Aufsatz in Zeitschrift

Corona-Aufbauplan: Bewährungsprobe für den Zusammenhalt in der EU?

Florian Dorn, Clemens Fuest, Friedrich Heinemann, Margit Schratzenstaller, Michael Thöne, Peter Becker, Christian Waldhoff, Christian Neumeier, Katarina Barley, Daniel Freund
ifo Institut, München, 2021

ifo Schnelldienst, 2021, 74, Nr. 02, 03-30

Florian Dorn und Clemens Fuest, ifo Institut, stellen die Frage nach einer ökonomischen Begründung für das „Next-Generation-EU“-Programm. Eine direkte Wirkung des NGEU-Programms für die wirtschaftliche Stabilisierung in der aktuellen Krise sehen sie eher als begrenzt an. Vielmehr scheine der schuldenfinanzierte Aufbauplan dem Ziel zu dienen, die Mitgliedstaaten mit öffentlichen Ausgabenprogrammen in den kommenden Jahren strukturell zu stärken und für die nächste Krise widerstandsfähiger zu machen. Auch lege das Vorhaben, eine "grünere, digitalere und widerstandsfähigere EU" zu erreichen, nahe, dass der Fonds eine allokative Funktion habe. 

Friedrich Heinemann, ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung, Mannheim, sieht das „Next-Generation-EU“-Programm kritisch bezüglich der Bewältigung des durch die Pandemie ausgelösten asymmetrischen Schocks. Auch als Finanzierungsinstrument für die Bereitstellung bislang unterfinanzierter europäischer öffentlicher Güter mit besonderer Beachtung der Pandemie-Erfahrungen sei es eher mangelhaft. Alternativ könnte es ein Instrument zur Bewältigung nationaler Überschuldung sein.

Margit Schratzenstaller, Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung, WIFO, wertet den europäischen Aufbauplan als Beleg für die Handlungsfähigkeit der EU in der Krise. Die gemeinsame Aufnahme von Schulden durch die EU-Mitgliedstaaten zur Finanzierung und seine zukunftsorientierte Ausrichtung machten das Aufbaupaket zu einem bemerkenswerten Kooperationsprojekt, das großes Potenzial habe, den Zusammenhalt in der EU zu stärken und wichtige Ziele der EU zu unterstützen.

Michael Thöne, Universität zu Köln, geht davon aus, dass der Beschluss zum Aufbauplan viel für den gegenwärtigen Zusammenhalt der EU getan hat. Die gemeinsame Verschuldung könne zum Katalysator einer schrittweisen, aber in der Substanz doch grundlegenden Reform der EU-Einnahmen werden und zu mehr europäischen öffentlichen Gütern führen.

Entscheidend dafür, ob die neuen Hilfsprogramme und Instrumente einen nachhaltigen integrationspolitischen Schwung entfalten können, ist nach Ansicht von Peter Becker, Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin, die erfolgreiche und nachhaltige Implementierung der nationalen Umsetzungspläne. Eine Voraussetzung hierfür sei, dass die Kommission ihre Aufgabe bei der Überwachung und Kontrolle der Implementierung ernst nehme. Zeichne sich ein echter und sichtbarer Mehrwert ab und führe die finanzielle Unterstützung zu einer spürbaren wirtschaftlichen Erholung, könnte sich aus dem wirtschaftlichen Aufschwung ein Anstoß für mehr politisches Zusammenwirken in der EU entwickeln.

Nach der Einigung mit Polen und Ungarn im Streit über den neuen Rechtsstaatsmechanismus zogen die beiden Länder ihr Veto gegen das „Next-Generation-EU“-Programm zurück. Der Kompromiss bleibt in manchen Punkten hinter den öffentlichen Erwartungen zurück. Christian Waldhoff und Christian Neumeier, Humboldt-Universität zu Berlin, sehen aber in dem neuen Rechtsstaatsmechanismus einen moderaten Fortschritt für die Durchsetzung rechtsstaatlicher Institutionen in den Mitgliedstaaten, dessen langfristiges Potenzial nicht unterschätzt werden sollte.

Katarina Barley, Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, sieht in der Verordnung über die Rechtsstaatlichkeit ein wichtiges Instrument der Europäischen Union zur Verteidigung ihrer Grundwerte. Gemeinsam mit dem Mehrjährigen Finanzrahmen 2021–2027 und dem Aufbauprogramm „Next Generation EU“ bilde die Verordnung ein Gesamtpaket für einen europäischen Grundkonsens.

Die Rekordsumme aus dem künftigen EU-Haushalt und den Corona-Hilfen ist ein beispielloser Akt europäischer Solidarität. Die EU muss allerdings sicherstellen, dass die Gelder jenen zugutekommen, die von den wirtschaftlichen Folgen der Pandemie am stärksten betroffen wurden. Daniel Freund, Europäisches Parlament, sieht in dem Rechtsstaatsmechanismus – auch in dem gefundenen Kompromiss mit Polen und Ungarn – einen Weg, die Zahlung von EU-Geldern an die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien zu knüpfen.

Schlagwörter: EU-Haushalt, Wirtschaftspolitik, Epidemie, EU-Staaten
JEL Klassifikation: H500, E610

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ifo Institut, München, 2021