Gastbeitrag

Wir dürfen die Signalfunktion des Preises nicht aushebeln!

Clemens Fuest analysiert, warum das Entlastungspaket der Regierung zwar gut gemeint ist, die Politik jedoch vor allem vulnerablen Gruppen helfen sollte, die besonders unter steigenden Energie- und Nahrungsmittelpreisen leiden. Steigende Preise sorgen für eine bestmögliche Anpassung an knappere Ressourcen. Deshalb sollte man die Signalfunktion des Preises wirken lassen.


Quelle:
Wirtschaftswoche

Die Inflation in Deutschland hält sich auf hohem Niveau. Die Teuerungsrate erreichte im April 7,4 Prozent, was vor allem an den auf Jahressicht um 35 Prozent gestiegenen Energiepreisen lag. Die teure Energie hat für ein Land wie Deutschland, das kaum eigene Öl- oder Erdgasvorkommen hat, unangenehme Folgen. Der heimische Wohlstand sinkt, die Volkswirtschaft insgesamt wird ärmer. Die Bundesregierung hat daher in ihrem jüngsten Entlastungspaket entschieden, ab dem 1. Juni die Benzinsteuer um 30 Cent pro Liter und die Steuer auf Diesel um 14 Cent zu senken. Jeder Einkommensteuerzahler erhält einmalig 300 Euro „Energieprämie„ (die allerdings steuerpflichtig ist), Empfänger von Sozialhilfe bekommen 200 Euro. Pro Kind gibt es zusätzlich 100 Euro. In früheren Entlastungspaketen gewährte die Politik Heizkostenzuschüsse für Wohngeldempfänger und erhöhte die Entfernungspauschale für Fernpendler.

Was ist von diesen Maßnahmen zu halten? In einem Land, das zu klein ist, um die Weltmarktpreise für Öl zu beeinflussen, kann die Politik die Belastung für die Volkswirtschaft insgesamt nicht mindern. Sie kann sie nur umverteilen oder durch Kreditaufnahme in die Zukunft verlagern.

Im Prinzip gibt es drei Instrumente, um auf steigende Energiepreise zu reagieren. Die erste Möglichkeit sind Preiskontrollen. Diese wirken ökonomisch kontraproduktiv, da Preisobergrenzen Knappheiten verschärfen. Ein Beispiel dafür sind die USA: Das Land führte in den Siebzigerjahren Höchstpreise für Benzin ein. Die Folge waren ein rationiertes Angebot und eine Versorgungskrise mit langen Warteschlangen. In Deutschland spielen direkte Benzinpreisregulierungen in der Öffentlichkeit – zumindest derzeit – kaum eine Rolle, und das ist gut so.

Die zweite Anti-Inflations-Option der Politik sind gezielte Subventionen oder Steuersenkungen, die Energie verbilligen. Diese Strategie ist administrativ leicht umsetzbar, hat allerdings mehrere Nachteile. Auch hier wird die Signalfunktion des Preises ausgeschaltet. Eine sinkende Mineralölsteuer verhindert, dass die Nachfrager ihr Verhalten anpassen und Energie sparen. Zudem kommt eine Mineralölsteuersenkung nur teilweise bei den Verbrauchern an. Nach aktuellen empirischen Analysen würde etwa ein Drittel der Steuerentlastung den Benzinanbietern und Ölproduzenten zufließen.

Darüber hinaus sind die Verteilungseffekte fragwürdig. Die dreimonatige Benzinsteuersenkung entlastet die Privathaushalte überschlägig um etwa 1,4 Milliarden Euro. Rund 60 Prozent davon, also 840 Millionen Euro, fließen Haushalten mit mehr als 3600 Euro Nettoeinkommen pro Monat zu, weil sie durchschnittlich mehr Kraftstoff verbrauchen als Geringverdiener-Haushalte. Diese Hilfen benötigen Haushalte mit höheren Einkommen nicht, sie können steigende Benzinkosten meist aus eigenen Mitteln bestreiten.

Drittens sind als Reaktion auf steigende Preise allgemeine Transfers an alle oder besonders betroffene Haushalte und Unternehmen denkbar, wie die Energieprämie. Dabei kann man ebenfalls fragen, ob sie für Menschen mit höheren Einkommen sinnvoll ist. Für die Zahlung der Prämie verschuldet sich der Staat, und diese Schulden muss er künftig bedienen. Wenn die Politik im Gegenzug die Einkommensteuer erhöht, belastet sie teilweise genau die Haushalte, die jetzt die Energieprämie erhalten. Immerhin stört die Prämie im Gegensatz zur Mineralölsteuersenkung nicht das Preissignal und verringert auch nicht die Anreize, auf das verknappte Energieangebot zu reagieren. Insofern ist dieser Teil des Entlastungspakets vorzugswürdig. Das gilt auch für den Kinderbonus

Für eine kreditfinanzierte Steuerentlastung durch eine sinkende Mineralölsteuer oder direkte Transfers ließe sich anführen, die Inflation schmälere die Kaufkraft, daher sei eine Stützung der Nachfrage nötig. Doch dabei wird übersehen, dass die Wirtschaft in einer Situation mit hoher Inflation nicht an zu niedriger, sondern zu hoher Nachfrage leidet. Steuersenkungen verschärfen dieses Problem.

Dem könnte man entgegenhalten, dass hohe Energie- und Lebensmittelpreise zumindest die Nachfrage in anderen Sektoren schwächen. Derzeit steigen die Preise jedoch auf breiter Front (wenn auch nicht so stark wie im Energiesektor), unter anderem deshalb, weil viele Haushalte in der Zeit der Pandemie erhebliche Ersparnisse gebildet haben, die jetzt in den Konsum fließen. Für breite steuerliche Entlastungen spricht allenfalls das Argument, dass Lohnerhöhungen geringer ausfallen könnten, wenn die Realeinkommen durch Steuerentlastungen steigen. Das würde die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale mindern.

Insgesamt sollte die Politik sich darauf konzentrieren, vulnerablen Gruppen zu helfen, die besonders von steigenden Energie- und Nahrungsmittelpreisen betroffen sind. Bei Gruppen, die diese Lasten selbst schultern können, sollte die Politik nicht eingreifen. Steigende Energiepreise sorgen für eine bestmögliche Anpassung an knappere Ressourcen. Deshalb sollte man sie wirken lassen.

Clemens Fuest, 53, ist seit April 2016 Präsident des ifo Instituts und Professor für Volkswirtschaftslehre an der Ludwig-MaximiliansUniversität München