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Mehr Merkantilismus für mehr Klimaschutz?

Um den Klimawandel zu bekämpfen, müssen erneuerbare Energien und klimafreundliche Technologien weltweit möglichst schnell zur Verfügung stehen. Laut Andreas Baur und Lisandra Flach gibt es durchaus Argumente dafür, die Produktion solcher Technologien auch durch den Staat zu fördern. Das Ziel der Klimaneutralität muss an oberster Stelle stehen, während die Frage über den Produktionsort klimafreundlicher Technologien nur zweitrangig ist. Die Diversifizierung von Bezugsquellen ist der Erfolgsgarant für stabile Lieferketten und die Reduktion bedenklicher Abhängigkeiten. Eine merkantilistische EU-Handelspolitik wäre hierbei kontraproduktiv.


Quelle:
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Für den Kampf gegen den Klimawandel ist es entscheidend, dass weltweit erneuerbare Energien und andere für die Klimaneutralität relevante Technologien schnellstmöglich und flächendeckend zum Einsatz kommen. Es gibt dabei mit Blick auf positive externe Effekte und einer unvollständigen CO2-Bepreisung durchaus gute Argumente dafür, die Herstellung solcher klimafreundlicher Technologien auch von staatlicher Seite zu fördern. An welchem Ort aber letztlich Produkte wie Solarpaneele oder Windturbinen hergestellt werden, sollte sich im besten Fall aus den komparativen Vorteilen einzelner Volkswirtschaften ergeben und ist zumindest aus globaler Perspektive für den Klimaschutz eine nachgelagerte Frage. Genau hierauf legt allerdings die Europäische Kommission mit ihrem im März vorgestellten Entwurf des "Net-Zero Industry Act" ihr Augenmerk. Demnach soll ein Großteil der klimafreundlichen Technologien, der in der EU zum Einsatz kommt, auch aus der EU selbst stammen und nicht aus dem Ausland importiert werden. Angestrebt wird bis 2030 eine EU-Produktionsquote von 40 Prozent bei acht sogenannten "Netto-Null-Technologien", unter die beispielsweise Photovoltaikanlagen, Offshore-Windparks, Batterien und Wärmepumpen fallen. Anders ausgedrückt setzt die EU-Kommission das Ziel einer Importquote von höchstens 60 Prozent bei diesen Klimaschutzprodukten. Für spezifische Technologien möchte die Kommission zudem konkrete Mindestproduktionsmengen festschreiben.

Auch wenn diese Zielmarken im Entwurf der EU-Kommission (vorerst) nicht bindend sein sollen, stellen sie dennoch einen fundamentalen Einschnitt in der Außenwirtschaftspolitik der EU dar. Wer Importquoten zur wirtschaftspolitischen Zielgröße erhebt, verfolgt letztlich eine merkantilistische Politik, die im klaren Widerspruch zu einer offenen und regelbasierten Welthandelsordnung steht. Aus einer politischen Binnenlogik heraus mag es nachvollziehbar sein, dass Technologien und Produkte, die für die Transformation zu einer klimaneutralen Wirtschaft benötigt werden, in erster Linie im Inland hergestellt werden sollen und daher versucht wird, den Bezug von Klimaschutzprodukten aus dem Ausland zu reduzieren. Doch gerade Vertreterinnen und Vertreter der europäischen Institutionen sollten verinnerlicht haben, dass ein solcher Ansatz schlussendlich in eine protektionistische Sackgasse führt und im Zeitalter grenzüberschreitender Wertschöpfungsketten mit erheblichen gesamtwirtschaftlichen Kosten verbunden wäre.

Schlimmer noch: Eine merkantilistische EU-Politik für klimafreundliche Technologien könnte auch die europäischen Klimaschutzbemühungen unnötig verteuern und verlangsamen und auf diese Weise dem weltweiten Klimaschutz einen Bärendienst erweisen. Dass ein Produkt an sich wichtig für die Klimaneutralität der europäischen Wirtschaft ist, heißt noch nicht, dass der Bedarf an diesem Produkt hauptsächlich durch Produktionskapazitäten innerhalb der EU befriedigt werden sollte. Entscheidend für den Klimaschutz ist, dass Klimaschutzprodukte in der EU und darüber hinaus breite Verwendung finden, und dies unabhängig von ihrem Produktionsursprung. Anstelle von "Europe first" wäre daher "Climate first" die deutlich bessere Devise auf dem Weg hin zur Klimaneutralität.

Statt ein hohes Maß an Autarkie anzustreben, sollte sich die EU stärker für einen möglichst freien Welthandel von klimafreundlichen Technologien einsetzen, beispielsweise im Rahmen eines neuen WTO-Abkommens für Umweltgüter. Auf diese Weise könnten die Effizienzgewinne der internationalen Arbeitsteilung für die globale Transformation zur Klimaneutralität nutzbar gemacht und könnte die Innovationskraft in diesem Bereich gefördert werden. Dass im Rahmen des "Net-Zero Industry Act" die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Clean-Tech-Industrien durch die Förderung von Forschung und Entwicklung sowie vereinfachter Genehmigungsverfahren gestärkt werden soll, ist in diesem Kontext zu begrüßen. Ein Subventionswettbewerb, bei dem es pauschal darum geht, die Fördersummen anderer Länder zu übertreffen, um die heimische Produktion zu schützen, wäre dagegen aus ökonomischer Sicht kontraproduktiv und würde keinen Beitrag für die weltweiten Klimaschutzbemühungen leisten.

Nichtsdestotrotz weist die EU-Kommission auf einen wichtigen Punkt hin, wenn sie vor einer zu hohen Weltmarktkonzentration für spezifische klimafreundliche Technologien warnt. So bezogen die EU-Mitgliedstaaten im vergangenen Jahr allein rund 90 Prozent der importierten Photovoltaikanlagen aus China. Auch bei Batterien oder Batteriekomponenten hat die Volksrepublik beispielsweise eine überaus starke Marktposition inne. Das Problem dominanter Lieferländer auf den Weltmärkten und das sich daraus ergebende politische Erpressungspotential sind allerdings nicht auf klimafreundliche Technologien beschränkt und stellen für die EU eine grundlegende wirtschaftspolitische Herausforderung im Zeitalter der Geo-Ökonomie dar. Statt des Mikromanagements bei spezifischen Klimaschutzprodukten wäre daher eine kohärente außenwirtschaftliche Strategie wünschenswert, die solche Abhängigkeiten auf europäischer Ebene im Rahmen transparenter und einheitlicher Kriterien adressiert.

Kernbestandteil einer solchen Strategie sollte allerdings keine pauschale Importsubstitution sein, die mit beträchtlichen wirtschaftlichen Kosten und einer regionalen Konzentration von Lieferkettenrisiken einhergehen würde. Der Schlüssel für widerstandsfähigere Lieferketten und den Abbau kritischer Abhängigkeiten liegt vielmehr in der Diversifizierung von Bezugsquellen, im Inland wie im Ausland. Einer ambitionierten und offenen EU-Handelspolitik kommt auch an dieser Stelle eine entscheidende Rolle zu.

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Prof. Dr. Lisandra Flach

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