Aufsatz in Zeitschrift

Türkei, Argentinien, Brasilien, Indien: Schwellenländer vor neuer Krise?

Carsten Hefeker, Volker Treier, Ulrich Kater, Jörg Krämer, Ulrich Leuchtmann, Valentin Lang, Klaus-Jürgen Gern
ifo Institut, München, 2018

ifo Schnelldienst, 2018, 71, Nr. 23, 03-21

Türkei, Argentinien, Indonesien, Brasilien: Die Währungen vieler Schwellenländer befinden sich zunehmend unter Druck. Die Ursachen sind ähnlich: hohe Schulden, steigende Inflation und schwaches Wachstum. Es fällt den Ländern zunehmen schwer, internationales Kapital zu attrahieren. Stehen sie vor einer neuen Krise? Carsten Hefeker, Universität Siegen, legt dar, dass die Schwellenländer derzeit doppelt negativ von der amerikanischen Handels- und Währungspolitik betroffen sind. Die Konsequenzen der amerikanischen Handelspolitik und die Gefahr eines Handelskriegs seien Themen internationaler Diskussionen, aber auch die restriktiver gewordene amerikanische Geldpolitik habe negative Auswirkungen auf die Schwellenländer. Um diese negativen Effekte zu reduzieren, sollte die Fed die Folgen ihrer Geldpolitik stärker berücksichtigen. Eine moderatere Zinspolitik würde die Volatilität von Kapitalströmen reduzieren. Volker Treier, Deutscher Industrie- und Handelskammertag, Berlin, sieht die Schwellenländer ebenfalls durch höhere US-Zinsen belastet. Allerdings zeigten sich die meisten Schwellenländer heute widerstandsfähiger als in früheren Zeiten. Die Türkei und Argentinien seien zwei Sonderfälle, deren Probleme in erster Linie hausgemacht seien: Ein immenses strukturelles Leistungsbilanzdefizit belaste beide Länder. Ulrich Kater, Deka Bank, sieht die Schwellenländer als festen »Bestandteil des Anlageuniversums« an. Die institutionelle und makroökonomische Stabilität sowie die Entwicklung der Finanzmärkte in diesen Ländern haben deutliche Fortschritte gemacht. Trotz einer Zunahme der Verschuldung in den Schwellenländern in den Jahren nach der Finanzkrise sorgen im Durchschnitt moderate Finanzkennzahlen für ausreichendes Vertrauen in die Finanzmärkte der Schwellenländer. Nach Ansicht von Jörg Krämer und Ulrich Leuchtmann, Commerzbank AG, ist eine umfassende Krise der Schwellenländer wenig wahrscheinlich, auch wenn Krisen einzelner Schwellenländer nicht ausgeschlossen werden können. Die Verschuldungssituation sei in den meisten Fällen wenig alarmierend und die Geldpolitik der Schwellenländer besser geworden. Das Ausbleiben einer Krise bedeute aber nicht, dass die Schwellenländer zum ungewöhnlich hohen Wachstum der frühen 2000er Jahre zurückkehrten. Valentin Lang, Universität Zürich, geht der Frage nach, welchen Effekt Krisenländer erwarten können, wenn sie in ein IWF-Programm eintreten: Nach den bisherigen Erfahrungen könne der IWF kurzfristig dem Vertrauensverlust von Investoren entgegenwirken und zu einer geld- und finanzpolitischen Stabilisierung verhelfen. Langfristig allerdings hänge der Erfolg davon ab, ob der IWF dem Land Reformen zumute, die dieses auch innenpolitisch umsetzen könne. Reformprogramme, die zu starke Wachstumseinbrüche mit sich brächten und deren Lasten sich zu ungleich auf die Bevölkerung verteilten, seien zum Scheitern verurteilt. Klaus-Jürgen Gern, Institut für Weltwirtschaft, Kiel, stellt fest, dass das Wachstum in den Schwellenländern, das in den 2000er Jahren und in den Jahren unmittelbar nach der Großen Rezession der stärkste Treiber der weltwirtschaftlichen Expansion war, bereits vor einiger Zeit ins Stocken geraten ist. Das Krisenpotenzial sei durch eine gestiegene Verschuldung größer geworden. Es sei damit zu rechnen, dass die Wachstumsdynamik in den Schwellenländern allgemein nachhaltig gebremst werde. Eine ausgewachsene Schwellenländerkrise, vergleichbar mit der Asienkrise 1997, sei aber derzeit nicht wahrscheinlich.

Schlagwörter: Wirtschaftskrise, Währung, Türkei, Argentinien, Brasilien, Indien, Schwellenländer
JEL Klassifikation: H630, E520, G010, O100

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