Stellungnahme -

ifo Standpunkt Nr. 171: Accountability Bonds

Bei der Überwindung der Verschuldungskrise im Euroraum hat es Fortschritte gegeben, aber nach wie vor besteht Anpassungsbedarf. Bei den Anstrengungen zur Sanierung der Staatsfinanzen zeigen sich Ermüdungserscheinungen und politische Widerstände. Die fiskalpolitische Governance, also die Koordinierung der Fiskalpolitik und die Überwachung und Korrektur der Schuldenpolitik, hat erhebliche Mängel. Der Europäische Fiskalpakt sieht vor, dass die Mitgliedstaaten ihre Haushaltsdefizite in Richtung der Höchstgrenze eines strukturellen, also um Konjunktureffekte bereinigten, Defizits von 0,5 Prozent des BIP abbauen. Tatsächlich steigen die strukturellen Defizite in vielen Ländern. Ernsthafte Bemühungen der Europäischen Kommission und des Rates, die Verschuldungsregeln durchzusetzen, sind nicht erkennbar.

Bild Clemens Fuest für Standpunkte

Deshalb ist es erforderlich, die fiskalpolitische Governance in Europa zu reformieren. Sie würde durch die folgende Ergänzung deutlich an Wirksamkeit gewinnen. Es sollte eine neue Klasse von nachrangigen Staatsanleihen, Accountability Bonds, eingeführt werden. Accountability Bonds stellen die Zinszahlungen ein, und ihre Laufzeit verlängert sich automatisch, wenn die Schuldenquote eines Landes 120 Prozent des BIP übersteigt. Sie verlieren ihren Wert endgültig, wenn das emittierende Land ein ESM-Programm beginnt. Mitgliedstaaten, deren laufendes strukturelles Defizit die Höchstgrenze von 0,5 Prozent des BIP überschreitet, müssen die überschießende Verschuldung durch Accountability Bonds finanzieren. Spanien weist im Jahr 2015 beispielsweise ein strukturelles Haushaltsdefizit von 2,5 Prozent auf. Das Land müsste also nach diesem Reformkonzept Schulden in Höhe von 2 Prozent des BIP in Form von Accountability Bonds aufnehmen. Staaten, die sich an die gemeinsam vereinbarten Defizitregeln halten, müssten keine Accountability Bonds einsetzen. Accountability Bonds haben eine Laufzeit von fünf Jahren und werden überrollt, so lange Staaten eine Verschuldungsquote in „normalen Anleihen“ von über 60 Prozent des BIP haben. Für die bereits ausstehenden Staatsanleihen ändert sich gegenüber dem Status quo nichts.

Durch Accountability Bonds wird verhindert, dass einzelne Mitgliedstaaten über den Weg solidarischer Haftung im Rahmen von ESM-Programmen oder durch Anleihenkäufe der EZB die Kosten übermäßiger Verschuldung auf die Gemeinschaft der Euro-Mitgliedstaaten abwälzen können. Ein Land, das sich über das gemeinsam vereinbarte Maß hinaus verschuldet, wird für die Kosten zur Rechenschaft gezogen – daher die Bezeichnung Accountability Bonds.

Um zu verhindern, dass Staaten gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten nachrangige Anleihen ausgeben müssen, können durch die Emission einer „Reserve“ in besseren Zeiten Vorkehrungen getroffen werden. Für Staaten mit aktuell hohen Budgetdefiziten können Übergangsregeln in der Form greifen, dass für einige Jahre höhere, aber verbindliche und sinkende Grenzen für die mit herkömmlichen Anleihen zu finanzierenden Haushaltsdefizite vereinbart werden.

Der Unterschied zu anderen Konzepten, die mit vor- und nachrangigen Staatsanleihen oder Elementen einer partiellen Solidarhaftung arbeiten, liegt darin, dass Accountability Bonds zum einen nicht an Bestandsgrößen, sondern an Stromgrößen (laufendes Defizit) ansetzen und so vermieden wird, dass größere Bestände an Staatsanleihen plötzlich nachrangig werden, hohe Kursverluste erleiden und kaum refinanzierbar werden. Zum anderen beinhaltet das Konzept der Accountability Bonds keinerlei neue Elemente einer Solidarhaftung für Staatsschulden.

Die Tatsache, dass Accountability Bonds höhere Ausfallrisiken haben als herkömmliche Staatsanleihen, führt zu der Frage, welche Investoren bereit sein könnten, diese Bonds zu kaufen. Darüber kann man nur spekulieren, da die Anleihen derzeit nicht existieren. Es existieren allerdings andere Anleihen, die mehr oder weniger hohe Ausfallrisiken haben, beispielsweise konvertierbare Bankanleihen (Cocos) oder vergleichsweise riskante Mittelstandsanleihen. Sicherlich würde die Möglichkeit, Accountability Bonds abzusetzen, vom emittierenden Land abhängen. Wenn Deutschland oder auch Frankreich die Emittenten wären, gäbe es sicherlich Investoren, die bei entsprechend hoher Rendite zugreifen würden. Höher verschuldete Länder könnten Schwierigkeiten haben, Investoren zu finden, aber diese Länder wären dann gezwungen, Maßnahmen zu ergreifen, damit sie die europäischen Fiskalregeln wieder einhalten. Genau das ist das Ziel. Alternativ könnten sie einen Antrag für ein ESM-Programm stellen, aber dieses Programm würde vermutlich ebenfalls eine sehr schnelle Rückkehr zur Einhaltung der gemeinsam vereinbarten Regeln vorsehen.

Was wird mit Accountability Bonds erreicht?

  1. Die durch die bestehenden Elemente der Solidarhaftung (ESM, OMT-Programm der EZB) verursachten Fehlanreize zu übermäßiger Verschuldung werden zumindest teilweise korrigiert. Kosten einer Verschuldung über die auf europäischer Ebene vereinbarten Grenzen hinaus werden dem Verursacher angelastet, sie werden nicht auf Steuerzahler anderer Länder abgewälzt.
  2. Die Überwachung und Einhaltung der europäischen Verschuldungsregeln wird gestärkt. Es wird für die Mitgliedstaaten der Eurozone deutlich schwerer (und teuer), Vorgaben der europäischen Koordination der Fiskalpolitik zu übertreten oder zu ignorieren.
  3. Die Steuerzahler in der Eurozone werden davor geschützt, für Überschuldung anderer Länder haften zu müssen.
  4. Gläubiger von Staaten werden an den Kosten von Überschuldungskrisen beteiligt.
  5. Eine Destabilisierung des gesamten Marktes für Staatsanleihen, die bei der expliziten Einführung von Gläubigerhaftung befürchtet wird, tritt nicht ein.

Clemens Fuest
Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft
Präsident des ifo Instituts

Erschienen als Langfassung unter dem Titel „Die Europäische Union am Scheideweg – zur Zukunft der Europäischen Währungsunion“, ifo Schnelldienst 69 (10), 2016, 06-09. 

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Clemens Fuest
ifo Institut, München, 2016
ifo Standpunkt Nr. 171
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