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Wohin mit den Windturbinen?

Die zu große Abhängigkeit unserer Wirtschaft von fossilen Energiequellen birgt große Gefahren, wie die hohen Gas- und Strompreise zeigen. Daher plädiert Mathias Mier für mehr Windräder, vor allem an Land. Er zeigt auf, was bei der Standortwahl besonders zu beachten ist.  


Quelle:
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Die hohen Gas- und Strompreise verdeutlichen, welchen Gefahren eine von fossilen Brennstoffen abhängige Wirtschaft ausgeliefert ist. Die Lösung liegt in einem schnelleren und noch stärkeren Ausbau der Windkraft, insbesondere an Land. Windturbinen im Meer (Offshore) werden zwar vielfach als Heilsbringer angepriesen, sind es aber nicht. Windräder im Meer erzeugen zwar mehr Strom, allerdings kostet die Installation von Windturbinen im Meer mit 2,9 Millionen Euro je Megawatt derzeit mehr als doppelt so viel wie an Land (1,4 Millionen Euro je Megawatt). Auch die Fixkosten zur Wartung und Instandhaltung von Turbinen im Meer sind derzeit ungefähr dreimal so hoch. Diese Kostenunterschiede können durch eine höhere Stromerzeugung nicht ausgeglichen werden. Aus Kostengründen ist es also sinnvoller, Windkraft vor allem an Land auszubauen. In Deutschland müssten die derzeitigen 56 Gigawatt zur Erreichung der europäischen Klimaziele (CO2-Neutralität bis 2045) bis dahin auf 224 Gigawatt vervierfacht werden. Nach heutigem Stand der Technik sind dafür 42 000 zusätzliche Turbinen notwendig.

Doch der Ausbau stockt seit 2018. Lokaler Widerstand behindert vielfach die Planungen. Moderne Windturbinen sind rund 100 Meter hoch (gemessen bis zum Rotormittelpunkt). So eine Turbine kann über mehrere Kilometer gesehen werden, und nicht alle finden das schön. Zudem sind Windturbinen auch laut: Auf einen Schallpegel von 105 Dezibel (A) kommt so eine Turbine am Rotormittelpunkt. Das ist vergleichbar mit einem Schlagschrauber. Schlagschraubern setzt man sich aber nicht dauerhaft aus. Windturbinen hingegen setzen Menschen, die in ihrer Nähe wohnen, diesem Lärm dauerhaft aus. Näher als 250 Meter an Wohnflächen dürfen Turbinen daher nicht gebaut werden. Der Schallpegel fällt ab 250 Metern auf 43 Dezibel. Ab 500 Metern erreicht der Schallpegel der Turbinen den ungefährlichen Bereich, der bei 40 Dezibel liegt und als Konzentrationsschwelle gilt. 75 Dezibel ist übrigens die Lärmbelästigung eines Autos, 45 Dezibel eine ruhige Wohnung, 35 Dezibel ein Zimmerventilator. Ein Ventilator kann beim Schlafen schon stören, 30 Dezibel allerdings nicht mehr. Dieser Wert entspricht etwa dem Flüstern und wird ab 1500 Metern erreicht. Man hört die Turbinen also, insbesondere in unmittelbarer Nähe. Und man sieht sie auch.

Kann das den lokalen Widerstand erklären oder zumindest einen Teil dieses Widerstands? Bei Windturbinen sprechen Verhaltensforscher vom "Nimby"-Phänomen, das Kürzel steht für "Not In My Backyard". Viele Menschen sind also prinzipiell für Windturbinen (weil sie gut für das Klima sind und keine fossile Abhängigkeiten von autokratischen Regimen schaffen), aber bitte nicht in ihrem Hinterhof. Das Phänomen bezeichnet dabei den irrationalen Anteil ihres Verhaltens.

Bedenken ernst nehmen

Der Irrationalität könnte entgegengetreten werden, indem zuvorderst der rationale Teil des lokalen Widerstands ernst genommen wird. Windturbinen führen nämlich zu einer Grundstücksentwertung durch die medizinische Bedenklichkeit von dauerhaftem Lärm und auch durch die visuelle Beeinträchtigung des Landschaftsbildes, genauso wie auch naher Verkehr oder die Nähe zu einer Kläranlage. Für ältere, kleinere Turbinen konnten in verschiedenen Ländern signifikante Preiseffekte innerhalb von 2500 Metern nachgewiesen werden.

Die neueste und umfangreichste Studie ermittelt einen Rückgang von Grundstückswerten um 9 Prozent bei 750 Meter Entfernung zu einer 100 Meter hohen Turbine. Eine etwas ältere, weniger umfangreiche Studie lässt sogar eine Aufgliederung des visuellen Schadens und Lärmeffekts zu. Demnach wäre der durchschnittliche Lärmschaden 6,7 Prozent (bei 250 Meter Abstand) und 3,1 Prozent (bei 2500 Metern). Der visuelle Schaden wäre leicht höher (3,5 Prozent bei 2500 Metern und 8,3 Prozent bei 250 Metern). Legt man die letzte Studie zugrunde, kann ein Grundstück mit Einfamilienhaus für 500 000 Euro rund 75 000 Euro (15 Prozent) an Wert verlieren, wenn eine Windturbine in unmittelbarer Nähe gebaut wird. Der Schaden reduziert sich auf 33 500 Euro (6,7 Prozent) bei einer Entfernung von 2500 Metern. Beim bisherigen Windausbau in Deutschland hat niemand auf diese Fakten geachtet.

Würden die benötigten 168 Gigawatt einfach nur an die besten Windspots gepflastert, also insbesondere an Niedersachsens Nordseeküste, den nördlichen Teil von Schleswig-Holstein und mit Abstrichen entlang Mecklenburg-Vorpommerns Ostseeküste, wären die anfallenden Kosten aus visueller Beeinträchtigung und Lärm drei- bis viermal so hoch wie die tatsächlichen Kosten der Windturbine selbst.

Standortvorteil: dünn besiedelt

Solch eine suboptimale Verteilung von Windturbinen in Deutschland würde Grundstücke in Deutschland um 800 Milliarden Euro entwerten. Werden diese externen Effekte von Windturbinen internalisiert und damit also bei der Platzierungswahl berücksichtigt, dann ist die Verteilung der Turbinen in Deutschland deutlich diverser. Insbesondere rücken die Turbinen weg von dichter besiedelten Gebieten und von den Küsten, weil in solchen Gebieten mehr Grundstücke je Turbine beeinträchtigt wären. Zudem sind gerade an den Küsten die Grundstückswerte strukturell höher. Die räumliche Lösung sind also dünn besiedelte Landstriche in Gegenden mit geringen Grundstückswerten. Ein Großteil der Turbinen könnte in Mecklenburg-Vorpommern gebaut werden, aber auch Brandenburg: Windausbau Ost.

Solch eine optimale Verteilung von Windturbinen reduziert den Anteil von Externalitäten (visuelle und Lärmschäden durch Grundstücksentwertungen) auf rund 30 Prozent der Turbinenkosten und die absoluten Schäden auf 92 Milliarden Euro. Eine Platzierungssteuer in Höhe der jeweiligen Schäden wäre eine Möglichkeit der Internalisierung. Das Steueraufkommen von 92 Milliarden Euro könnte genutzt werden, um Grundstückseigentümer für den entsprechenden Wertverlust zu entschädigen oder ausgleichende lokale Maßnahmen zur Wertsteigerung in Form von Verkehrsanbindung und Naherholungsmöglichkeiten zu finanzieren. So klappt es vielleicht auch, den lokalen Protest zu besänftigen.