Lokales Sozialkapital und der Aufstieg des Rechtspopulismus
Projektlaufzeit: Juni 2018 - August 2021
Bearbeitender Bereich:
Fragestellung und Ziele
Fördern Sportvereine Toleranz und Zusammenhalt – oder verbreiten sich am Stammtisch nach dem Fußballtraining populistische Parolen besonders schnell? Für die gezielte Förderung von Toleranz in der Gesellschaft ist es wichtig, die Beziehungen innerhalb der Zivilgesellschaft zu kennen und zu verstehen. Die Summe dieser Beziehungen wird als Sozialkapital bezeichnet und bildet den „Kitt“ der Gesellschaft. Bisher wurde zumeist angenommen, dass Gemeinschaften mit intakten sozialen Beziehungen weniger stark populistischen Strömungen zuneigen und die Demokratie fördern. Allerdings könnte das mit sozialen Netzen verbundene Vertrauen gleichermaßen auch die Verbreitung von Populismus beschleunigen, etwa wenn Sportvereine systematisch durch Extremisten unterwandert werden. Aus theoretischer Sicht könnte Sozialkapital also sowohl Populismus bremsend als auch verstärkend wirken.
Methodische Vorgehensweise
Dieses Projekt konnte in verschiedenen Papieren kausale Zusammenhänge zwischen lokalem Sozialkapital und der Verbreitung von Populismus herstellen. Hierfür wurden natürliche Experimente in verschiedenen europäischen Ländern genutzt und einzigartige und innovative Datensätze mit Hilfe moderner ökonometrischer Verfahren analysiert (Difference-in-Differences, Regression-Discontinuity-Design).
Datenquellen
Die Studien beruhen auf händisch zusammengetragenen einmaligen Datensätzen, gesammelt aus administrativen Veröffentlichungen, Monografien sowie lokalen und nationalen Archiven.
Ergebnisse
Die Ergebnisse des Projekts deuten in Summe darauf hin, dass soziale Netze die Verbreitung von Populismus eher begünstigen. Eine „bremsende“ Wirkung von Sozialkapital konnte in keinem der untersuchten Fälle belegt werden. Eine besonders überraschende Erkenntnis dieses Projekts ist, dass „reale“ Netzwerke wie Sport- und andere Vereine populistische Tendenzen sogar stärker verbreiten können als Social-Media-Kanäle. Voraussetzung hierfür sind eine bereits in größeren Teilen der Gesellschaft verankerte populistische Grundhaltung – oder Populismus begünstigende Eigenschaften von Vereinen (z. B. starke Fokus auf inneren Gruppenzusammenhalt statt auf gesellschaftlichen Zusammenhalt). Vereine begünstigen also nicht per se die Verbreitung von Populismus – der Kontext ist hierfür entscheidend. Auf Basis dieser neuen Erkenntnisse lässt sich Toleranz über die Institutionen der Zivilgesellschaft deutlich gezielter fördern als bisher. Dennoch zeigte sich im Projektverlauf auch weiterer großer Forschungsbedarf, der insbesondere auf einen großen Mangel an Individualdaten zurückzuführen ist. Die Erkenntnisse dieses Projektes beruhen maßgeblich auf aggregierten Zahlen für Städte und Gemeinden. Tiefere Einblicke in die individuellen Beziehungen zwischen Vereinsmitgliedern sind hier nur bedingt möglich. Die künftige Forschung sollte außerdem auch die umgekehrte Kausalität von regierenden Populisten auf die Zivilgesellschaft untersuchen. Ein Spin-Off-Projekt aus dem geförderten Vorhaben untersucht inzwischen diese Frage genauer.
Publikationen
Populists in Power
CESifo, Munich, 2021
CESifo Working Paper No. 9336
Taxation under Direct Democracy
CESifo, Munich, 2021
CESifo Working Paper No. 9166
Forced Migration, Staying Minorities, and New Societies: Evidence from Post-War Czechoslovakia
CESifo, Munich, 2021
CESifo Working Paper No. 8950
Sind Ärzte die besseren Gesundheitsminister?
ifo Institut, Dresden, 2020
ifo Dresden berichtet, 2020, 27, Nr. 6, 26-27
Are Doctors Better Health Ministers?
2020
American Journal of Health Economics 6 (4), 498–532
Migrating extremists
2020
The Economic Journal 130 (628), 1135-1172