Monographie (Autorenschaft)

Dezentrale Energieversorgung versus Netzausbau

Karen Pittel, Johann Wackerbauer
IHK für München und Oberbayern, München, 2019

Ziel dieser Studie ist es, einen fachlich-fundierten Beitrag zum energiepolitischen Diskurs aus Sicht der bayerischen Wirtschaft zu liefern und faktenbasiert die drängenden Fragen der zukünftigen Energieversorgung in Bayern zu analysieren. Dabei stellt sich die Frage, wie die Stromversorgung Bayerns nach der Stilllegung der beiden letzten in Betrieb befindlichen Kernkraftwerke zu bewerkstelligen ist, wenn sich der Netzausbau weiter verzögert oder ganz darauf verzichtet würde. Gegenüber der Bruttostromerzeugung des Jahres 2017 von rund 85 TWh könnte der Strombedarf in Bayern aufgrund von Bevölkerungswachstum und neuen Stromanwendungen wie Elektromobilität oder Wärmepumpen bis zum Jahr 2025 auf über 110 TWh steigen. Bis zum Jahr 2025 baut sich in der Energieversorgung Bayerns eine Kapazitätslücke von rund 4,5 Gigawatt Leistung auf. Dieser Mehrbedarf kann zunächst durch Stromimporte, den Ausbau der dezentralen Stromerzeugung und netzstabilisierende Maßnahmen gedeckt werden, was allerdings hohe laufende Kosten verursacht.

Mit der Perspektive bis zum Jahr 2050 ergeben sich weitere Aspekte: Bis dahin soll die Stromerzeugung gemäß der europäischen und deutschen Klimapolitik weitgehend dekarbonisiert sein und dies bei einem gleichzeitig steigenden Strombedarf. Wegen des dafür erforderlichen Ausbaus der erneuerbaren Energien sind die beiden in Bayern endenden HGÜ-Leitungen mit jeweils 2 GW Kapazität von besonderer Bedeutung, um den Wind- und Solarstrom zwischen Nord- und Süddeutschland transportieren zu können und den Stromhandel in der deutschen Gebotszone auch zukünftig zu ermöglichen. Bei einer weiteren Verzögerung oder einem Verzicht auf den Netzausbau müsste die bis 2025 entstehende Kapazitätslücke dauerhaft durch Stromimporte sowie verstärkte dezentrale Stromversorgung geschlossen werden. Um Gaskraftwerke rentabel betreiben zu können wäre allerdings ein deutlich höherer CO2-Preis erforderlich. Bestehende Biogasanlagen könnten durch eine bessere Flexibilisierung zur gesicherten Stromversorgung beitragen. Solarstrom und Windenergie wären nur bei einem erheblichen Zubau von Stromspeichern ausbaufähig. Dennoch könnte das energiepolitische Ziel der Versorgungssicherheit für Bayern gewährleistet bleiben. Dies hätte jedoch seinen Preis: Es würden erhöhte Kosten für Redispatch und weitere Maßnahmen zur Netzstabilisierung entstehen. Ein Verzicht auf den Netzausbau würde zu einem erhöhten politischen Druck in Richtung der Einführung von zwei Preiszonen in Deutschland führen, die erhöhte Investitionen in die bayerische Energieversorgung erfordern würden. Die gesicherte Leistung müsste in Süddeutschland bis zum Jahr 2050 um ein Drittel erhöht werden, während sie in Norddeutschland sogar um ein Viertel verringert werden könnte. Im Ergebnis würden die Strompreise in Süddeutschland stärker steigen als im Norden.

Die energiepolitischen Handlungsoptionen der bayerischen Staatsregierung liegen in der Beschleunigung von Genehmigungsverfahren, der Abschaffung der 10H-Regel für Windkraftanlagen, der Verbesserung der Rahmenbedingungen für Biogasanlagen, Photovoltaik und Kraft-Wärme-Kopplung sowie verstärkter Forschungsförderung für neue Speichertechnologien.