Ökonomenpanel von ifo und FAZ

Der Ampel-Koalitionsvertrag im Ökonomen-Test

Am 07. Dezember 2021 haben die SPD, Bündnis 90/Die Grünen und die FDP ihren Koalitionsvertrag unterzeichnet. Damit hielten die drei Parteien einen ambitionierten Zeitplan ein. Die Koalitionsverhandlungen gingen überraschend geräuschlos über die Bühne. Das ist hinsichtlich der Komplexität einer drei-Parteien-Verhandlung (besser: drei-Fraktionen-Verhandlung) überraschend. Zumal vor vier Jahren ähnliche Bemühungen, nämlich die Bildung einer drei-Fraktionen-Regierung, gescheitert waren. Wichtiger als der Verhandlungsprozess ist jedoch das Endprodukt. Das ist in diesem Fall ein 177 Seiten starkes Papier, das unter dem Titel „Mehr Fortschritt wagen – Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“ steht. Das aktuelle Ökonomenpanel befasst sich mit den wichtigen Inhalten des Koalitionsvertrags. An der Befragung haben 150 Professorinnen und Professoren an deutschen Universitäten teilgenommen.  

Mehrheit der Ökonom*innen bewerten den Koalitionsvertrag positiv

Drei Fünftel der teilnehmenden Ökonom*innen bewerten den Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien „eher positiv“ oder „sehr positiv“ und verweisen auf die ambitionierten Klimaschutzziele und den Ausbau der digitalen Infrastruktur. Generell würden Zukunftsthemen adressiert und die Modernisierung der Infrastruktur angegangen. Kritischer werden die unkonkrete Ausgestaltung der Ziele und die Unklarheit über die zur Erreichung der Ziele erforderlichen Maßnahmen beurteilt. Dies heben insbesondere die 19% hervor, die den Koalitionsvertrag insgesamt „eher negativ“ oder „sehr negativ“ bewerten. 

Infografik, Ökonomenpanel, Stimmungsbild zum Koalitionsvertrag, Dezember 2021

Ökonom*innen verhalten optimistisch bei der Bewältigung künftiger Herausforderungen

Auf die Frage, wie die Ampel-Regierung die wirtschaftspolitischen Herausforderungen der kommenden Legislaturperiode bewältigen werde, antwortet ein gutes Viertel der teilnehmenden Ökonom*innen mit „gut“ oder „sehr gut“. Als Gründe werden vor allem die breite wirtschaftliche Basis der Regierungsparteien, die Kompetenz der Parteien und der Minister*innen, aber auch der bereits gezeigte Pragmatismus angeführt. Die Mehrheit der Befragten hingegen ist gespalten. Zwar würden wichtige wirtschaftspolitische Themen adressiert, aber der demographische Wandel und der Fachkräftemangel ließe sich nicht so einfach lösen. Außerdem würden zusätzliche Spannungen bei der Finanzierung von Maßnahmen auftreten. Viele Probleme könnten zudem nicht auf nationaler Ebene gelöst werden. Mit „schlecht“ oder „sehr schlecht“ antworten 15% der teilnehmenden Ökonom*innen und begründen das auch mit der fehlenden Nachhaltigkeit vor allem in der Finanz- und Sozialpolitik.

Infografik, Ökonomenpanel, Wirtschaftspolitische Herausforderung, Dezember 2021

Ökonom*innen erwarten mehr private Investitionen durch öffentliche Investitionen in Klimaschutz-Maßnahmen

Die Mehrheit der teilnehmenden Ökonom*innen erwartet, dass die im Koalitionsvertrag vereinbarten zusätzlichen öffentlichen Investitionen in Klimaschutz-Maßnahmen einen positiven Effekt auf private Investitionen in Klimaschutz-Maßnahmen haben werden. Sogenannte Crowding-in-Effekte entstünden, weil der Staat Anreize setze, beispielsweise durch gezielte Förderungen und Abschreibungsregeln für private Investitionen und Klimaschutz generell mehr Aufmerksamkeit bekäme; wodurch ein größeres Problembewusstsein geschaffen werde. 15% erwarten keine Effekte auf private Investitionen in Klimaschutz-Maßnahmen, da sich die gegenläufigen Crowding-in -und Crowding-out-Effekte die Waage halten würden. Mit Crowding-out-Effekten rechnen nur 4%. Der hohe Anteil an „weiß nicht“ Antworten (26%) deutet auf eine große Unsicherheit unter den teilnehmenden Ökonom*innen. 
 

Infografik, Ökonomenpanel, Wirkung von öffentlichen Investitionen in Klimaschutz-Maßnahmen, Dezember 2021

Ökonom*innen gespalten bei zusätzlichen Mitteln für den Klima- und Transformationsfonds

Das Bundeskabinett hat am 13. Dezember 2021 den Entwurf eines zweiten Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan 2021 beschlossen. 60 Milliarden Euro aus nicht genutzten Kreditermächtigungen werden dem Klima- und Transformationsfonds zugeführt. „Eher positiv“ oder „sehr positiv“ beurteilen das fast 40% der teilnehmenden Ökonom*innen, da die Finanzierung der Maßnahmen notwendig sei, um zentrale gesellschaftspolitische Aufgaben zu lösen. Ebenfalls 40% sieht den Nachtragshaushalt hingegen „eher negativ“ oder „sehr negativ“, da dieser die Schuldenbremse umgehe. Neutral bewerten 16% die Maßnahme, auch weil die Gefahr bestünde, dass zweckgebundene Ausgaben auch dann getätigt würden, wenn keine sinnvollen Projekte vorhanden seien.

Infografik, Ökonomenpanel, Zusätzliche Mittel für den Klima- und Transormationsfonds, Dezember 2021

Ökonom*innen lehnen Umgehung der Schuldenbremse ab

Knapp zwei Drittel der teilnehmenden Ökonom*innen lehnen die Umgehung der Schuldenbremse, etwa durch Extrahaushalte für die vereinbarten Investitionen in Klimaschutz und Digitalisierung, ab. Sie begründen das mit dem Verweis auf zusätzliche Belastungen in der Zukunft, Einbußen in der Glaubwürdigkeit und die Unterwanderung der parlamentarischen Kontrolle. Einige der Ökonom*innen bevorzugen hingegen eine Lockerung der Fiskalregeln. Ähnlich beurteilt das ein Drittel der Ökonom*innen, die die Umgehung der Schuldenbremse für Investitionen in Klimaschutz und Digitalisierung befürworten. Sie sehen eine große Notwendigkeit für diese Investitionen, die mit der derzeitigen Schuldenbreme so nicht umsetzbar seien. Auch sie sprechen sich für mehr Transparenz aus.

Infografik, Ökonomenpanel, Schuldenbremse und Extrahaushalte, Dezember 2021

Rückkehr zur Schuldenbremse ab 2023 wird positiv aufgenommen

Vier Zehntel der teilnehmenden Ökonom*innen beurteilen die im Koalitionsvertrag geplante Rückkehr zur Schuldenbremse ab 2023 als „gerade richtig“. Die Corona-Pandemie werde auch 2022 negative Effekte auf Steuereinnahmen und Staatsausgaben haben. Für 2023 rechnen die Ökonom*innen dann mit einer Überwindung der Pandemie. Ein knappes Viertel beurteilt das anders und verweist zudem auf notwendige und aufwendungsstarke Investitionen, insbesondere in den Klimaschutz. Sie sehen die geplante Rückkehr ab 2023 als „zu früh“ an. Als „zu spät“ wird die Rückkehr zur Schuldenbremse ebenfalls von einem knappen Viertel bewertet. Sie erwarten teils eine Überwindung der pandemischen Folgen bereits 2022 und fordern frühzeitigere Konsolidierungsmaßnahmen. 

Infografik, Ökonomenpanel, Rückkehr zur Schuldenbremse, Dezember 2021

Ökonom*innen beurteilen Beschränkung der „Superabschreibungen“ eher positiv

Die Beschränkung der für 2022 und 2023 geplanten „Superabschreibungen“ auf Investitionen in Klimaschutz und Digitalisierung beurteilt fast die Hälfte der teilnehmenden Ökonom*innen „eher positiv“ oder „sehr positiv“. Diese Schwerpunktsetzung sei gut und das Instrument sei geeignet, um private Investitionen in diesen Bereichen zu stimulieren. Ähnlich beurteilen das 13% der Ökonom*innen, die mit „neutral“ antworten, aber auf die fehlende Trennschärfe und unklaren Folgen der „Superabschreibungen“ hinweisen. „Eher negativ“ oder „sehr negativ“ wird die Beschränkung der „Superabschreibungen“ von gut einem Fünftel beurteilt. Dabei handle es sich de facto um Steuersenkungen durch die das staatliche Defizit weiter steige. Außerdem sei die Abgrenzung nicht sinnvoll und die Lenkungswirkung zu groß.

Infografik, Ökonomenpanel, Superabschreibungen, Dezember 2021
Infografik, Ökonomenpanel, Superabschreibungen, Dezember 2021

Ökonom*innen gespalten bei der Anhebung des Mindestlohns

Die geplante Anhebung des Mindestlohns auf zwölf Euro pro Stunde polarisiert unter den Teilnehmenden, was die wenigen „weiß nicht“ und „neutral“ (1% und 10%) Antworten verdeutlichen. Zwei Fünftel sehen die Anhebung „eher positiv“ oder „sehr positiv“. Als Gründe hierfür nennen sie, dass dadurch der sozialen Ungleichheit entgegengewirkt werde, die Löhne generell zu niedrig seien und es keine überzeugende empirische Evidenz gebe, die negative Effekte auf den Arbeitsmarkt erwarten ließe. Fast die Hälfte der teilnehmenden Ökonom*innen beurteilt die geplante Anhebung des Mindestlohns „eher negativ“ oder „sehr negativ“. Die Anhebung sei zu hoch, beflügle eine Lohnpreisspirale und werde Arbeitsplätze kosten. Außerdem sei sie ein Eingriff in einen institutionellen Mechanismus und solle nicht in Wahlkämpfen bestimmt werden.

Infografik, Ökonomenpanel, Mindestlohn, Dezember 2021
Infografik, Ökonomenpanel, Mindestlohn, Dezember 2021

Ökonom*innen beurteilen neue öffentlich geförderte Wohnungen eher positiv

Fast die Hälfte der teilnehmenden Ökonom*innen beurteilt das im Koalitionsvertrag angestrebte Ziel, 100.000 öffentlich geförderte Wohnungen pro Jahr zu bauen, „eher positiv“ oder „sehr positiv“. Durch den staatlichen Eingriff würden verlässlich mehr Wohnungen gebaut, was der Knappheit auf dem Immobilienmarkt entgegenwirke. Es sei ein sinnvolleres Instrument als Mieten zu deckeln, um bezahlbaren Wohnraum, insbesondere in Städten zu schaffen. „Neutral“ bewertet wird das Ziel von 19%, da es zwar gut aber schwierig oder gar unmöglich umzusetzen sei. Knapp drei Zehntel beurteilen das Ziel „eher negativ“ oder sehr negativ“ und verweist auf die fehlende Zuständigkeit des Staates. Vielmehr solle beim Wohnungsbau auf private Investitionen gesetzt werden. Wohngeld sei zudem ein geeigneteres Mittel, um sozial Schwache zu unterstützen.

Infografik, Ökonomenpanel, Öffentlich geförderter Wohungsbau, Dezember 2021
Infografik, Ökonomenpanel, Öffentlich geförderter Wohungsbau, Dezember 2021

Festlegung des Etats für Forschung und Entwicklung kommt bei den Ökonom*innen gut an

Fast zwei Drittel der teilnehmenden Ökonom*innen beurteilt die Festlegung des Etats für Forschung und Entwicklung auf 3,5% des Bruttoinlandprodukts „eher positiv“ oder „sehr positiv“. Investitionen in Bildung und Wissenschaft hätten starke Wachstumseffekte und eine hohe langfristige Rendite. Außerdem würden die Investitionen den komparativen Vorteil Deutschlands in einem Feld stärken, in dem Deutschland Nachholbedarf habe. „Neutral“ antworten 17%. Ausschlaggebend sei die effiziente Verwendung der Mittel und nicht unbedingt die Höhe. Ähnlich argumentieren auch die 9% der Befragten, die die Festlegung „eher negativ“ oder „sehr negativ“ beurteilen. Bei der Forschung und Entwicklung würden falsche Schwerpunkte gesetzt und Strukturen seien veraltet und ineffizient.

Infografik, Ökonomenpanel, Etat für Forschung und Entwicklung, Dezember 2021
Infografik, Ökonomenpanel, Etat für Forschung und Entwicklung, Dezember 2021

Die Stabilisierung des Rentenniveaus kommt bei den Ökonom*innen nicht gut an

Fast die Hälfte der Ökonom*innen beurteilt die vereinbarte Stabilisierung des (Mindest-) Rentenniveaus (Verhältnis der Standardrente zum Durchschnittsverdienst aller Versicherten) bei 48% „eher negativ“ oder „sehr negativ“. Als Gründe führen sie an, dass die Maßnahme teuer sei und damit der steuerfinanzierte Teil der Rente immer höher werde. Außerdem würden durch den demografischen Wandel jüngere Generationen stärker belastet. Ein Fünftel sieht die Stabilisierung „eher positiv“ oder „sehr positiv“, da sie Zukunftsängste mildere und Altersarmut begrenze. „Neutral“ wird die Maßnahme von einem knappen Viertel bewertet. Die Stabilisierung sei in Ordnung, allerdings müsste dann auch das Renteneintrittsalter erhöht werden. Außerdem erwarten viele Ökonom*innen, dass die Maßnahme in dieser Legislaturperiode nicht zum Tragen komme, da die Löhne in den nächsten Jahren stärker steigen würden, sodass das Rentenniveau ebenfalls stark anstiege.

Infografik, Ökonomenpanel, Rentenniveau, Dezember 2021
Infografik, Ökonomenpanel, Rentenniveau, Dezember 2021

Teilweise Kapitaldeckung der gesetzlichen Rentenversicherung nicht ausreichend

Fast drei Viertel der teilnehmenden Ökonom*innen sind der Meinung, dass eine teilweise Kapitaldeckung der gesetzlichen Rentenversicherung nicht ausreiche, um das im Koalitionsvertrag vereinbarte Ziel der langfristigen Stabilisierung von Rentenniveau und dem Rentenbeitragssatz zu erreichen. Der geplante kapitalgedeckte Anteil sei zu gering und komme zu spät. Außerdem sei nicht sicher, dass sich die Kapitalmärkte weiterhin so positiv entwickeln werden, wie in den vergangenen Jahren. 7% sieht das anders und betrachtet die Maßnahme als Einstieg in eine umfassendere Kapitaldeckung in der Zukunft. 

Infografik, Ökonomenpanel, Kapitalgedeckte gesetzliche Rentenversicherung, Dezember 2021
Infografik, Ökonomenpanel, Kapitalgedeckte gesetzliche Rentenversicherung, Dezember 2021

Keine Anhebung des Renteneintrittsalters enttäuscht die Ökonom*innen 

Fast vier Fünftel der teilnehmenden Ökonom*innen beurteilt es „eher negativ“ oder „sehr negativ“, dass im Koalitionsvertrag keine Anhebung des Renteneintrittsalters vorgesehen ist. Dies passe nicht zu den steigenden Lebenserwartungen der Menschen, verzerre die Generationengerechtigkeit weiter und belaste Beitragszahler übermäßig. Viele sprechen gar von Realitätsverweigerung. „Eher positiv“ oder „sehr positiv“ beurteilen knapp 10% die Nicht-Anhebung und verweisen darauf, dass nach 2025 noch genug Zeit bliebe, die Altersgrenze ab 2030 anzuheben. Außerdem würde eine Anhebung von der großen Mehrheit der Bevölkerung nicht gewünscht. 

Infografik, Ökonomenpanel, Renteneintrittsalter, Dezember 2021
Infografik, Ökonomenpanel, Renteneintrittsalter, Dezember 2021

Eine ausführliche Darstellung der Ergebnisse der Dezember-Umfrage des Ökonomenpanels von ifo und FAZ  findet sich in der nächsten Schnelldienst-Ausgabe.

Kontakt
Prof. Dr. Niklas Potrafke

Prof. Dr. Niklas Potrafke

Leiter des ifo Zentrums für öffentliche Finanzen und politische Ökonomie
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+49(0)89/9224-1319
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+49(0)89/907795-1319
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