Stellungnahme -

ifo Standpunkt 234: Wirtschaftliche Folgen des russischen Überfalls auf die Ukraine

Der Ukraine-Krieg ist nicht nur eine militärische und geopolitische Zäsur. Er verändert auch die wirtschaftliche Lage. Das betrifft sowohl die kurzfristige Konjunkturentwicklung als auch die mittelfristigen Aussichten für Wachstum und Wohlstand. Die bislang erwartete konjunkturelle Erholung wird geschwächt. Es droht Stagflation, also eine Kombination aus schwachem Wachstum und hoher Inflation. Die Geldpolitik steht vor einem Dilemma: Zinserhöhungen können die Inflation zwar eindämmen, würden das Wachstum aber weiter dämpfen. 

Bild Clemens Fuest für Standpunkte

Die Finanzpolitik bewirkt ebenfalls wenig: sie kann die Lasten steigender Preise umverteilen, aber nicht aus der Welt schaffen. Mittelfristig führt die Diversifizierung der Energieversorgung zu mehr Versorgungssicherheit, aber auch höheren Energiekosten. Deutschland als Standort für energieintensive Industrien droht an Boden zu verlieren. Steigende Militärausgaben sind notwendig, erfordern aber langfristig Steuererhöhungen und Kürzungen öffentlicher Ausgaben in anderen Bereichen. Die Weltwirtschaft zerfällt in einen amerikanisch und einen chinesisch dominierten Block, mit Russland und den EU-Ländern als Juniorpartnern. Größter Verlierer ist Russland, aber auch in Deutschland wird der Wohlstand sinken.

Krieg in der Ukraine belastet Konjunktur

Vor dem russischen Überfall auf die Ukraine sagten alle Prognosen, dass die deutsche Wirtschaft nach einem schwierigen Winter einen Konjunkturaufschwung erleben wird. Hohe Corona-Infektionszahlen und Lieferengpässe belasten zwar derzeit, aber es wird erwartet, dass die Omikron-Welle bis zum Frühling überwunden ist. Viele private Haushalte haben in der Zeit der Pandemie erhebliche Ersparnisse gebildet, weil Urlaubsreisen und anderer sozialer Konsum wegfielen. Dieses Geld dürfte im Sommer zu einem Konsumboom führen, während Vorprodukte und Energie noch immer knapp sind. Das Resultat könnte ein neuer Inflationsschub sein. 

Bislang sprach alles dafür, dass die Angebotsengpässe den Aufschwung zwar bremsen, aber nicht verhindern.  Der Krieg in der Ukraine hat diese Aussicht verdüstert. Die Energiepreise steigen nun weiter. Das belastet die Konjunktur auf mehrfache Weise. Verbraucher müssen mehr Geld fürs Heizen und an der Zapfsäule ausgeben. Auch andere Güter werden knapper und teurer, weil Unternehmen höhere Produktions- und Transportkosten haben und deshalb weniger herstellen und ihre Preise erhöhen. Wenn die Sanktionen zu einem drastischen Rückgang der Importe von Gas, Öl und Kohle aus Russland führen, drohen Produktionsausfälle in energieintensiven Industrien.  

Steigende Unsicherheit über die weitere Entwicklung hat zur Folge, dass Investitionen verschoben werden. Es ist darüber hinaus damit zu rechnen, dass es an den Finanzmärkten zu Engpässen und Funktionsstörungen kommt, weil sich Investoren in großer Zahl aus riskanten Aktiva zurückziehen. Das dämpft die Konjunktur zusätzlich.

Kurzfristig Energieversorgung sichern

Sollte die Politik darauf reagieren? Herkömmliche Konjunkturpolitik in Form höherer öffentlicher Ausgaben oder steuerlicher Entlastungen hilft hier nicht. Es gibt keinen Mangel an Nachfrage, sondern eine Verknappung des Güterangebots. Die Kosten steigender Preise kann die Politik nicht aus der Welt schaffen, man kann sie nur umverteilen. Ein Fehler wäre es in dieser Lage, Benzin- oder Ölpreise durch eine Senkung der Mineralölsteuern zu entlasten. Das reißt Löcher in den Staatshaushalt. Die Mehrheit der Verbraucher kann die höheren Energiepreise durchaus zahlen, ohne in wirtschaftliche Schwierigkeiten zu geraten. Besser ist es, Haushalten mit niedrigen Einkommen, die dadurch überlastet werden, gezielt zu helfen. 

Viele werden jetzt von der EZB fordern, den Abbau der Anleihenkäufe weiter zu verschieben, aber auch das löst die Probleme nicht. Im Gegenteil. Da die US-Wirtschaft von der Krise weniger betroffen ist, wird die US-Notenbank ihre Geldpolitik weiter straffen. Wenn die EZB in die Gegenrichtung steuert, wird der Außenwert des Euro sinken. Die Folge wäre eine importierte Inflation. 
Die Politik in Europa sollte sich jetzt darauf konzentrieren, die Energieversorgung zu sichern, vor allem durch Gaslieferungen aus anderen Quellen einschließlich Flüssiggas. Es wäre außerdem zu prüfen, ob der Ausstieg aus der Kernenergie und der Kohleverstromung in Deutschland hinausgeschoben und der Ausbau der erneuerbaren Energien kurzfristig beschleunigt werden kann.

Mittelfristig: Unabhängig von Russland werden

Das führt zu den mittelfristigen Folgen des Ukraine-Kriegs. Wenn man davon ausgeht, dass sich die russische Regierung im Amt hält und grundlegende Veränderungen in Richtung Demokratie und Rechtstaatlichkeit ausbleiben, wird Deutschland nicht darum herumkommen, die rein wirtschaftlich sehr attraktive, sicherheitspolitisch aber riskante energiepolitische Zusammenarbeit mit Russland einzuschränken und seine Gasversorgung dauerhaft zu diversifizieren. Das wird die Energieversorgung deutlich verteuern. Es entstehen auch Anreize, den Umstieg auf Wasserstoffwirtschaft und erneuerbare Energien zu beschleunigen. Schon der Ausstieg aus Kernkraft und Kohle birgt hohe Risiken für die deutsche Energieversorgung. Wenn Gas als Energiequelle ebenfalls eingeschränkt wird, verschärft sich die Lage noch einmal. Damit wird Deutschland als Standort für energieintensive Industrien unattraktiv. Vorübergehend könnte der Staat mit Subventionen dagegenhalten, aber Standortnachteile dauerhaft mit Zuschüssen auszugleichen, ist selbstschädigend. Deutschland muss andere Wege suchen, seinen Wohlstand zu wahren. 

Langfristig: Mögliche Gewinner und Verlierer der Krise 

Die USA werden als Industriestandort mit billiger Energieversorgung und als Flüssiggasproduzent zu den Gewinnern zählen. Weniger Energieimporte aus Russland werden einhergehen mit fallenden deutschen Güterexporten. Derzeit macht der Handel mit Russland nur 2% der Exporte aus, aber die Isolation Russlands wird die Wirtschaftsentwicklung in ganz Osteuropa beeinträchtigen. Hauptverlierer der Fragmentierung wird allerdings Russland selbst sein. Das Land wird versuchen, in China einen neuen Abnehmer für seine Gasexporte zu finden, aber China wird Russland seine Marktmacht spüren lassen; gleichzeitig steht China selbst vor großen Belastungen wie der Alterung seiner Bevölkerung, Überinvestitionen im Immobiliensektor und Konflikten mit den USA und anderen Staaten im pazifischen Raum. 

Eine weitere Folge des Ukraine-Kriegs ist das Ende der Friedensdividende in Form fallender Rüstungsausgaben. Deutschland hat schon angekündigt, seinen Wehretat um mindestens 20 Mrd. Euro pro Jahr zu steigern. Das bedeutet Kürzungen öffentlicher Leistungen in anderen Bereichen und höhere Steuern, also letztlich weniger Wohlstand.     

All diese Überlegungen sind notwendigerweise spekulativ, weil über den weiteren Verlauf der Krise und ihre Folgen erhebliche Unsicherheit besteht. Anders als hier angenommen könnte es sein, dass die russische Regierung über den Ukraine-Krieg stürzt und Russland sich grundlegend in Richtung demokratischer und rechtsstaatlicher Strukturen reformiert. Dann wäre eine neue Grundlage für Zusammenarbeit gegeben. Ein solches Szenario kann man sich zwar wünschen, doch sollte man sich auf das schlechtere vorbereiten. 


Clemens Fuest
Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft
Präsident des ifo Instituts


Erschienen unter dem Titel “Auch in Deutschland wird der Wohlstand infolge der geopolitischen Zäsur sinken“, Handelsblatt, 28. Februar 2022
 

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Clemens Fuest
ifo Institut, München, 2022
ifo Standpunkt Nr. 234
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