Aufsatz in Zeitschrift

Die Wahrnehmung sozialer Ungleichheit in der Lebenserwartung und wie diese die Politikpräferenzen (nicht) beeinflusst

Lasse J. Jessen, Sebastian Köhne, Patrick Nüß, Jens Ruhose
ifo Institut, München, 2024

ifo Schnelldienst, 2024, 77, Nr. 04, 43-48

In Deutschland leben die reichsten 10% der Bevölkerung durchschnittlich sieben Jahre länger als die ärmsten 10%. Diese soziale Ungleichheit in der Lebenserwartung ist in den vergangenen Jahren tendenziell noch angestiegen. Möchte die Politik etwas an diesem Umstand ändern, ist die Gunst der Wählerschaft eine notwendige Voraussetzung. Doch ist sich die Bevölkerung über das Ausmaß der sozialen Ungleichheit in der Lebenserwartung bewusst? Und inwiefern hängt die Unterstützung sozialpolitischer Maßnahmen von diesem Bewusstsein ab? Diese Fragen beantworten wir mit Hilfe eines Umfrageexperiments mit 6 000 Teilnehmenden. Die Ergebnisse zeigen, dass die Bevölkerung nur eine sehr diffuse Wahrnehmung sozialer Ungleichheit in der Lebenserwartung hat: 30% der Teilnehmenden unterschätzen die Ungleichheit, wohingegen 70% diese überschätzen. Im Durchschnitt überschätzt die deutsche Bevölkerung den Unterschied in der Lebenserwartung zwischen Arm und Reich um vier Jahre. Wenn man die Bevölkerung über die tatsächliche soziale Ungleichheit in der Lebenserwartung informiert, gleicht sich das Problembewusstsein von Über- und Unterschätzenden der Ungleichheit an. Allerdings finden wir keinen Einfluss auf die Politikpräferenzen. Die Zustimmung zu sozialpolitischen Maßnahmen, die eine höhere Lebenserwartung der Armen über die Gesundheitsversorgung, ökonomische Sicherheit, Lebens- und Arbeitsbedingungen sowie Bildung adressieren würden, ist hoch und unabhängig vom wahrgenommenen Ausmaß der sozialen Ungleichheit in der Lebenserwartung.

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Zeitschrift (Einzelheft)
ifo Institut, München, 2024