Gastbeitrag

Der Ukrainekrieg und die Inflation

In einer aktuellen Studie schätzen Lena Dräger, Klaus Gründler und Niklas Potrafke den Effekt des Ukrainekrieges auf die Inflationserwartungen deutscher Volkswirtschaftsprofessoren und erforschen die Ursachen für die gegenwärtig hohen Inflationsraten. 


Quelle:
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Die Furcht vor einem Anstieg der Inflation schwelt schon länger. Wie aber hat der Kriegsbeginn die Inflationserwartungen der deutschen Volkswirte verändert?

Inflation ist in Deutschland so hoch wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Groß ist die Sorge, dass Deutschland Jahre der Stagflation erleben wird. Dies würde geringes Wirtschaftswachstum und gleichzeitig hohe Inflation bedeuten. Viele Experten erwarten, dass die Inflation gekommen ist, um zu bleiben. Russlands Angriff auf die Ukraine befeuert die Inflation weiter. In einer aktuellen Studie schätzen wir den kausalen Effekt des Krieges auf die Inflationserwartungen von Volkswirtschaftsprofessoren in Deutschland.

Warum die Inflation gegenwärtig so hoch ist, hat viele Ursachen. Die pandemiebedingten Lieferengpässe bei hoher Nachfrage nach Konsumgütern und Dienstleistungen wie Restaurantbesuche nach den Corona-Lockdowns haben zu erhöhten Preisen geführt. Die äußerst expansive Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) hat in dieser Situation auch zur Inflation beigetragen. Angesichts sehr niedriger Zinsen wurde die Nachfrage weiter gestärkt, sodass Unternehmen vermehrt mit Preissteigerungen reagiert haben. Dazu kamen schon vor dem Krieg in der Ukraine gestiegene Energie- und Lebensmittelpreise.

Russlands Krieg gegen die Ukraine verschärft die Inflationssorgen weiter, weil das Angebot weiter verknappt wird - vor allem auf den Energiemärkten, auf denen Russland bislang eine mächtige Rolle spielt. Wenn der Westen ein Energieembargo gegen Russland beschließt, dann wird das Energieangebot insgesamt verknappt, und die Energiepreise steigen. Welchen Effekt diese Verknappung haben wird, ist schwierig zu ermitteln.

Vom 22. Februar 2022 bis zum 1. März 2022 haben wir die Volkswirtschaftsprofessoren an deutschen Universitäten zu deren Inflationserwartungen und Ursachen für die gegenwärtig hohen Inflationsraten befragt. Putins Angriff am 24. Februar auf die Ukraine eignet sich als natürliches Experiment: Die Kollegen, welche an der Umfrage am 22. und 23. Februar teilnahmen, wussten nicht, dass Putin am 24. Februar die Ukraine angreifen wird. Alle Kollegen jedoch, die nach dem 24. Februar an der Umfrage teilnahmen, wussten es sehr wohl. Der einzig beobachtbare Unterschied zwischen beiden Gruppen ist das Wissen über den Krieg. Gefragt haben wir die Teilnehmer zu ihren Inflationserwartungen für das Jahr 2022. Die Teilnehmer, die noch nichts vom Ukrainekrieg wussten, erwarteten im Durchschnitt 4,1 Prozent Inflation. Die Teilnehmer, die vom Krieg wussten, erwarteten im Durchschnitt hingegen 4,85 Prozent Inflation im Jahr 2022. Seither dürften die Inflationserwartungen der befragten Volkswirte weiter gestiegen sein, weil auch die Energiepreise weiter gestiegen und Lieferketten gestört sind; beziffern lässt sich das jedoch noch nicht. Die tatsächlich gemessene Inflationsrate ist im April auf 7,4 Prozent gestiegen.

Der sprunghafte Anstieg der Inflationserwartungen unmittelbar nach Kriegsbeginn um 0,75 Prozentpunkte war statistisch signifikant auf dem 1-Prozent-Niveau und misst den kausalen Effekt des Krieges auf die Inflationserwartungen. Für das Jahr 2023 erwarteten die Ökonomen, die nichts vom Krieg wussten, durchschnittlich 3,3 Prozent und diejenigen, die davon wussten, 3,77 Prozent Inflation. Der Unterschied von 0,47 Prozentpunkten ist statistisch signifikant auf dem 10-Prozent-Niveau. Für das Jahr 2026 sind keine nennenswerten Unterschiede in den Inflationserwartungen zwischen beiden Gruppen mehr festzustellen. In der Untersuchung finden sich keinerlei Anzeichen, dass sich die Effekte beispielsweise zwischen jüngeren und älteren Professoren oder zwischen Makroökonomen, deren Inflations-Expertise besonders ausgeprägt ist, und Ökonomen mit anderen Schwerpunkten unterscheidet.

Mit offenen Fragen haben wir auch die Ursachen für die gegenwärtig hohe Inflation erfragt. Der Ukrainekrieg ist der einzig genannte Grund für Inflation, der von Teilnehmern, die nach dem 24. Februar befragt wurden, deutlich häufiger genannt wird als von den Teilnehmern, die noch nichts vom Krieg wussten. Sicher, Putin hatte schon am 21. Februar 2022 durch die Anerkennung von Luhansk und Donezk als Volksrepubliken mit dem Säbel gerasselt, und ein Krieg war wahrscheinlicher geworden. Die Anerkennung der Volksrepubliken erfolgte vor dem Versenden unserer Umfrage, die Information war allen Teilnehmern bekannt. Andere von den Teilnehmern genannte Gründe für die hohe Inflation wie etwa Nachfrage- und Angebotsschocks, die EZB-Politik oder die Corona-Krise, unterscheiden sich nicht zwischen den Teilnehmern, die vom Krieg wussten, und denen, die nichts wussten.

Im letzten Teil unserer Umfrage haben wir nach geeigneten Maßnahmen der EZB im Umgang mit der Inflation gefragt. Auch auf diese Empfehlungen hat sich der Ukrainekrieg ausgewirkt: Experten, die vom Krieg wussten, haben signifikant weniger häufig dazu geraten, dass die EZB sofort auf die Inflation reagieren müsse (etwa über Leitzinserhöhungen), als Experten, die vom Kriegsbeginn noch nichts wussten. Plausibel ist das unter anderem deswegen, weil mit dem Krieg und den damit verhängten Sanktionen des Westens gegen Russland auch die Gefahr einer Rezession in Deutschland gestiegen ist.

Unser Basiseffekt zu den erwarteten Inflationsraten von 0,75 Prozentpunkten im Jahr 2022 ist signifikant. Verglichen haben wir diesen Effekt mit Erwartungen von Haushalten im gleichen Zeitraum, die an der repräsentativen Befragung der Deutschen Bundesbank teilgenommen haben (Bundesbank-Online-Panel-Haushalte). Der Effekt des russischen Einmarsches auf die Inflationserwartungen war bei Laien etwa halb so groß wie bei den Experten im Ökonomenpanel. Die Laien, die nichts vom Krieg wussten, erwarteten im Schnitt 4,7 Prozent Inflation in den kommenden zwölf Monaten. Die Laien, die vom Krieg wussten, erwarteten kurz nach Kriegsbeginn im Schnitt hingegen 5,1 Prozent Inflation in den kommenden zwölf Monaten. Auch beobachten wir den deutlich kleineren Effekt bei den Laien erst mit Verzögerung; es gibt beispielsweise keinen scharfen Kontrast bei den Antworten einerseits am 22. und 23. Februar und andererseits am 24. Februar 2022, dem Tag der Invasion. Experten scheinen also - so, wie es sein soll - besser informiert als Laien, und sie berücksichtigen die zusätzlichen Informationen durch politische Schocks schneller bei ihren wirtschaftspolitischen Einschätzungen als Laien.

Lena Dräger ist Professorin für Volkswirtschaftslehre an der Leibniz-Universität Hannover. Klaus Gründler lehrt an der LMU München und ist stellvertretender Leiter des Ifo-Zentrums für öffentliche Finanzen und politische Ökonomie. Niklas Potrafke leitet dieses und ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der LMU München.