feuerte die Diskussion um den Systemwechsel an.

Doch hätte der Systemwechsel auch verlangt, dass eine Generation eine doppelte Belastung an Rentenzahlungen zu tragen gehabt hätte: Die Einzahlungen ins Rentensystem für die gegenwärtigen Rentner im Umlageverfahren und die eigene Vorsorge über das Kapitaldeckungsverfahren. Den großen Systemwechsel gab es Anfang der 2000er-Jahre nicht. Vielmehr wurde etwas kapitalgedecktes Sparen gefördert (Riester-Rente) und ein Nachhaltigkeitsfaktor in die Rentenformel eingebaut, der die demografische Entwicklung berücksichtigt.

Die kapitalgedeckte Zusatzversicherung und der Nachhaltigkeitsfaktor reichten aber nicht, die Wucht der demografischen Entwicklung abzufangen. Es war schnell klar, dass die Lebensarbeitszeit verlängert werden musste. Das war keine Gemeinheit der Politik, sondern schlichtes Ergebnis der glücklicherweise gestiegenen Lebenserwartung. Um zu verstehen, dass wir länger arbeiten müssen, wenn wir älter werden, genügt Volksschule Sauerland, sagte seinerzeit der SPD-Vorsitzende und Sozialminister Franz Müntefering. Die Rente mit 67 wurde eingeführt. Das war der richtige Weg, der mit der Rente mit 63 konterkariert wurde.

Die Beitragszahlungen reichen schon lange nicht mehr aus, um die Renten zu bezahlen. Pro Jahr wird ungefähr ein Drittel über Steuern finanziert. Durch die doppelte Haltelinie (bis zum Jahr 2025 soll der Rentenbeitragssatz bei 20 Prozent und das Rentenniveau bei 48 Prozent eingefroren bleiben), wird dieser Bundeszuschuss weiter steigen. Mit dem Bundeszuschuss werden nicht nur versicherungsfremde Leistungen wie beispielsweise Anrechnungen für Kindererziehung bedient, sondern die Diskrepanz zwischen Einnahmen aus den Rentenbeiträgen und den Rentenausgaben ausgeglichen.

Insgesamt sind es rund 100 Milliarden Euro im Jahr, die für andere Dinge wie z.B. Klimaschutz und Digitalisierung fehlen. Die Steuerzuschüsse untergraben den Gedanken der Teilhabeäquivalenz und lassen den Reformdruck in der Rentenpolitik gering erscheinen.

Das Umlageverfahren muss besser auf den demografischen Wandel zugeschnitten werden. Ein ganz wesentlicher Schritt ist eine Ausweitung der Lebensarbeitszeit. Wir werden insgesamt länger arbeiten müssen. Darüber hinaus könnten weitere Anreize für eine längere Erwerbsbeteiligung gesetzt werden, etwa jährliche Zuschläge für eine fortgesetzte Beschäftigung jenseits der Regelaltersgrenze.

Niklas Potrafke lehrt an der Ludwig-Maximilians-Universität München und leitet das ifo Zentrum für öffentliche Finanzen und politische Ökonomie.

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Prof. Dr. Niklas Potrafke

Prof. Dr. Niklas Potrafke

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