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"Ohne Bildung keine soziale Marktwirtschaft"

Experten-Kommentar Prof. Dr. Ludger Wößmann

In Deutschlands Bildungssystem ist es mit der Chancengerechtigkeit nicht weit her. Zahlreiche Studien belegen, dass der Bildungserfolg im frühkindlichen, schulischen und universitären Bereich stark damit zusammenhängt, aus welchen sozialen Hintergründen und familiären Einkommensverhältnissen die Kinder und Jugendlichen kommen. Im internationalen Vergleich sind die Herkunftsunterschiede in Deutschland besonders stark ausgeprägt.

Beispielsweise liegen die Mathematikleistungen von 15-jährigen Schülerinnen und Schülern aus schwierigen sozialen Verhältnissen im Durchschnitt etwa vier Schuljahre hinter den Mathematikleistungen von jenen aus guten sozialen Verhältnissen zurück. Und wenn es zum Studium geht, studieren 79 Prozent der Kinder von Akademikern, aber nur 27 Prozent der Kinder von Nicht-Akademikern.

Für die Chancengleichheit in unserer Gesellschaft sind diese Befunde ein großes Problem. Denn die Arbeitsmarktforschung zeigt, dass eine gute Bildung ein wesentlicher Bestimmungsfaktor der wirtschaftlichen Chancen ist. Deshalb hängt die Akzeptanz einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung davon ab, ob sie die Menschen in die Lage versetzt, von den Möglichkeiten der freien Wirtschaft zu profitieren. Dazu müssen die Menschen zum Zeitpunkt, an dem sie beginnen selbständig über ihren Lebensweg zu entscheiden, möglichst gleiche Startchancen haben. Zu diesem Zeitpunkt sind aber aufgrund des bereits zurückgelegten Bildungsweges schon viele Weichen gestellt.

Deshalb muss die Bildungspolitik, und ganz besonders die Phase bis zum Ende des allgemeinbildenden Schulsystems, ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken, wenn es darum geht, eine Gesellschaftsordnung zu schaffen und aufrechtzuerhalten, die zugleich freiheitlich und menschenwürdig ist. Als Instrument zur Herstellung gleicher Startchancen wird Bildungspolitik zur zentralen – und allzu oft sträflich vernachlässigten – Säule der Sozialen Marktwirtschaft.

Für Kinder, deren Familien nicht schon von sich aus sicherstellen, dass ihr volles Bildungspotential ausgeschöpft wird, hat der Staat eine fundamentale Aufgabe. Das ist leichter gesagt als getan, denn Bildungspolitik ist nicht allmächtig. Die Schule kann nicht komplett ersetzen, was in den Familien versäumt wird. Gleichwohl gibt es klare Belege, dass Bildungspolitik etwas bewegen kann. In der internationalen Forschung haben sich frühkindliche Bildung und Mehrgliedrigkeit als wichtige Einflussfaktoren auf die Chancengleichheit erwiesen. Das frühkindliche Bildungssystem muss quantitativ und qualitativ so ausgelegt sein, dass Kinder aus benachteiligten Verhältnissen gut vorbereitet in die Grundschule kommen. Im Schulsystem würde eine spätere Aufteilung auf verschiedene Schularten die Chancen von Kindern aus benachteiligten Verhältnissen erhöhen, ohne dass darunter die besten Schüler leiden. Schließlich reichen Maßnahmen nach dem Gießkannenprinzip nicht aus, um Ungleichheiten auszugleichen. Es bedarf gezielter Maßnahmen für benachteiligte Gruppen.

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