Aufsatz in Zeitschrift

Verwerfungen auf dem Energiemarkt – USA gegen Nord Stream 2: Weg zur amerikanischen Energiedominanz?

Hubertus Bardt, Thilo Schaefer, André Wolf, Georg Zachmann, Kirsten Westphal
ifo Institut, München, 2018

ifo Schnelldienst, 2018, 71, Nr. 17, 03-14

Das Nord-Stream-2-Projekt soll in zusätzlichen Pipelines mehr Energie aus Russland direkt nach Deutschland transportieren, und zwar ohne den Transit durch Polen und durch die Ukraine. Den USA ist dieses Projekt ein Dorn im Auge, und die US-Regierung hat sogar über Sanktionen für europäische Firmen, die sich am Bau der Gaspipeline beteiligen, nachgedacht. Befürchtet sie, dass durch das Pipelineprojekt eine verstärkte Abhängigkeit der EU von Russland entstehe, die die Energiesicherheit in Europa untergrabe? Oder soll der Vorstoß dazu dienen, den amerikanischen Produzenten Marktanteile auf den globalen Energiemärkten zu sichern? Hubertus Bardt und Thilo Schaefer, Institut der deutschen Wirtschaft, Köln, legen dar, dass die derzeitige Energieversorgung Deutschlands als breit diversifiziert bezeichnet werden kann. Russisches pipelinegebundenes Gas mache ein Drittel des deutschen Gasmarkts aus, das entspreche weniger als 7% des Primärenergieverbrauchs. Versorgungsicherheit sei selbst bei einer vergleichsweise hohen Abhängigkeit gegeben, da eine wechselseitige Abhängigkeit beider Handelspartner vorliege. Denn die Erlöse aus den Gaslieferungen Russlands für Deutschland und Europa seien für den russischen Staatshaushalt zu wichtig. Damit seien gute Voraussetzungen für eine stabile Fortsetzung der Lieferungen gegeben. Die Konsequenzen für Polen und die Ukraine seien kritischer zu bewerten, da beide Länder mit sinkenden Transitgebühren rechnen müssten. André Wolf, HWWI, plädiert dafür, die Vorteile von Nord Stream 2 trotz des Drucks seitens der USA zu nutzen. Das Projekt impliziere nicht nur eine signifikante Kostenersparnis, sondern ermögliche es Deutschland auch, in Zeiten einer wieder zunehmenden politischen Entfremdung zwischen Russland und dem Westen, auf wirtschaftlicher Ebene die Beziehungen aufrechtzuerhalten. Georg Zachmann, Bruegel, sieht die Entwicklung der Importnachfrage nach Erdgas in der EU als ungewiss an. Bei steigender Importnachfrage könnten sowohl Nord Stream 2 als auch Flüssiggas helfen, die europäische Versorgung sicherzustellen. Bei sinkender Nachfrage könnte aus europäischer Sicht auf Nord Stream 2 und die damit verbundenen Nachteile verzichtet werden. Deshalb wäre es im gemeinsamen Interesse der EU, eine Entscheidung über den Bau von Nord Stream 2 zu verschieben, bis mehr Klarheit über die zukünftige Nachfrage der EU nach Erdgas besteht. Für Kirsten Westphal, Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin, sind die Verwerfungen auf den Energiemärkten auch Ausdruck zunehmender strategischer Konkurrenzen und Rivalitäten. Deutschland und die EU könnten zwischen Russland und USA aufgerieben werden und in ihrer Stellung global empfindlich verlieren. Nord Stream 2 binde dabei zu viel Aufmerksamkeit und verstelle den Blick auf die schrumpfenden europäischen Handlungsmöglichkeiten. Denn weder über ihren Bau oder den Baustopp würden die sicherheitspolitischen Probleme gelöst.

Schlagwörter: Energiemarkt, Erdgasmarkt, Nachhaltige Energieversorgung, Geopolitik, Russland, Europa, USA
JEL Klassifikation: L950, Q430

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ifo Institut, München, 2018