Aufsatz in Zeitschrift

Die USA unter Joe Biden: Kehrtwende oder "America first light"?

Philipp Hauber, Stormy-Annika Mildner, Galina Kolev, Jürgen Matthes, Sonja Peterson, Reimund Schwarze, Christiane Lemke, Martin Thunert, Laura von Daniels, Josef Braml, Johannes Varwick, Dorine Boumans, Klaus Gründler, Niklas Potrafke, Fabian Ruthardt
ifo Institut, München, 2021

ifo Schnelldienst, 2021, 74, Nr. 01, 03-37

Am 20. Januar 2021 wird Joe Biden als der 46. Präsident der USA ins Weiße Haus einziehen. Mit dem Machtwechsel in Washington werden in Deutschland und in Europa große Erwartungen und Hoffnungen verbunden. Viele versprechen sich eine Entspannung der transatlantischen Beziehungen sowie die Rückkehr der USA zum Multilateralismus und einer regelbasierten internationalen Ordnung. Auch in der Wirtschaftspolitik wird mit Veränderungen gerechnet, die vor allem der Handels- und der Klimapolitik positive Impulse verleihen würden. Sind die Hoffnungen auf eine neue politische Ära berechtigt?

Philipp Hauber, Institut für Weltwirtschaft, Kiel, rechnet mit erheblichen Veränderungen in der Wirtschaftspolitik. Die Agenda von Joe Biden sehe weitreichende Ausgaben vor allem in den Bereichen Infrastruktur, erneuerbare Energien und Bildung vor, die zum Teil durch Steuererhöhungen finanziert werden sollen.

Stormy-Annika Mildner, Aspen Institute, Berlin, geht davon aus, dass Biden zwar die „America-first“-Politik von Trump nicht fortsetzen werde, allerdings werde seine Handelspolitik ebenfalls protektionistische Elemente enthalten. Zudem gehöre Handel nicht zu seinen Top-Prioritäten. Umso wichtiger sei es, dass die Handelspartner der USA – allen voran die EU – nicht auf Angebote warten, sondern den USA aktiv Angebote unterbreiten.

Galina Kolev und Jürgen Matthes, Institut der deutschen Wirtschaft, Köln, sehen vor allem eine Änderung im Ton bei der Handelspolitik. Jedoch dürfte auch unter Joe Biden der wirtschafts- und handelspolitische Kurs der USA weiterhin von dem Grundsatz “America first” geprägt sein.

Sonja Peterson, Institut für Weltwirtschaft, Kiel, geht davon aus, dass sich die USA mit Joe Biden wieder den Zielen des Pariser Klimaabkommens verpflichtet fühlen. Denn er habe für die USA ambitionierte und angemessene langfristige Ziele – u. a. Treibhausgasneutralität bis 2050 – angekündigt.

Reimund Schwarze, Universität Leipzig, sieht ebenfalls positive Zeichen für die internationale Klimapolitik. Es bahne sich ein „Club der Klimaschützer“ an, dem sich kein Staat mehr entziehen könne. Der Regierungswechsel in den USA könne der Verbindung von Klima- und Handelspolitik entscheidende Impulse geben.

In der Gesundheitspolitik spiegelt sich, wie Christiane Lemke, Universität Hannover, zeigt, der tiefe politische Graben zwischen Demokraten und Republikanern wider. Nur 55% der Republikaner stimmen einer staatlichen Verantwortung bei der Gesundheitsversorgung zu, 10% lehnen sie völlig ab. Bei den Demokraten betrachten dagegen 80% die Gesundheitsversorgung als staatliche Aufgabe, und nur 1% lehnt diese ab.

Nach Meinung von Martin Thunert, Universität Heidelberg, werde die Politik der USA unter Biden im ersten Jahr seiner Amtszeit überwiegend als klare Kehrtwende zu Trump wahrgenommen, speziell beim Thema Klimawandel und Iran-Atomabkommen.

Nach Ansicht von Laura von Daniels, Stiftung Wissenschaft und Politik, wird Joe Biden alles daransetzen, der US-Wirtschaft bis zum Frühjahr 2022 zu einem Aufschwung zu verhelfen. Für Europa bedeute das, dass die Biden-Regierung nichts tun werde, was diesem Ziel zuwiderlaufen könnte. Europa sollte daher seine Erwartungen an einen großen multilateralen Moment herunterdimmen.

Josef Braml, Universität Bonn, sieht die geo-ökonomische Rivalität zwischen den Vereinigten Staaten und China durch die Biden-Administration verstärkt.

Johannes Varwick, Universität Halle-Wittenberg, rechnet mit zentralen Änderungen in der Außenpolitik. Zwar werden mit Joe Biden nicht die guten alten Zeiten im transatlantischen Verhältnis zurückkehren, aber vieles werde mit ihm einfacher. Es dürfte mehr Bereitschaft geben, eine gemeinsame transatlantische Linie auszuloten.

Dorine Boumans, Klaus Gründler, Niklas Potrafke und Fabian Ruthardt, ifo Institut, zeigen, wie der Ausgang der US-Präsidentschaftswahl 2020 die Erwartungen von internationalen Experten zu den wirtschaftlichen Entwicklungen in ihren Heimatländern beeinflusst hat. Die BIP-Wachstumsrate des Heimatlandes wurde in der Gruppe, die wusste, dass Joe Biden US-Präsident wird, für das Jahr 2021 um 0,98 Prozentpunkte höher eingeschätzt als in der Kontrollgruppe.

Schlagwörter: Wirtschaftspolitik, Außenwirtschaftspolitik, Klimapolitik, USA, Europa
JEL Klassifikation: F130

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ifo Institut, München, 2021