Guest article

Der Politik scheint die Zukunft einer ganzen Schülergeneration egal

Ludger Wößmann

Was ich klarstellen will:

Wenn man die Politik an ihrem Handeln misst, dann scheint ihr die Zukunft einer ganzen Schülergeneration egal zu sein. Die Prioritäten sind hier nicht richtig gesetzt. Die Folgen werden schwerwiegend sein, für die betroffenen Schüler und für unsere Gesellschaft insgesamt.


Quelle:
Welt

Warum ich das gerade jetzt sage:

Bayern hat beschlossen, die Biergärten zu öffnen, die Kosmetikstudios, Hotels samt Wellness und Innengastronomie und so weiter. Gleichzeitig hat der Ministerpräsident gerade nochmal betont: „Es macht keinen Sinn, die Schulen jetzt aufzumachen – ohne einen Plan zu haben.“ Dass die Bildungspolitik auch nach 14 Monaten Pandemie noch keinen Plan hat, ist …

Auch flächendeckender täglicher Online-Video-Unterricht für alle Kinder und Jugendlichen ist in weiter Ferne. Der kann Präsenzunterricht zwar nicht ersetzen. Aber so hätten die Kinder und Jugendlichen zumindest geregelte Strukturen, sähen regelmäßig ihre Mitschüler und bekämen von ihren Lehrkräften den Lernstoff vermittelt, den sie dann in Phasen des selbständigen Arbeitens einüben können.

Aber es geht noch weiter: Genau an dem Tag der weiteren Öffnungsankündigungen verkündet der Kultusminister, dass es bis zum Sommer keine Schulaufgaben bzw. Klassenarbeiten mehr gibt. Für die nächsten zweieinhalb Monate alles abgeblasen. Ohne Not. Dabei sind Tests und Prüfungen wichtig, um den Kindern und Jugendlichen klare Ziele zu setzen und sie zum Lernen zu motivieren.

Viele Kinder und Jugendliche haben im gesamten Schuljahr auch in den Kernfächern keine oder nur eine einzige Klassenarbeit geschrieben. Ich halte das für einen großen Fehler. Wenn die Kinder und Jugendlichen wissen, dass der Unterrichtsstoff abgefragt wird, dann lohnt es sich zu lernen.

Es hat große Anreizeffekte, ob etwas prüfungsrelevant ist oder nicht. Die Leopoldina hat in ihrer Ad-hoc-Stellungnahme im letzten Sommer betont: „Um eine regelmäßige Überprüfung der Leistungsentwicklung und eine gerechte Beurteilung von Leistungen zu ermöglichen, sollten Lernstandskontrollen und Klausuren weiterhin stattfinden.“

Und dann wird das bayerische Verbot in der Kommunikation auch noch damit begründet, dass man „heuer am Schuljahresende ein aussagekräftiges Feedback zum Leistungsstand“ haben möchte. Dass das logisch nicht zusammenpasst, merkt jedes Schulkind.

Wer bestimmt sofort protestiert:

Ich weiß nicht, wer noch für geschlossene Schulen ist. Einige Lehrerverbände sehen bestimmt immer Probleme, die alles unmöglich machen. Aber die meisten Lehrkräfte sehen, wie schlimm es für die Kinder und Jugendlichen ist, nicht in die Schule zu kommen – und dass es mit den bekannten und erprobten Schutz- und Hygienemaßnahmen und mit regelmäßigen Corona-Tests gut möglich ist, die Schulen zu öffnen.

Und natürlich werden einige so tun, als wäre ich der Meinung, dass Prüfungen die einzige Motivation zum Lernen sind. Natürlich nicht! Selbstverständlich geht es nicht nur um extrinsische Motivation. Aber auch. Gute Lehrkräfte haben ein ganzes Repertoire an Möglichkeiten, ihre Schüler zu motivieren. Aber Prüfungen sind ein Bestandteil davon, der bei sehr vielen Schülern den Anstoß dafür gibt, sich hinzusetzen und zu lernen.

Wie es nun idealerweise weitergeht:

Nachdem die Politik jetzt 14 Monate lang in ihren Handlungen die Warnungen und Empfehlungen von Eltern und Wissenschaft vielfach ignoriert hat, wird sie jetzt umgehend die Schulen für alle Kinder öffnen. Wo Schulschließungen in Hochinzidenzgebieten absolut unvermeidbar sind, wird sie verpflichtenden täglichen Online-Video-Unterricht für alle sicherstellen.

Und um die entstandenen Lernverluste gerade bei benachteiligten Kindern und Jugendlichen nachzuholen, wird sie auf der Stelle alle erdenklichen Unterstützungsmaßnahmen vom Förderunterricht über Ferienprogramme zu Nachhilfe und studentischen Mentoren einsetzen.

Ludger Wößmann leitet das ifo Zentrum für Bildungsökonomik und ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Ludwig-Maximilians-Universität München.