Gastbeitrag

Die Makel der Minijobs

Die Ausweitung der Minijobs durch die neue Ampelkoalition ist aus verschiedenen Gründen problematisch.  Alexandra Fedorets, Peter Haan, Andreas Peichl, Sebastian Siegloch und Katharina Wrohlich erklären, warum das mit Blick auf mehrere im Sondierungspapier genannten Ziele kontraproduktiv ist, und zeigen mögliche Alternativen auf.


Quelle:
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Die Corona-Krise hat die Schwachstellen in der Ausgestaltung von Minijobs vor Augen geführt. Minijobber sind in der Krise besonders betroffen, weil sie von der sozialen Sicherung, insbesondere von Kurzarbeitergeld, ausgeschlossen sind. Vor diesem Hintergrund wuchs die Erwartung an die Vorschläge der möglichen künftigen Ampelkoalition. Das Sondierungspapier sorgte für Verwunderung, denn dem zufolge will die mögliche neue Bundesregierung Minijobs durch eine Anhebung der Verdienstobergrenze auf 520 Euro sogar noch ausweiten. Vor dem Hintergrund empirischer Ergebnisse aus der Arbeitsmarktforschung ist eine Ausweitung der Minijobs jedoch aus verschiedenen Gründen problematisch und mit Blick auf mehrere andere im Sondierungspapier genannten Ziele kontraproduktiv.

1. Minijobs sind kein Sprungbrett in reguläre Beschäftigung.

Für die meisten Beschäftigten sind Minijobs kein Sprungbrett in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Die schiere Größe des Niedriglohnsektors und seine jahrelange Existenz haben Minijobs in einigen Branchen zum Geschäftsmodell gemacht. In Kleinbetrieben verdrängen Minijobs sozialversicherungspflichtige Stellen. Somit ist es bei einem Jobverlust schwierig, einen sozialversicherten Job in der gleichen Branche zu finden, zumal Minijobber in der Regel auch keine Weiterbildungsangebote erhalten. Die einzige Gruppe, die es regelmäßig schafft, nach einem Minijob einen regulären Job zu finden, sind junge Menschen, die parallel zur Minijobtätigkeit studieren oder noch zur Schule gehen.

2. Mindestlohn kommt bei Minijobbern nicht an.

Eine Besonderheit in der Ausgestaltung der Minijobs ergab sich im Jahr 2015 mit der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns. Die feste Verdienstobergrenze eines Minijobs hat in diesem Zusammenhang gleich mehrere Nachteile: Zum einen bringt eine Mindestlohnerhöhung Minijobbern nicht automatisch einen höheren Monatsverdienst, sondern möglicherweise eine Arbeitszeitverkürzung. Da das Arbeitspensum solcher Stellen eng definiert ist und wenig Raum für eine Anpassung erlaubt, besteht die Gefahr, dass Minijobber in die unbezahlte Mehrarbeit gedrängt werden. Schätzungen zeigen, dass Minijobs für Mindestlohnumgehungen besonders anfällig sind. Selbst Arbeitsstundenkürzungen kann man in diesem Bereich nicht als vorteilhaft einschätzen, weil fast alle Minijobber in Umfragen berichten, dass sie ihre Arbeitszeit gerne erhöhen würden.

3. Minijobs sind für viele verheiratete Frauen eine Teilzeitfalle.

Die steuerliche Berücksichtigung der Einkünfte aus Minijobs führt - in Kombination mit dem Ehegattensplitting und der beitragsfreien Mitversicherung für Ehepartner in der gesetzlichen Krankenversicherung - dazu, dass sich eine Ausdehnung der Arbeitszeit über die Minijobgrenze hinaus für viele verheiratete Frauen (in seltenen Fällen auch Männer) nicht lohnt. Abhängig von der Höhe der Einkünfte des Ehepartners beziehungsweise der Ehepartnerin verliert der Haushalt insgesamt an Nettoeinkommen, wenn Zweitverdienende ihre Beschäftigung über die Minijobgrenze hinaus ausdehnen. Dadurch hemmen Minijobs massiv die Beschäftigung von Frauen und zementieren die ungleiche Aufteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit zwischen Frauen und Männern.

4. Corona-Krise hat gezeigt, wie problematisch fehlende soziale Absicherung ist.

Minijobber waren neben Selbständigen auf dem Arbeitsmarkt die großen Verlierer der Corona-Krise. Ein Grund dafür war, dass Branchen mit einem hohen Anteil an Minijobs, beispielsweise das Gastgewerbe, von der Pandemie besonders betroffen waren. Schätzungen zeigen, dass die Zahl der Minijobber im Juni 2020, also kurz nach dem ersten coronabedingten Lockdown, um rund 850 000 oder zwölf Prozent niedriger lag als ein Jahr zuvor. Die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ist in diesem Zeitraum dagegen um lediglich 0,2 Prozent gesunken. Ein entscheidender Unterschied: Minijobber haben keinen Anspruch auf Kurzarbeitergeld oder auf Lohnfortzahlungen. Zudem haben viele geringfügig Beschäftigte nur einen befristeten oder gar keinen Arbeitsvertrag. Somit fangen Minijobber Konjunkturkrisen für ihre Arbeitgeber auf, obwohl sie als eine Gruppe mit geringem Einkommen einen besonderen Schutz brauchen würden.

5. Reformvorschläge.

Die aufgeführten Erkenntnisse zeigen, dass Minijobs eine Hürde für gleich mehrere im Sondierungspapier genannte Ziele sind: Minijobs bremsen Verbesserungen im Niedriglohnsektor aus, verhindern den Mindestlohn in seiner Wirkung, sind eine Teilzeitfalle insbesondere für Frauen, stehen der Weiterqualifizierung von Beschäftigten im Weg und behindern möglicherweise auch den technologischen Fortschritt. Die im Sondierungspapier vorgeschlagene Reform - eine Ausweitung der Verdienstobergrenze der Minijobs auf 520 Euro - ist daher kontraproduktiv.

Alternativen gibt es viele: So schlägt etwa der zweite Gleichstellungsbericht der Bundesregierung aus dem Jahr 2016 vor, Minijobs auf bestimmte Gruppen wie Schüler, Studierende und Rentner zu beschränken. Alternativ oder ergänzend dazu könnte auch die derzeitige Minijobverdienstgrenze von 450 Euro deutlich gesenkt werden und gleichzeitig der Bereich der Midijobs, in der die Sozialversicherungsbeiträge langsam ansteigen, nach oben und unten ausgedehnt werden.

Die Politik sollte aber noch weiter gehen: Statt die Sozialversicherungsbeiträge von Einkommen zu subventionieren, könnten Subventionen direkt an Stundenlöhnen ansetzen und nicht nur für geringfügig Beschäftigte, sondern unabhängig von der Stundenzahl gelten. Das würde die Zielgenauigkeit erhöhen, da Menschen mit geringen Löhnen unterstützt und gleichzeitig Anreize für Beschäftigung in Teilzeit oder Vollzeit gesetzt würden. Menschen mit hohen Stundenlöhnen, die nur wenige Stunden arbeiten und damit von der derzeitigen Regelung profitieren, würden von der Förderung ausgeschlossen. Dadurch würde ein weiteres Problem reduziert: Minijobs wie auch die Subvention von niedrigen Stundenlöhnen setzen beim Individuum und nicht bei Haushalten an. Das kann dazu führen, dass auch Menschen profitieren, die einen Partner oder eine Partnerin mit hohem Einkommen haben. Bei einer Lohnsubvention ist das weniger wahrscheinlich, da sich die Partner in einem Haushalt in der Regel ähnlich sind und sich Löhne nicht so stark unterscheiden - die Arbeitszeiten unterscheiden sich zwischen Frauen und Männern aber nach wie vor deutlich. Voraussetzung für eine Stundenlohnsubvention wäre, dass verlässlich Informationen über Arbeitsstunden erfasst werden. Diese Informationen sollten ohnehin besser erhoben und kontrolliert werden, um Missbrauch beim Mindestlohn zu verfolgen. So könnte man die Digitalisierung für eine moderne Gestaltung der Arbeitsmarktpolitik nutzen und gleichzeitig für mehr Lohngerechtigkeit sorgen.

Alexandra Fedorets ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am DIW Berlin in der Abteilung Sozio-oekonomisches Panel.

Peter Haan ist Professor für empirische Wirtschaftsforschung an der FU Berlin und Leiter der Abteilung Staat am DIW Berlin.

Katharina Wrohlich ist Professorin für Öffentliche Finanzen, Gender- und Familienökonomie an der Universität Potsdam. Sie leitet die Forschungsgruppe Gender Economics am DIW Berlin.

Andreas Peichl ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der LMU München und Leiter des ifo Zentrums für Makroökonomik und Befragungen.

Sebastian Siegloch ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Uni Mannheim. Er leitet am ZEW den Forschungsbereich "Soziale Sicherung und Verteilung".