ifo Konjunkturprognose

ifo Konjunkturprognose Sommer 2022: Inflation, Lieferengpässe und Krieg bremsen wirtschaftliche Erholung in Deutschland

Die deutsche Wirtschaft erholt sich seit Jahresbeginn von den zurückliegenden Coronawellen. Die damit einhergehende Normalisierung der Ausgaben in den konsumnahen Dienstleistungsbereichen verleihen der Konjunktur einen kräftigen Schub. Allerdings bremsen die hohe Inflation, der Krieg in der Ukraine und die anhaltenden Lieferengpässe die wirtschaftliche Erholung in nahezu allen Wirtschaftsbereichen. Das Bruttoinlandsprodukt wird im Jahr 2022 um 2,5% und im Jahr 2023 um 3,7% zulegen. Die Inflationsrate dürfte in diesem Jahr mit 6,8% den höchsten Wert seit dem Jahr 1974 erreichen. Auch im kommenden Jahr dürften die Verbraucherpreise mit 3,3% überdurchschnittlich stark steigen.

Deutsche Wirtschaft kam gut durch den Corona-Winter

Die deutsche Wirtschaft ist gut durch die beiden Coronawellen im zurückliegenden Winterhalbjahr gekommen. Nach einem leichten Rückgang um 0,3% im Schlussquartal 2021, konnte die Wirtschaftsleistung bereits im ersten Quartal 2022 wieder zulegen und lag zuletzt noch knapp ein Prozent unter ihrem Vorkrisenwert von Ende 2019. Damit legte die konjunkturelle Erholung eine vorübergehende Pause ein. Bereits ab Januar nahm die Konjunktur in den kontaktintensiven Dienstleistungsbereichen wieder an Fahrt auf und trug im ersten Quartal maßgeblich zum Anstieg der gesamtwirtschaftlichen Produktion um 0,2% bei. Auch die Bauwirtschaft startete kräftig ins Jahr und profitierte von vollen Auftragsbüchern und einem milden Winter. 

Im Verarbeitenden Gewerbe hingegen stagnierte die Wirtschaftsleistung im ersten Quartal. Hier machten sich bereits erste Folgen des Krieges in der Ukraine bemerkbar. So brachen im März die Ausfuhren nach Russland als Folge der Sanktionen ein. Für sich genommen reduzierten sich dadurch die gesamtdeutschen Warenexporte um 1,2% innerhalb eines Monats. Zudem verschärfte der Krieg die Engpässe bei der Lieferung von Rohstoffen und Vorprodukten, unter denen die Industrie bereits seit dem vergangenen Jahr leidet. Vor allem die Automobilindustrie musste deshalb im März vorübergehend die Produktion drosseln. Schließlich trieben die Engpässe sowie kräftig gestiegene Energiepreise die Produktionskosten und damit die Erzeugerpreise spürbar nach oben. In der Folge nahmen seit Jahresbeginn die Auftragseingänge der Industrieunternehmen ab.

Auch die Konsumkonjunktur zeigt erste Spuren der hohen Inflationsraten. Der Anstieg der Verbraucherpreise erreichte im Mai 7,9%. Neben Energie verteuerten sich in den vergangenen Monaten vor allem Nahrungsmittel spürbar. Aber auch die Preise der übrigen Waren und Dienstleistungen legten mit weit überdurchschnittlichen Raten zu. Der damit verbundene Kaufkraftverlust der privaten Haushalte hat sich zu Jahresbeginn in einem rückläufigen Warenkonsum niedergeschlagen. Dank eines spürbaren Anstiegs der Ausgaben für Dienstleistungen hat allerdings der private Konsum insgesamt im ersten Quartal stagniert. Hier schlugen sich das Abflauen der Coronawelle und die damit einhergehende Normalisierung des Ausgabeverhaltens der privaten Haushalte nieder.

„Die Wirtschaftsleistung liegt derzeit noch immer ein Prozent unter dem Vor-Corona-Niveau von Ende 2019. Wir rechnen aber mit einem allmählichen Rückgang der Rohstoffpreise und der Materialengpässe im zweiten Halbjahr.“

Prof. Dr. Timo Wollmershäuser, Stellvertretender Leiter des ifo Zentrums für Makroökonomik und Befragungen und Leiter Konjunkturprognosen

Ausblick durch Inflation, Lieferengpässe und Krieg belastet

Auch in den kommenden Monaten dürfte die Konjunktur durch zwei sehr unterschiedliche Kräfte bestimmt werden. Belastend für die Produktion wirken weiterhin die angebotsseitigen Störungen, die gleichzeitig für einen anhaltend hohen Preisauftrieb sorgen. Vor allem die Lieferengpässe dürften in den kommenden Monaten bestehen bleiben und sowohl die Industrie- als auch die Baukonjunktur ausbremsen. Insbesondere werden sich wohl mit zeitlicher Verzögerung die Lockdowns in China, die seit März in einigen Regionen die Produktion und den Schiffsverkehr lahmlegten, hierzulande bemerkbar machen. Auch dürften die hohen Rohstoffpreise nur langsam sinken, weil ein baldiges Ende des Krieges in der Ukraine eher unwahrscheinlich ist. Entsprechend hat sich die Stimmung im Verarbeitenden Gewerbe und im Baugewerbe im Vergleich zum Jahresbeginn spürbar verschlechtert. Daher dürfte die Wertschöpfung in diesen beiden Wirtschaftsbereichen im zweiten Quartal schrumpfen.

Diese belastenden Faktoren dürften aber im weiteren Prognoseverlauf an Bedeutung verlieren. In der vorliegenden Prognose wird unterstellt, dass in der zweiten Jahreshälfte die Lieferengpässe allmählich nachlassen und die Rohstoffpreise sinken. Auch wenn die Auftragseingänge mittlerweile als Folge der hohen Preise zurückgehen, sind die Auftragsbücher der Industrie- und Bauunternehmen mit einer Reichweite von zuletzt etwa 4,5 Monaten immer noch prall gefüllt. Damit dürfte es in der zweiten Jahreshälfte zu einem Abbau des Auftragsstaus kommen, der die Produktion im Produzierenden Gewerbe kräftig anschiebt.

Normalisierung des Konsums nach Corona treibt Konjunktur

Stimulierend für die Konjunktur wirkt die weitere Normalisierung des Spar- und Ausgabeverhaltens der privaten Haushalte. Insbesondere im Bereich der kontaktintensiven Dienstleistungen besteht im Vergleich zum Ausgabeverhalten vor Ausbruch der Coronakrise noch erheblicher Aufholbedarf. Daher dürften die privaten Konsumausgaben im laufenden und in den kommenden Quartalen mit überdurchschnittlichen Raten expandieren und in diesem Jahr mit einem preisbereinigten Anstieg von 4,8% der maßgebliche Konjunkturtreiber sein. 

Die hohe Inflationsrate, die in diesem Jahr mit 6,8% den höchsten Wert seit dem Jahr 1974 erreichen dürfte, bremst für sich genommen die Erholung der privaten Konsumausgaben. Vor allem deshalb hat sich vermutlich die Stimmung im Handel zuletzt eingetrübt. Der Kaufkraftverlust durch die stark steigenden Preise wird wohl weder durch den Anstieg der Nettolöhne noch durch die Zunahme der staatlichen Transferzahlungen abgefangen werden können. Zwar haben die beiden Entlastungspakete der Regierung die Abgaben reduziert und die Transfers erhöht. Und auch die Anhebungen des Mindestlohns steigern die Lohneinkommen. Zusammengenommen aber nehmen die Verfügbaren Einkommen in diesem Jahr mit 6,2% weniger zu als die Verbraucherpreise. Dabei sind bereits die preissenkenden Maßnahmen der Entlastungpakete (Wegfall der EEG-Umlage, Neun-Euro-Ticket im ÖPNV, temporäre Senkung der Kraftstoffsteuer) berücksichtigt, die die Inflationsrate in diesem Jahr um rund 0,5 Prozentpunkte niedriger ausfallen lassen.

Beschäftigungsaufbau verlangsamt sich

Der Arbeitsmarkt dürfte seine Erholung von der Coronakrise zwar fortsetzen. Allerdings wird die Dynamik aufgrund des Krieges in der Ukraine, der Lieferengpässe bei wichtigen Vor- und Zwischenprodukten und des sich verstärkenden Fachkräftemangels spürbar nachlassen. Die Zahl der Erwerbstätigen dürfte im Jahr 2022 um etwa 626 000 und im Jahr 2023 um 190 000 zunehmen. Die registrierte Arbeitslosigkeit wird in diesem Jahr wohl um etwa 302 000 Personen unter dem Vorjahreswert liegen, ehe sie im kommenden Jahr um weitere 24 000 zurückgehen dürfte. In der Folge fällt die Arbeitslosenquote von 5,7% im vergangenen Jahr auf 5,0% im Durchschnitt der Jahre 2022 und 2023.

Finanzpolitik neutral ausgerichtet

Die Finanzpolitik ist in diesem Jahr durch die umfangreichen Entlastungspakete bestimmt. Demgegenüber steht jedoch der Wegfall coronabedingter Ausgaben und Unterstützungsmaßnahmen, so dass die Finanzpolitik insgesamt neutral ausgerichtet ist. Im Jahr 2023 dürfte der finanzpolitische Impuls dann mit dem Wegfall vieler Maßnahmen leicht restriktiv werden. Das staatliche Finanzierungsdefizit wird sich in diesem Jahr im Vergleich zum Vorjahr halbieren auf etwa 65 Mrd. Euro. Dieser Trend wird sich auch im Jahr 2023 fortsetzen. Das Defizit wird dann bei nur noch knapp 12 Mrd. Euro liegen. Der staatliche Bruttoschuldenstand wird aufgrund geringerer Defizite und eines spürbaren Wachstums des nominalen Bruttoinlandsprodukts auf 62,6% im Jahr 2023 sinken.

Wirtschaft wächst um 2,5%

Zusammengenommen wird die gesamtwirtschaftliche Leistung im zweiten Quartal des laufenden Jahres wohl um 0,4% gegenüber dem Vorquartal zulegen. In der zweiten Jahreshälfte 2022 dürfte sich die deutsche Wirtschaft dann wieder mit kräftigeren Raten von 1,2% sowie 1,4% erholen und dann langsam auf durchschnittliche Zuwächse einschwenken. Alles in allem wird das Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr um 2,5% und im kommenden Jahr um 3,7% zulegen. Diese Wachstumsraten liegen innerhalb der Bandbreite der ifo Konjunkturprognose Frühjahr 2022, in der wegen der hohen Unsicherheit über die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine zwei Szenarien gerechnet wurden.

Eckdaten der Prognose für Deutschland

  2020 2021 2022 2023
Bruttoinlandsprodukt (Veränderung gegenüber Vorjahr in %)  -4,6 2,9 2,5 3,7
Erwerbstätige (1.000 Personen) 44.898 44.918 45.544 45.734
Arbeitslose (1.000 Personen) 2.695 2.613 2.311 2.288
Arbeitslosenquote (in % der zivilen Erwerbspersonen) 5,9 5,7 5,0 5,0
Verbraucherpreise (Veränderung gegenüber Vorjahr in %) 0,5 3,1 6,8 3,3
Finanzierungssaldo des Staates 2020 2021 2022 2023
 - in Mrd. EUR -145,2 -130,8 -64,8 -11,9
 - in % des Bruttoinlandsprodukts -4,3 -3,7 -1,7 -0,3
Leistungsbilanzsaldo 2020 2021 2022 2023
 - in Mrd. EUR 238,7 265,2 181,1 241,2
 - in % des Bruttoinlandsprodukts 7,1 7,4 4,8 5,9

Quelle: Statistisches Bundesamt; Bundesagentur für Arbeit; Deutsche Bundesbank; 2022 bis 2023: Prognose des ifo Instituts
© ifo Institut Juni 2022

Infgrafik, Bruttoinlandsprodukt in Deutschland, ifo Konjunkturprognose Sommer 2022

Weltwirtschaft: Im Zeichen von Krieg und Inflation

Während das Konsumentenvertrauen im Euroraum seit dem Kriegsausbruch in der Ukraine sprunghaft abgenommen hat, blieb die Stimmung im Dienstleistungsbereich anhaltend optimistisch. Die Dynamik dort ist maßgeblich von Erholungseffekten nach den pandemiebedingten Schließungen getrieben und erweist sich als Stütze der Konjunktur. Die Herstellung von Waren hingegen leidet immer deutlicher unter den eklatanten Preissteigerungen und anhaltenden Lieferkettenschwierigkeiten. Die Produktionserwartungen sind bereits im März 2022 schlagartig gesunken, offenbar – ähnlich dem Konsumentenvertrauen – als direkte Folge des Kriegsausbruchs in Osteuropa. Im Mai 2022 ließ aber auch die Lagebeurteilung der Industriebetriebe erstmals spürbar nach; mit einer vorübergehenden Abschwächung der Industriekonjunktur ist daher wohl zu rechnen. Insgesamt dürfte das BIP Bruttoinlandsprodukt im Euroraum im Jahr 2022 um 3,3% wachsen, und im Jahr 2023 um 2,8%.

Sofern das von der EU beschlossene Erdölembargo gegenüber Russland nicht zu einer neuerlichen Beschleunigung des Preisauftriebs führt, wird die Inflation im Euroraum im zweiten Quartal 2022 ihren Höhepunkt erreicht haben und sich im Prognosezeitraum allmählich abschwächen. Die verzögerte Übertragung von Rohstoff- auf Endkundenpreise und die Kompensation der Reallohnverluste durch hohe Lohnabschlüsse werden aber dafür sorgen, dass die Inflation im Jahr 2023 höher sein wird als in den vergangenen Jahren. Für das laufende Jahr wird mit einer Gesamtinflationsrate von 6,1% gerechnet, für das kommende mit 2,6%. Die beschleunigte Inflation wird die EZB dazu veranlassen, die Geldpolitik im Euroraum schneller zu straffen. Nachdem die Anleiheankäufe im Rahmen des Pandemic Emergency Purchase Programme im März 2022 eingestellt wurden, werden auch jene des schon länger bestehenden Asset Purchase Programme im Juni beendet werden. Bereits im Sommer werden dann die Leitzinssätze angehoben werden und im Herbst dürften weitere Zinsschritte folgen.

In den USA erweist sich die Binnenkonjunktur noch als robust, der Arbeitsmarkt spannt sich immer mehr an, sodass die Löhne kräftig zulegen. Dementsprechend ist eine größere Reihe von Gütern und Dienstleitungen von starken Preissteigerungen betroffen als im Euroraum, Rohstoffpreissteigerungen spielen eine weniger prominente Rolle. Die Inflation in den USA ist weniger stark von ungünstigen Angebotsschocks getrieben als im Euroraum. Dementsprechend strafft die Federal Reserve die Geldpolitik rascher als die EZB. Nach der ersten Zinsanhebung seit zwei Jahren im März 2022 um 25 Basispunkte wurde der Leitzinssatz im Mai 2022 um weitere 50 Basispunkte erhöht. Im Prognosezeitraum werden einige weitere Zinsschritte folgen. Diese werden die Konjunktur und das gesamtwirtschaftliche Wachstum dämpfen, auf 2,4% im laufenden Jahr und 2,0% im kommenden.

In China beeinträchtigten die rigiden Lockdowns und Verkehrsbeschränkungen, insbesondere in Shanghai, die Wirtschaft zuletzt stark. Der Normalisierungsprozess wird einige Zeit in Anspruch nehmen und angesichts der Entwicklung in den letzten beiden Jahren ist auch längerfristig mit spürbaren Folgen für den globalen Warenhandel und die Weltwirtschaft zu rechnen. Dennoch verfolgt die chinesische Regierung weiterhin eine Null-Covid-Politik, wenn auch mit Ausnahmen für Quarantänegebiete, um die Zeit bis zur Aufhebung von Beschränkungen zu verkürzen. Staatliche Ausgaben, insbesondere für Infrastrukturprojekte, dürften die Konjunktur jedoch stützen. Im Gegensatz zu den meisten fortgeschrittenen Volkswirtschaften wird die Geldpolitik in China tendenziell gelockert, nachdem sie im Vorjahr in der Folge des Immobilienbooms gestrafft worden war. Insgesamt dürfte das Bruttoinlandsprodukt im laufenden Jahr um 3,8% expandieren und im kommenden Jahr um 5,3%.

Die japanische Wirtschaft erholt sich zwar vom pandemiebedingten Rückschlag zu Jahresbeginn, doch die Lockdowns in China belasten die Exportnachfrage und verschärfen die Lieferkettenprobleme. Nach dem Abebben der Omikron-Welle und der Aufhebung von Beschränkungen Mitte März 2022 beschleunigte sich der private Konsum zwar, die inflationsbedingten Realeinkommensverluste der Haushalte bremsen den Aufschwung aber. Die Bank of Japan dürfte die Nullzinspolitik weiterhin beibehalten.

Insgesamt wird das Bruttoinlandsprodukt der Welt wohl in diesem Jahr um 2,9% und im kommenden Jahr um 2,8% zulegen. Der Welthandel dürfte im Jahr 2022 um 2,8% und im Jahr 2023 um 3,9% zunehmen.

Infografik, Bruttoinlandsprodukt in der Welt, ifo Konjunkturprognose Sommer 2022

Risiken

  • Pandemieverlauf
  • Auswirkungen des Ukraine-Kriegs/Russland-Sanktionen
  • Inflationsentwicklung
  • Lieferengpässe bei Vorprodukten und Rohstoffen
Kontakt
Prof. Dr. Timo Wollmershäuser, Stellvertretender Leiter des ifo Zentrums für Makroökonomik und Befragungen

Prof. Dr. Timo Wollmershäuser

Stellvertretender Leiter des ifo Zentrums für Makroökonomik und Befragungen und Leiter Konjunkturprognosen
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