Projekt

Analyse der Firmeninsolvenzen infolge der Corona-Pandemie und Wirkungsabschätzung finanzpolitischer Maßnahmen

Auftraggeber: Bundesministerium der Finanzen
Projektlaufzeit: Mai 2021 - Juli 2021
Bearbeitender Bereich:
Projektteam: Prof. Dr. Timo Wollmershäuser, Dr. Sc. Anna Pauliina Sandqvist

Fragestellung und Ziele des Projekts

Ziel dieser Kurzexpertise ist, wesentliche Einflussfaktoren auf das Insolvenzgeschehen zu
identifizieren und zu quantifizieren sowie Rückschlüsse auf die Größenordnung des
Insolvenzrisikos und damit der zu erwartenden Insolvenzen zu ziehen.

Methodische Vorgehensweise

Bedingte Prognosen basierend auf vektorautoregressiven (VAR) Zeitreihenmodellen

Datenquellen

Statistisches Bundesamt, Gemeinschaftsdiagnose Frühjahr 2021

Ergebnisse

Vor dem Hintergrund der Coronakrise und des damit einhergehenden kräftigen Konjunktureinbruchs im Jahr 2020 fiel das tatsächliche Insolvenzgeschehen deutlich schwächer aus, als man aufgrund historischer Zusammenhänge hätte erwarten können. Vor allem die Anzahl beantragter Unternehmensinsolvenzen ist weiter gesunken von gut 18700 im Jahr 2019 auf etwas mehr als 15800 im Jahr 2020, obwohl Modellprognosen einen kräftigen Anstieg auf über 20000 nahegelegt hätten. Die voraussichtlichen Forderungen aus beantragten Insolvenzverfahren haben zwar von 34 Mrd. Euro im Jahr 2019 auf 48 Mrd. Euro im Jahr 2020 zugenommen und damit zumindest die Richtung der Modellprognosen getroffen. Allerdings war der Anstieg deutlich schwächer als erwartet und zudem überzeichnet durch die Insolvenz der Wirecard AG, die keine unmittelbare Folge der Coronakrise und des damit einhergehenden Konjunktureinbruchs gewesen sein dürfte. Je nach Modellspezifikation hätten die voraussichtlichen Forderungen aus beantragten Insolvenzverfahren auf 60 bis 100 Mrd. Euro steigen müssen.

Die Diskrepanz zwischen der Entwicklung der Anzahl beantragter Unternehmensinsolvenzen und der Höhe der voraussichtlichen Forderungen aus beantragten Insolvenzverfahren liegt an der Häufung weniger Großinsolvenzen im Jahr 2020. Die im Vergleich zu den Modellprognosen geringe Insolvenzdynamik dürfte zum einen darauf zurückzuführen sein, dass der Einfluss der staatlichen Hilfsmaßnahmen auf das Insolvenzgeschehen in den Prognosen auf Basis historischer Zusammenhänge nicht abgebildet werden dürfte, da der Umfang und die Ausgestaltung dieser Maßnahmen so in der Vergangenheit bislang nicht beobachtet werden konnten. Zum anderen dürfte die seit 1. März 2020 geltende Aussetzung der Insolvenzantragspflicht eine Zunahme des Insolvenzgeschehens verhindert haben. 

Für die Evaluation der Politikmaßnahmen wurde auf ein Verfahren zurückgegriffen, das das Insolvenzrisiko zweier Szenarien miteinander vergleicht. Dabei wird in jedem Szenario das Insolvenzrisiko als bedingte Prognose eines VAR-Modells geschätzt. Für beinahe alle Modellspezifikation zeigt sich, dass die staatlichen Hilfsmaßnahmen das Insolvenzrisiko gesenkt haben. Im Schnitt über alle Modellspezifikation lag die Reduktion des Insolvenzrisikos bei knapp 25 Prozent. 

Der größte Einfluss auf das Insolvenzrisiko ging von den staatlichen Zuschüssen für Unternehmen aus, die im Jahr 2020 im Rahmen der Coronahilfen im Umfang von über 40 Mrd. Euro ausgezahlt wurden und die den Gewinneinbruch bei den Unternehmen unmittelbar reduziert haben. Der Vergleich einer Prognose ohne die Zahlung von Unternehmenshilfen mit einer Prognose, bei der der tatsächliche Gewinneinbruch zugrunde gelegt wurde, zeigt, dass bei gegebenen konjunkturellem Verlauf die Zahlung von Unternehmenshilfen das Insolvenzrisiko im Jahr 2020 um etwa 40 Prozent verringert haben dürfte.

Eine deutliche Entlastung erfuhren die Unternehmen auch bei den geleisteten Arbeitnehmerentgelten. Auf das Jahr 2020 gerechnet war der Rückgang um 23 Mrd. Euro höher als eine Prognose basierend auf historischen Zusammenhängen bei gleichem Einbruch des Bruttoinlandsprodukts hätte erwarten lassen. Die Modellsimulationen legen nahe, dass dadurch für sich genommen das Insolvenzrisiko um 18 Prozent reduziert werden konnte. Im Vergleich zu einer Prognose basierend auf historischen Zusammenhängen dürfte dazu sowohl ein kräftigerer Anstieg der Personen in Kurzarbeit als auch ein kräftigerer Rückgang bei der Anzahl der ausschließlich geringfügig entlohnten Beschäftigten beigetragen haben. 

Schließlich haben auch die in der Coronakrise beschlossenen steuerlichen Liquiditätshilfen nach den vorliegenden Modellsimulationen das Insolvenzrisiko im Jahr 2020 reduziert. Im Vergleich zur Modellvariante mit Vorsteuergewinnen konnte der Rückgang des Insolvenzrisikos gegenüber dem Basisszenario von 24 auf 36 Prozent erhöht werden. Dieser Effekt ergab sich aus den Änderungen bei der Gewinnbesteuerung, die die Unternehmen insbesondere während der Krise in der ersten Jahreshälfte 2020 entlasteten.

Publikation
 

Monographie (Autorenschaft)
Anna Pauliina Sandqvist, Timo Wollmershäuser
2021
Studie im Auftrag des Bundesministeriums der Finanzen im Rahmen des Forschungsauftrags fe 3/19: Rahmenvertrag Wissenschaftliche (Kurz-) Expertisen zu Grundsatzfragen der Finanz-, Steuer- und Wirtschaftspolitik
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Prof. Dr. Timo Wollmershäuser

Prof. Dr. Timo Wollmershäuser

Stellvertretender Leiter des ifo Zentrums für Makroökonomik und Befragungen und Leiter Konjunkturprognosen
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