Krieg in der Ukraine
Der Überfall Russlands auf die Ukraine ist nicht nur eine militärische und geopolitische Zäsur. Er verändert auch die wirtschaftliche Lage. Das betrifft sowohl die kurzfristige Konjunkturentwicklung als auch die mittelfristigen Aussichten für Wachstum und Wohlstand. Die bislang erwartete konjunkturelle Erholung wird geschwächt. Es droht Stagflation, also eine Kombination aus schwachem Wachstum und hoher Inflation. Die Geldpolitik steht vor einem Dilemma: Zinserhöhungen können die Inflation zwar eindämmen, würden das Wachstum aber weiter dämpfen. Die Finanzpolitik bewirkt ebenfalls wenig: Sie kann die Lasten steigender Preise umverteilen, aber nicht aus der Welt schaffen.
Mittelfristig führt die Diversifizierung der Energieversorgung zu mehr Versorgungssicherheit, aber auch höheren Energiekosten. Deutschland als Standort für energieintensive Industrien droht an Boden zu verlieren. Ein Gasembargo gegen Russland befeuert möglicherweise den Zerfall der Weltwirtschaft in einen amerikanisch und einen chinesisch dominierten Block. Größter Verlierer ist Russland, aber auch in Deutschland wird der Wohlstand sinken. Der Krieg in der Ukraine erfordert neben hohen Investitionen in eine neue Infrastruktur für die Energieversorgung ebenso neue Rüstungsausgaben und Hilfen für Flüchtlinge. Diese steigenden Ausgaben sind notwendig, erfordern aber langfristig Steuererhöhungen und Kürzungen öffentlicher Ausgaben in anderen Bereichen.
Krieg in der Ukraine belastet Konjunktur
Bis zum russischen Überfall auf die Ukraine gingen die Konjunkturprognosen davon aus, dass im kommenden Sommer ein Aufschwung zu erwarten ist. Der Krieg in der Ukraine hat die Konjunkturaussichten nun erheblich verdüstert. Die Energiepreise sind noch einmal angestiegen. Das belastet die Konjunktur auf mehrfache Weise. Verbraucher müssen mehr Geld fürs Heizen und an der Zapfsäule ausgeben. Auch andere Güter werden knapper und teurer, weil Unternehmen höhere Produktions- und Transportkosten haben und deshalb weniger herstellen und ihre Preise erhöhen. Wie sollte die Politik auf diese Lage reagieren? Herkömmliche Konjunkturpolitik in Form höherer öffentlicher Ausgaben oder steuerlicher Entlastungen helfen hier nicht. Es gibt keinen Mangel an Nachfrage, sondern eine Verknappung des Güterangebots.
Benzinsteuersenkungen kontraproduktiv
In vielen Ländern, auch in Deutschland, hat sich die Politik entschieden, Steuern auf Benzin und Diesel zu senken. Dieser Weg ist populär, aber ökonomisch eher schädlich. Da die Steuersenkung nicht automatisch an die Konsumenten weitergereicht wird, muss man davon ausgehen, dass ein Teil der Entlastung die Gewinne der Mineralölproduzenten steigert, nach empirischen Schätzungen mindestens ein Drittel. Der Rest der Entlastung fließt zum großen Teil an Haushalte mit überdurchschnittlichen Einkommen. Das sind aber genau die Haushalte, die künftig zur Kasse gebeten werden, wenn Steuern erhöht werden, um die Staatsschulden zu bedienen, die zur Finanzierung der Benzinsteuersenkung aufgenommen wurden. Es handelt sich also für viele nur um Umverteilung von der rechten in die linke Tasche. Besser ist es, Haushalten mit niedrigen Einkommen oder Fernpendlern, die durch steigende Benzinpreise besonders stark belastet werden, gezielt zu helfen. Unter den bereits ergriffenen Maßnahmen sind pauschale Zahlungen an Empfänger von Sozialtransfers und kinderreiche Familien und höhere steuerliche Pauschalen für Fernpendler überzeugender.
Zielgerichtete Hilfen, um gestiegene Energiepreise abzufedern
Grundsätzlich sind hohe Energiepreise in der aktuellen Situation wichtig, da sie Verbraucher*innen und Unternehmen signalisieren, weniger Energie zu verbrauchen. Einkommensschwache Haushalte brauchen gezielte Unterstützung, um mit den besonders steigenden Energiekosten fertig zu werden. Für Unternehmen könnte ein einfacher Zugang zu Krediten dazu beitragen, die Belastung zu verringern und gleichzeitig Anreize zu schaffen, so wenig öffentliche Beihilfen wie möglich in Anspruch zu nehmen. Auch die Kurzarbeit könnte helfen, Störungen auf dem Arbeitsmarkt zu überbrücken.
EZB muss Inflation bekämpfen
Während das Wirtschaftswachstum durch den Ukraine-Krieg geschwächt wird, steigt die Inflation, in erster Linie getrieben durch steigende Preise für Energie und Lebensmittel. Die Inflation in Deutschland dürfte auch in den kommenden Monaten bei über 7% liegen. In der Eurozone liegt die Geldentwertung sogar noch etwas höher. Diese stagflationäre Entwicklung stellt die Geldpolitik vor Probleme. Es erscheint naheliegend, von der EZB zu fordern, angesichts der Krise den Abbau der Anleihekäufer weiter zu verschieben. Aber damit wächst die Gefahr, dass die Inflation weiter steigt und sich die Inflationserwartungen „entankern“. Die EZB hat vor allem Einfluss auf die längerfristigen Inflationserwartungen. Hier gilt es zu verhindern, dass sich Tarifpartner und andere Akteure der Wirtschaft auf höhere Inflationsraten einstellen. Sonst droht eine Lohn-Preis-Spirale, die nur mit hohen Kosten zu stoppen ist. In dieser Lage muss die Notenbank trotz fragiler Konjunktur die Inflation bekämpfen.
Rolle der Gasimporte für die deutsche Wirtschaft
Ein erhebliches Risiko für die weitere Konjunkturentwicklung liegt in einem plötzlichen Ausfall der Gasimporte aus Russland. Dazu könnte es kommen, weil sich die russische Regierung entscheidet, kein Gas mehr zu exportieren, weil Pipelines durch Kriegshandlungen beschädigt werden oder weil die deutsche Regierung sich – im Alleingang oder EU-weit koordiniert – entscheidet, kein Gas aus Russland mehr zu importieren. Die größere Herausforderung besteht darin, kurzfristig Ersatz für russisches Gas zu finden. Während Öl und Kohle wahrscheinlich aus anderen Ländern geliefert werden können, ist die Situation auf dem Gasmarkt komplexer. Aufgrund des bestehenden Pipelinenetzes und der letztlich begrenzten Kapazitäten der Terminals ist eine kurzfristige Substitution durch LNG ebenso wie eine Erhöhung der Pipelineimporte aus anderen Ländern nur in begrenztem Umfang möglich. In erster Linie sollten politische Maßnahmen darauf abzielen, die Anreize zur Substitution und Einsparung fossiler Energien so schnell wie möglich zu erhöhen, auch wenn ein Embargo nicht unmittelbar bevorsteht. Sofortiges Handeln vermeidet die Notwendigkeit noch massiverer Anpassungen in diesem oder kommenden Jahr, sollte es hart auf hart kommen.
Weniger abhängig von Russland werden, ohne Gasimporte ganz einzustellen
Derzeit scheint sich die deutsche Politik dafür entschieden zu haben, kurzfristig weiter Gas aus Russland zu importieren, diese Importe aber mittelfristig ganz einzustellen. Diese Vorgehensweise ist problematisch. Falls es überhaupt sinnvoll ist, Gasimporte aus Russland einzustellen, dann sofort. Nach dem Ende des Ukraine-Krieges erscheint es sowohl im Hinblick auf Kosten der Energieversorgung als auch strategisch klüger, weiter Gas aus Russland zu importieren. Gleichzeitig müssen Parallelstrukturen aufgebaut werden, unter anderem LNG-Terminals und diversifizierte Lieferbeziehungen, damit man bei Bedarf schnell auf russisches Gas verzichten kann. Dies sollte EU-weit koordiniert werden und führt letztlich zu einer Gasversorgung, die teurer ist als bisher, aber eben auch deutlich sicherer. Außerdem würde aus der heutigen beidseitigen Abhängigkeit eine einseitige Abhängigkeit Russlands von der EU werden und damit eine unter strategischen Aspekten bessere Situation für die EU als ein dauerhafter Abbruch der Gasimporte. Denn bei einem Abbruch endet zwar die Abhängigkeit der EU von den Importen, es entfällt aber auch die Möglichkeit, auf Russland Druck auszuüben. Ob Russland bereit wäre, sich in diese einseitige Abhängigkeit zu begeben, ist eine offene Frage. Russland hat aber nur die Alternative, vollständig von anderen Nachfragern wie etwa China oder Indien abhängig zu werden. Das spricht dafür, dass Russland auch unter diesen Bedingungen weiter Gas an die EU-Staaten liefern würde.
Clemens Fuest Should we stop importing gas from Russia?
Präsentation auf einer Tagung des italienischen Thinktanks The European House Ambrosetti, 1-2 April 2022.
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Aufsatz in ZeitschriftAlbert Landsbergerifo Institut, Dresden, 2023ifo Dresden berichtet, 2023, 30, Nr. 3, 23-26
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