Aufsatz in Zeitschrift

Strukturwandel in der Automobilindustrie – wirkt die Pandemie als Beschleuniger?

Thomas Puls, Werner Olle, Heike Proff, Oliver Falck, Nina Czernich, Johannes Koenen, Florian Herrmann, Wolfgang Beinhauer, Stefan Reindl, Alexander Wottge, Roman Zitzelsberger, Ilka Horstmeier, Ellen Enkel, Maxime Kinkel, Karsten Neuberger, Ruth Heuss, Timo Möller
ifo Institut, München, 2021

ifo Schnelldienst, 2021, 74, Nr. 05, 03-35

Thomas Puls, Institut der deutschen Wirtschaft, Köln, sieht die deutsche Autoindustrie aufgrund früherer strategischer Entscheidungen relativ gut für den Strukturwandel gerüstet. Viele große Firmen sind gut vorbereitet, bei den kleinen Zulieferern müsse hingegen von spürbaren Verlusten ausgegangen werden. Die Autoindustrie werde den Wandel bewältigen, aber ihre frühere Rolle als industrielle Wachstumslokomotive am Standort Deutschland nicht mehr ausfüllen können.

Nach Ansicht von Werner Olle, Chemnitz Automotive Institute, markiert das Jahr 2020 den Beginn einer nachhaltigen Trendwende zur Elektromobilität, die zwar durch de Pandemie nicht verursacht, aber verstärkt wird. Die Automobilzulieferindustrie stehe vor einer sich noch verschärfenden Herausforderung. Auf der einen Seite beschleunige sich der automobile Strukturwandel, auf der anderen Seite seien für viele kleine und mittelständische Zulieferunternehmen in der Krise die finanziellen Ressourcen deutlich geringer geworden. Zu erwarten sei daher ein Differenzierungsprozess innerhalb der Automobilzulieferindustrie, der durch eine zunehmende Konzentration begleitet werde. Kleine und mittelständische Unternehmen werden diesem Druck nicht immer standhalten können.

Heike Proff, Universität Duisburg-Essen, hält fest, dass die Pandemie bereits jetzt sowohl die Digitalisierung in Automobilmarketing, -vertrieb und -produktion als auch die Transformation zu neuen Antriebstechnologien beschleunigt und damit den notwendigen Strukturwandel in dieser Branche treibt.

Oliver Falck, Nina Czernich, ifo Institut, und Johannes Koenen, ARC Econ GmbH, zeigen, dass der Transformationsprozess der Automobilindustrie zu einem Wandel in der Beschäftigung führen wird und voraussichtlich nicht komplett über die altersbedingte Beschäftigungsfluktuation abgefedert werden kann. Es erfordere Weiterbildungs- und Umschulungsmaßnahmen, um die teilweise negativen Auswirkungen auf bestimmte Beschäftigungsgruppen abzufedern.

Florian Herrmann und Wolfgang Beinhauer, Fraunhofer IAO, weisen auf eine Studie mit Volkswagen hin, die vor allem den Wandel zur Elektromobilität mit ihren neuen Fertigungs- und Entwicklungsprozessen als Beschleuniger für die Digitalisierung der Produktion ausweist. Aber der ohnehin schon hohe Transformationsdruck auf die deutsche Automobilwirtschaft habe sich auch durch die neuerliche Verschärfung der Klimaziele und die Corona-Pandemie erhöht und verkürze die Zeit für den notwendigen Beschäftigungsumbau in Deutschlands wichtigster Branche.

Stefan Reindl und Alexander Wottge, Hochschule für Wirtschaft und Umwelt, Nürtingen-Geislingen, fassen die Pandemie als „Beschleuniger“ des Strukturwandels auf, da sie die Strukturschwächen offenlegte. 

Roman Zitzelsberger, IG Metall, sieht in der Pandemie nicht per se einen Katalysator des Strukturwandels. Sie habe aber indirekt einige beschleunigende Effekte. Für die Beschäftigung gelte: Je näher der Arbeitsplatz am Verbrenner-Antriebsstrang hängt, desto gefährdeter ist er durch den technologischen Wandel. Fakt sei aber auch, dass momentan mehr Arbeitsplätze durch Verlagerungen in Niedriglohnländer als durch den Trend zur Elektromobilität verlorengehen.

Ilka Horstmeier, BMW, zeigt auf, dass der Zuwachs an Elektromobilität mit dem Auf- und Umbau von Kompetenzen verbunden ist. Der technologische Fortschritt bedeute deshalb auch vor allem, einen enormen Kompetenzumbau zu stemmen. So werden bereits seit 2009 die Belegschaft im Bereich Elektromobilität weitergebildet.

Ellen Enkel, Maxime Kinkel und Karsten Neuberger, Universität Duisburg-Essen, diskutieren, wie die Corona-Pandemie die digitalen Geschäftsmodelle und Vertriebskonzepte – insbesondere die Shared Mobility sowie neue digitale Vertriebskonzepte im Online-Vertrieb und das Auto-Abo – verändert hat und welche Zukunftsaussichten aus diesen Veränderungen abgeleitet werden können. 

Nach Ansicht von Ruth Heuss und Timo Möller, Mc Kinsey & Company, hat sich die Digitalisierung in der Autoindustrie durch Corona beschleunigt. Dies zeige sich in drei Bereichen digitaler Vertrieb, Car Data und Mobilitätsdienste besonders deutlich. Wenn die Autoindustrie die Digitalisierung weiter so vorantreibe, wie sie es in den vergangenen zwölf Monaten getan habe, könne sie den Strukturwandel erfolgreich gestalten.

Schlagwörter: Kfz-Industrie, Elektrofahrzeug, Branchenentwicklung, Klimaschutz, Nachhaltige Mobilität, Epidemie
JEL Klassifikation: L620

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