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Energieeffizienz? Wind und Sonne sind die dominanten Vermeidungstechnologien im Stromsektor!

Mathias Mier und Christoph Weissbart erklären, dass beim Erreichen der europäischen Klimaziele die Energieeffizienz nur eine untergeordnete Rolle spielt. Die Politik sollte sich stattdessen auf den Ausbau von erneuerbaren Energien und die Flexibilisierung der Nachfrage konzentrieren.


Quelle:
Ökonomenstimme 29

2015 verpflichteten sich 195 Staaten im Pariser Abkommen, ihre CO2-Emissionen zu reduzieren, um die Erderwärmung auf 2° C zu begrenzen; und ließen keine spürbaren Taten folgen. Die jährlichen Emissionen erreichten 2017 mit 36,7 Gigatonnen CO2 einen neuen Höchststand. Der Stromsektor ist für einen Drittel der weltweiten Emissionen verantwortlich und damit wesentlicher Treiber dieser Entwicklung. Steigende Haushaltseinkommen, Elektrifizierung, Digitalisierung und eine zunehmende Nutzung von Klimaanlagen werden die Stromnachfrage in Zukunft sogar noch erhöhen.

Derzeit wird die Technologiewahl im Stromsektor maßgeblich von Emissionshandelssystemen (z.B. das European Union Emissions Trading System, EU ETS) und Förderungsmechanismen (z.B. Einspeisetarife) geprägt, welche zu einem verstärkten Ausbau von Erzeugungstechnologien zur Nutzung erneuerbarer Energien (EE) führen. Da die Erhaltung einer dauerhaft konstanten Netzspannung ein ausgeglichenes Verhältnis von Stromerzeugung und –verbrauch voraussetzt, ist das fluktuierende Angebot von EE eine Herausforderung. Komplementäre Technologien zum Ausgleich dieser Fluktuationen sind erforderlich. Diese stossen jedoch ebenfalls CO2 aus (Gasturbinen), sind knapp bezüglich Topologien (Pumpspeicher), Landnutzungskonflikten ausgesetzt (Biomasse), gesellschaftlich wenig akzeptiert (Netzausbau) oder derzeit schlichtweg zu teuer (Batterien, Power-to-Gas). 

Daher verlagert sich der Fokus der Dekarbonisierung von angebotsseitigen Anpassungen zunehmend auf Maßnahmen zur Anpassung der Nachfrage. Das neue (alte) Wundermittel scheint Energieeffizienz zu sein. Die Internationale Energieagentur beispielsweise prognostiziert, dass Verbesserungen bei der Energieeffizienz zu 44% dazu beitragen, die Klimaziele von Paris zu erreichen, wobei Wind- und Sonnenenergie nur 36% der Vermeidung ausmachen würden (IEA 2018).

Energieeffizienz spielt untergeordnete Rolle

Zumindest für den europäischen Stromsektor können diese Zahlen nicht bestätigt werden. Vor dem Hintergrund einer Emissionsreduzierung im europäischen Stromsektor bis 2050 um 80% (im Vergleich zum Basisjahr 1990), tragen Energieeffizienzmaßnahmen nur zu 11% zur Erreichung der europäischen Klimaziele bei. Abbildung 1 visualisiert diese Ergebnisse im Zeitverlauf. Als Benchmark werden die CO2-Emissionen ohne Klimaziel herangezogen. Der mehrfarbige Trichter bildet die durch das Klimaziel hervorgerufenen Investitionen mit ihrem Beitrag zur Dekarbonisierung ab. Den überwiegenden Anteil von 53% tragen hier Wind- und Sonnenenergie bei. Ein Brennstoffwechsel, d.h. der Wechsel von dreckiger Kohle auf saubereres Erdgas oder gar CO2-neutrale Biomasse, trägt zu 36% zur Erreichung der Klimaziele bei (2% in IEA 2018).

Abbildung 1: Beitrag verschiedener Vermeidungskanäle zur Erreichung der europäischen Klimaziele (Reduzierung der CO2-Emission von 1990 bis 2050 um 80%) im Stromsektor

Beitrag verschiedener Vermeidungskanäle zur Erreichung der europäischen Klimaziele (Reduzierung der CO<sub>2</sub>-Emission von 1990 bis 2050 um 80%) im Stromsektor

Mittelfristig wird zwar verstärkt in Energieeffizienz investiert – das europaweite Niveau von Energieeffizienz steigt von 2015 bis 2030 um 69% – allerdings würde der überwiegende Anteil der Investitionen auch ohne Klimaziel getätigt werden. Demnach trägt Energieeffizienz (auch ohne Klimaziel) als kosteneffiziente Technologie zwar zur Lockerung der Vermeidungsrestriktion bei (insbesondere bis 2030), spielt allerdings langfristig eine untergeordnete Rolle.
Rebound-Effekt kein maßgeblicher Treiber

Warum kommt die Energieeffizienz so schlecht weg? Bereits Jevons (1865) führte den Rebound-Effekt als Grund an. Energieeffizienz reduziert die Stromnachfrage, was sich wiederum in fallenden Strompreisen niederschlägt. Niedrigere Preise wiederum erhöhen den Anreiz, mehr zu konsumieren und steigern somit wiederum die vorher gefallene Nachfrage. Der sogenannte Verlust an Energieeinsparungen im Verhältnis zur ursprünglichen Einsparung ist der Rebound-Effekt (z.B. Gillingham et al. 2016). Der Rebound-Effekt beträgt allerdings nur 9%. Er ist also nicht die treibende Kraft dafür, dass Energieeffizienzmaßnahmen nur einen geringen Beitrag zur Dekarbonisierung leisten.

Kohle profitiert von Energieeffizienzmaßnahmen

Aktuell flammen immer wieder Diskussionen zu einem baldigen (quotengetriebenen) Kohleausstieg auf. Simultane Forderungen nach der Förderung von Energieeffizienz sind dabei paradox. Das CO2-Vermeidungsziel in Europa ist nämlich durch das EU ETS vorgegeben. Jede Investition in Energieeffizienz schwächt die Vermeidungsrestriktion für alle anderen Technologien ab. Schlussendlich erlaubt das eine erhöhte Emissionsintensität im verbliebenen Strommix und fördert indirekt die Stromerzeugung aus Kohle (vgl. Böhringer und Rosendahl 2010).

Ein einseitig von Deutschland vorangetriebener Kohleausstieg hat im gesamteuropäischen Kontext übrigens die gleiche Wirkung. Vermiedene Emissionen in Deutschland erlauben eine erhöhte Emissionsintensität in anderen Mitgliedsstaaten und verringern dort die Anreize (mit womöglich kosteneffizienteren Technologien), selbst zu vermeiden.

Kein Zubau teurer Gaskraftwerke notwendig

Aber nicht nur die längere Nutzung von Kohlekraftwerken durch Energieeffizienzmaßnahmen, sondern auch der Wettbewerb zwischen Gaskraftwerken und kurzfristigen Nachfrageanpassungen um die Bereitstellung von Flexibilität ist zentral für die Entwicklung des europäischen Stromsystems.

Das ökonomische Rational eines Marktes funktioniert normalerweise wie folgt: Fällt (steigt) der Preis, entscheiden sich Konsumenten mehr (weniger) zu konsumieren. Der Preis wiederum steigt (fällt), wenn das Angebot knapper (ausgeweitet) wird. Interessanterweise scheint genau dieses Rational auf Strommärkten aufgehoben, da die meisten Konsumenten nicht auf Marktpreisänderungen reagieren. Begründet ist dies aber nicht in einem verhaltenstechnischen Dogma, sondern in fehlenden Smart Metern und mehr noch in fehlenden Tarifstrukturen, welche tatsächliche Marktpreise abbilden. Smart Meter würden die Steuerung der individuellen Nachfrage im Zeitverlauf entsprechend sich verändernder Marktpreise ermöglichen. Gerade unter dem zunehmenden Einfluss fluktuierender EE und den damit einhergehenden Preisdifferenzen innerhalb von und zwischen Tagen, ist das Potential von Konsumentenreaktionen nicht zu ignorieren.

Abbildung 2: Veränderung der Erzeugungskapazität durch kurzfristige Nachfrageanpassungen und Energieeffizienzmaßnahmen gegenüber einem Szenario ohne nachfrageseitige Anpassungen

Abbildung 2: Veränderung der Erzeugungskapazität durch kurzfristige Nachfrageanpassungen und Energieeffizienzmaßnahmen gegenüber einem Szenario ohne nachfrageseitige Anpassungen

Wird das theoretische Potential solch kurzfristiger Nachfrageanpassungen einbezogen, ergibt sich das relativ eindeutige Bild in Abbildung 2. Gut 70 GW Gaskapazität könnten in Europa unmittelbar stillgelegt werden und in 2050 würden fast 190 GW weniger benötigt. Die damit einhergehenden niedrigeren Flexibilitätskosten erhöhen die Wettbewerbsfähigkeit von Wind- und Sonnenenergie. So tragen auch kurzfristige Nachfrageanpassungen indirekt zur Erreichung der europäischen Klimaziele bei.

Anreize für Nachfrageflexibilisierung erforderlich

Der Marktwert von Energieeffizienzmaßnahmen fällt mit einem zunehmenden Anteil von EE. So fallen in windigen Wochen oder sonnigen Tagen Preise auf null und eine Reduzierung der Stromnachfrage (durch Energieeffizienz) hat keinen Mehrwert. Anstatt auf Energieeffizienz, sollte sich der Fokus der Politik vielmehr auf das Heben der Potentiale kurzfristiger Nachfrageanpassung konzentrieren. Ein erster Schritt wäre die Förderung von Smart Metern und Smart Devices (zur Kommunikation mit Smart Metern fähige Geräte wie Kühlschränke, Wasch- und Spülmaschinen) sowie die flächendeckende Einführung zeitvarianter Tarife, welche aktuelle Marktpreise abbilden.

Die Weichenstellung zur Förderung kurzfristiger Nachfrageanpassungen muss zügig erfolgen, um suboptimale Pfadabhängigkeiten zu vermeiden, beispielsweise bei der Ausgestaltung der Verteil- und Übertragungsnetze. Ein System, welches Flexibilität in erster Linie aus zentral platzierten Gaskraftwerken zieht, benötigt eine komplett andere Netzwerktopologie als ein System mit dezentraler Konsumentenflexibilität. Insbesondere Politikinstrumente zur Förderung von Gaskapazität wie Kapazitätsmechanismen arbeiten grundlegend gegen die notwendige Anpassung der Infrastruktur zur kompletten Hebung der Potentiale kurzfristiger Nachfrageanpassungen.

Methodik

Mier und Weissbart (2019) entwickeln einen Ansatz, um kurzfristige Nachfrageanpassungen von Konsumenten und Energieeffizienzmaßnahmen in das EU-REGEN-Modell zu implementieren. Das EU-REGEN-Modell ist ein detailliertes Strommarktmodell für Europa (EU28 ohne Malta und Zypern inklusive der Schweiz und Norwegen). Das Basisjahr ist 2015 und ein zentraler Planer investiert in Fünfjahreschritten bis 2050 in Übertragungsnetzkapazität und Energieeffizienzmaßnahmen. Dispatch- und Kapazitätsentscheidungen für 25 Technologien werden unter der Annahme von Wettbewerbsmärkten bestimmt.

Kurzfristige Nachfrageanpassungen umfassen Mehrkonsum (Minderkonsum) bei niedrigeren (höheren) Preisen sowie die intertemporale Allokation von Nachfrage. Preiselastizitäten aus der Literatur (z.B. Labandeira et al. 2017) werden zur Bestimmung der Sensitivität dieser kurzfristigen Anpassungen benutzt. Der berechnete Wert für den Rebound-Effekt hängt genau von jenen Sensitivitäten ab, allerdings führen auch fünffache Sensitivitäten lediglich zu einem moderaten Rebound-Effekt von 29%. 

Die Angebotskurve für Energieeffizienz wird anhand von Steurer (2016) und Huntington (2011a, 2011b) kalibriert. Zur Absicherung der Robustheit der Ergebnisse wird eine Sensitivitätsanalyse durchgeführt. Weder Abschreibungsraten auf Energieeffizienzinvestitionen, noch die Wirkung einer einzelnen Investition (indirekter Einfluss auf Potential und Kosten) verändern die Ergebnisse qualitativ. Auch unter einem strengeren Vermeidungsziel (z.B. 95% Emissionsreduzierung bis 2050 anstatt von 80%) verbleibt die Rolle von Energieeffizienz klein.

Literatur

Böhringer, C. und K. E. Rosendahl (2010). Green promotes the dirtiest: On the interaction between black and green quotas in energy markets. Journal of Regulatory Economics 37(3), 316–325.

Gillingham, K., D. Rapson und G. Wagner (2016). The rebound effect and energy efficiency policy. Review of Environmental Economics and Policy 10 (1), 68–88.

Huntington, H. G. (2011a). Energy efficiency and climate change mitigation. Energy Modeling Forum Report 25(1).

Huntington, H. G. (2011b). The policy implications of energy-efficiency cost curves. The Energy Journal 32(1), 7–21.IEA (2018). Energy efficiency 2018: Analysis and outlooks to 2040. Technischer Bericht, International Energy Agency (IEA), Paris.

Jevons, W. S. (1865). The coal question: An inquiry concerning the progress of the nation, and the probable exhaustion of our coal-mines. London: Macmillan. 

Labandeira, X., J. M. Labeaga und X. López-Otero (2017). A meta-analysis on the price elasticity of energy demand. Energy Policy 102, 549–568.

Mier, M. und C. Weissbart (2019). Power markets in transition: decarbonization, energy efficiency, and short-term demand response. ifo Working Paper No. 284.

Steurer, M. (2016). Analyse von Demand Side Integration im Hinblick auf eine effiziente und umweltfreundliche Energieversorgung. Doktorarbeit, Universität Stuttgart, Stuttgart.

©KOF ETH Zürich, 21. Jun. 2019