Ökonomenpanel von ifo und FAZ

Ökonom*innen befürworten EU-Zölle auf russische Energieimporte

Russlands Drohungen eines Lieferstopps von fossilen Energieträgern in die EU und Chinas drastische Lockdowns in vielen Großstädten haben die Abhängigkeit Deutschlands von außereuropäischen Importen deutlich gemacht. Die Zuverlässigkeit der beiden Handelspartner wird jedoch nicht erst seit dem russischen Überfall auf die Ukraine und der strikten Durchsetzung der Zero-Covid-Strategie in China angezweifelt. Bereits seit längerem wird diskutiert, ob der Handel mit Autokratien auch aufgrund von Menschenrechtsverletzungen entlang der Lieferketten eingeschränkt werden soll. Das 39. Ökonomenpanel von ifo und FAZ widmet sich den globalen Lieferketten und dem Handel mit Autokratien. Die Umfrage wurde vom 24. Mai 2022 bis zum 31. Mai 2022 durchgeführt. An der Umfrage nahmen 158 Ökonom*innen teil.

Uneinigkeit bei der Bewertung der Abhängigkeit Deutschlands von der Weltwirtschaft

Ein Drittel der am 39. Ökonomenpanel Teilnehmenden ist der Meinung, dass Deutschland zu abhängig von der Weltwirtschaft sei. Deutschland habe eine übermäßige Exportorientierung und ein zu geringes Maß an internationaler Diversifizierung in den Lieferketten. Zudem seien geopolitische Risiken bei der Handelspolitik bisher zu wenig berücksichtig worden. Knapp 60% der Befragten beurteilen hingegen Deutschlands Abhängigkeit von der Weltwirtschaft als nicht zu groß und begründen dies mit den positiven Wohlstandseffekten durch den internationalen Handel. Außerdem mache globale Vernetzung unabhängiger und die deutschen Lieferketten seien bereits stark diversifiziert. Deutschland sei lediglich von einzelnen Ländern zu stark abhängig, nicht jedoch von der Weltwirtschaft als solche. Mit „Weiß nicht“ antworten 9%.

20220607-Oekonomenpanel_Lieferketten_1.png

Befürwortet wird vor allem eine internationale Diversifizierung der Beschaffung, um die Resilienz von Lieferketten zu stärken

Die internationale Diversifizierung ist unter den teilnehmenden Ökonominnen und Ökonomen die beliebteste Maßnahme, um die Resilienz von Lieferketten zu stärken (88%). Auf den Plätzen zwei und drei folgen die verstärkte Beschaffung aus anderen EU-Ländern (Nearshoring) mit 64% und die erhöhte Lagerhaltung, für die sich knapp die Hälfte der teilnehmenden Ökonominnen und Ökonomen aussprechen. Gut ein Drittel spricht sich für die bessere Überwachung von Lieferketten aus und jeweils ein gutes Viertel befürwortet die verstärkte heimische Beschaffung (Reshoring) und die Wiedereingliederung von ausgelagerten Prozessen ins Unternehmen (Insourcing). Als weitere Maßnahme wird das „Second Sourcing“ genannt, um die Resilienz von Lieferketten zu stärken. Zwei Ökonomen befürworten keine Maßnahmen; niemand antwortet mit „Weiß nicht“. Mehrfachnennungen waren bei dieser Frage möglich.

20220607-Oekonomenpanel_Lieferketten_2.png
20220607-Oekonomenpanel_Lieferketten_2.png

Bundesregierung sollte sich bei wirtschaftspolitischen Schritten zur Stärkung der Resilienz deutscher Lieferketten zurückhalten 

Viele teilnehmende Ökonominnen und Ökonomen fordern, dass sich die Bundesregierung bei wirtschaftspolitischen Maßnahmen zur Stärkung der Resilienz deutscher Lieferketten zurückhalten solle. Es sei Aufgabe der Unternehmen, über ihre Bezugsquellen und Abnehmer zu entscheiden. Wenn ein Eingreifen der Bundesregierung gefordert wird, bezieht sich dies insbesondere auf den Energiemarkt. Viele Ökonominnen und Ökonomen sehen es als Aufgabe des Staates, die Versorgungssicherheit mit Energieträgern, aber auch mit Produkten im Bereich öffentliche Gesundheit zu gewährleisten. Einige Teilnehmende befürworten die konsequente CO2-Bepreisung bei Herstellung und Transport von Waren und Dienstleistung. Außerdem wird gefordert, dass die EU weitere Handelsabkommen abschließen und nicht tarifäre Barrieren senken solle, damit Unternehmen Anreize für eine verstärkte Diversifizierung ihrer Bezugsquellen und Abnehmer haben. Es gibt auch Stimmen, die sich für einen stärkeren Einsatz der Bundesregierung für mehr Vorratshaltung auf europäischer Ebene einsetzen, um die Resilienz deutscher Lieferketten zu stärken. In Abbildung drei werden die Freitextantworten grafisch aufbereitet. Wörter, die in der Abbildung größer erscheinen, wurden häufiger genannt.

Infografik, Wirtschaftspolitik und Resilienz deutscher Lieferketten, ifo Ökonomenpanel, Mai 2022
Infografik, Wirtschaftspolitik und Resilienz deutscher Lieferketten, ifo Ökonomenpanel, Mai 2022

Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz wird nach Ansicht der Ökonominnen und Ökonomen Auslandsgeschäft für betroffene deutsche Unternehmen erschweren

Am 1. Januar 2023 tritt das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz in Kraft. Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitern (1.000 Mitarbeiter ab 2024) werden verpflichtet, ihre Lieferketten auf potentielle Menschenrechts- und Umweltrechtsverletzungen zu analysieren und ein Meldesystem für Menschenrechts- und Umweltrechtsverletzungen in Lieferketten einzurichten. Knapp vier Fünftel der teilnehmenden Ökonominnen und Ökonomen gehen davon aus, dass das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz das Auslandsgeschäft für betroffene deutsche Unternehmen erschweren wird. Sie begründen das mit dem erhöhten bürokratischen Aufwand für Unternehmen und der Schwierigkeit für Unternehmen, die im Gesetz geforderten Informationen zu beschaffen. Die Transaktionskosten stiegen durch das Gesetz an. Zudem bestehe das Risiko, dass Unternehmen als Folge des Gesetzes von einer geringeren Anzahl an Lieferanten ihre Vorprodukte beziehen müssten. Lediglich 15% sind der Meinung, dass das Auslandsgeschäft für betroffene Unternehmen durch das Gesetz nicht erschwert werde. Die Reputationsgewinne für Unternehmen seien höher als die zusätzlichen Kosten und es sei noch unklar, wie stark das Gesetz durchgesetzt werde. Mit „Weiß nicht“ antworten 7%. 

20220607-Oekonomenpanel_Lieferketten_4.png

Mehrheit für Einschränkungen der Handelsbeziehungen mit Autokratien

Mehr als die Hälfte der Teilnehmenden ist der Meinung, dass die deutsche Außenwirtschaftspolitik die Handelsbeziehungen mit Autokratien einschränken sollte. Der Handel mit Autokratien berge große geopolitische Risiken und es habe sich gezeigt, dass Autokratien oftmals keine verlässlichen Handelspartner seien. Außerdem habe Deutschland eine Verantwortung, auch über seine Landesgrenzen hinweg, die Menschenrechte zu wahren. Manche Teilnehmende unterscheiden zwischen Handel und Abhängigkeit: Handel mit Autokratien sollte weiterhin möglich sein; Deutschland dürfe sich aber nicht in eine Abhängigkeit von Autokratien begeben. Ein gutes Drittel will hingegen, dass die deutsche Außenwirtschaftspolitik die Handelsbeziehungen mit Autokratien nicht einschränkt. Deutschland solle sich nicht oder nur in Ausnahmefällen in die internen Angelegenheiten anderer Länder einmischen. Außerdem schade man mit einer Einschränkung der Handelsbeziehungen nicht nur den Autokraten, sondern in erster Linie den Menschen in den Autokratien. Autokratien könnten ohne Handel noch abgeschotteter und gefährlicher werden. Mit „Weiß nicht“ antworten 7%.

20220607-Oekonomenpanel_Lieferketten_5.png

Zölle auf russische Energieimporte befürwortet

Mehr als zwei Drittel der Teilnehmende sind der Meinung, dass EU-Zölle auf russische Energieimporte eine effektive Maßnahme seien, um Zahlungen an Russland zu reduzieren und gleichzeitig die Auswirkungen auf die Energieversorgung in Europa möglichst gering zu halten. Zölle seien besser als Embargos und effektiver als Mengenbeschränkungen. Russland werde durch die Zölle gezwungen, den Exportpreis seiner fossilen Energieträger zu senken. Gleichzeitig würden die höheren Energiepreise für Verbraucher*innen in Europa für eine optimale Anpassung der knappen Ressourcen über den freien Markt sorgen. Ein knappes Viertel der Teilnehmenden steht einem EU-Zoll auf russische Energieimporte skeptisch gegenüber und begründet das mit der Gefahr einer weiteren Steigerung der bereits hohen Verbraucherpreise. Russland habe insbesondere beim Gas eine große Verhandlungsmacht, sodass der Zoll hauptsächlich von der EU getragen werde, da die Nachfrage unelastisch sei. Einige Ökonom*innen  lehnen einen Zoll ab, da dieser nicht weit genug gehe und fordern stattdessen ein komplettes Einstellen der Zahlungen an Russland. Mit „Weiß nicht“ antworten 7%.

20220607-Oekonomenpanel_Lieferketten_6.png
20220607-Oekonomenpanel_Lieferketten_6.png
Aufsatz in Zeitschrift
Andreas Baur, Lisandra Flach, Klaus Gründler, Niklas Potrafke, Fabian Ruthardt
ifo Institut, München, 2022
ifo Schnelldienst, 2022, 75, Nr. 07, 31-35
Kontakt
Prof. Dr. Niklas Potrafke

Prof. Dr. Niklas Potrafke

Leiter des ifo Zentrums für öffentliche Finanzen und politische Ökonomie
Tel
+49(0)89/9224-1319
Fax
+49(0)89/907795-1319
Mail
Das könnte Sie auch interessieren