Stellungnahme -

ifo Standpunkt 219: Tarifverhandlungen im Öffentlichen Dienst

19.10.2020

Am 22. und 23. Oktober gehen die Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst in die dritte und womöglich entscheidende Runde. Für die Beschäftigten von Bund und Kommunen fordert die Gewerkschaft Verdi 4,8% mehr Lohn und Gehalt, mindestens aber 150 Euro. Die Tarifabschlüsse gelten zunächst nur für Angestellte, werden aber meistens auch für die Beamten übernommen. Was ist von dieser Forderung zu halten – und welcher Tarifabschluss wäre in der aktuellen Lage angemessen?

Bild Clemens Fuest für Standpunkte

Ein Abschluss mit erheblichen Dimensionen

Die Bezahlung der rund 4,9 Mio. Angestellten und Beamten im öffentlichen Dienst hat Bedeutung für die gesamte Bevölkerung in Deutschland, und das aus zwei Gründen: Erstens müssen alle Bürger über Steuern und Abgaben die Einkommen des öffentlichen Dienstes finanzieren. 2019 lagen dessen Personalkosten bei 308 Mrd. Euro, immerhin fast so viel wie der gesamte Bundeshaushalt. Zweitens profitieren alle Bürger von qualitativ hochwertigen Leistungen des öffentlichen Dienstes. Qualität aber hat ihren Preis. Die Gewerkschaften betonen daher verständlicherweise ausschließlich die Leistungsseite. Verdi etwa zieht mit dem Slogan „Wir halten den Laden am Laufen“ in die Tarifrunde. Die Kostenseite unterstreichen dagegen Interessenvertretungen wie der Bund der Steuerzahler, der nach der vergangenen Tariferhöhung im öffentlichen Dienst klagte: „Großer Verlierer des aktuellen Tarifabschlusses im öffentlichen Dienst sind die Steuerzahler in ganz Deutschland.“

Was spricht für kräftige Lohnsteigerungen?

Für Lohnerhöhungen lässt sich anführen, dass gerade in der aktuellen Rezession die Stützung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage wichtig ist. Allerdings stellt sich die Frage, wie wirksam ein höherer Tarifabschluss im öffentlichen Dienst überhaupt sein kann. Angestellte des Staates und Beamte gehören nicht zu denen, die in der Krise ihre Ausgaben reduziert haben, weil sie Einkommensverluste hinnehmen mussten. Sie müssen in der Regel auch keine Entlassungen befürchten. Wenn sie ihre Ausgaben gesenkt haben, dann eher, weil Geschäfte geschlossen hatten und Urlaubsreisen wegen der Corona-Pandemie ausfielen. Sie haben also mehr gespart als sonst. Deshalb wird ihr Konsum durch einen höheren Tarifabschluss kurzfristig kaum signifikant zu steigern sein.

Für höhere Einkommen kann man ferner anführen, dass der öffentliche Dienst attraktiv sein muss, damit er die Qualität und Quantität an Leistungen anbieten kann, die die Bürger erwarten. Vielfach wird beklagt, dass öffentliche Arbeitgeber Probleme haben, Personal zu gewinnen, beispielsweise IT-Experten, Prädikatsjuristen oder Fachkräfte des Gesundheitswesens. Vor allem in Ballungsgebieten mit hohen Lebenshaltungskosten gilt der öffentliche Dienst nicht mehr als attraktiver Arbeitgeber. Dieses Argument ist überzeugend. Es spricht aber eher für eine stärkere Differenzierung nach Qualifikationen und Regionen als für generelle Lohnzuwächse.

Was spricht dagegen?

Lohnzurückhaltung ist vor allem angesichts der Lage der öffentlichen Finanzen notwendig. 2019, bei besserer Wirtschaftslage, hatten die Gewerkschaften für die Beschäftigten der Länder einen Lohnzuwachs von 6% gefordert. Die Begründung des damaligen Verdi-Gewerkschaftsvorsitzenden Frank Bsirske: „Von der guten Konjunktur und Beschäftigungslage profitieren die Länder ganz besonders. Daran sollten sie die Beschäftigten beteiligen. Eine deutliche Erhöhung der Einkommen ist bei der Entwicklung der Steuereinnahmen sehr gut finanzierbar.“

Folgt man diesem Argument, müssten die Lohnerhöhungen 2020 wohl ausfallen. Denn die Konjunktur lahmt, und die Steuereinnahmen brechen ein.

Und was ist mit dem oft gehörten Vorschlag, als Maßstab für den Tarifabschluss die Lohnentwicklung im Rest der Wirtschaft heranzuziehen? Man könnte argumentieren, ein Aufschlag sei fair, wenn der öffentliche Dienst in den vergangenen Jahren hinter der allgemeinen Lohnentwicklung zurückgeblieben wäre. Das war aber nicht der Fall. Von 2009 bis 2018 sind die Tarifverdienste des öffentlichen Dienstes nominal um rund 24% gestiegen. Der gesamtwirtschaftliche Durchschnitt lag bei 25%. Hier besteht also kein großer Rückstand. Gleichzeitig muss man sehen, dass die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes in der aktuellen Krise besonders von der Sicherheit ihrer Arbeitsplätze profitieren. Auch das ist ein Argument für Zurückhaltung bei Lohnerhöhungen, die auch von jenen Steuerzahlern mitzufinanzieren sind, die um ihren Job bangen.

Differenzierte und maßvolle Anhebung der Löhne

Insgesamt sprechen die gewichtigeren Argumente für eine maßvolle Lohnrunde. Sie sollte allerdings differenziert sein. In Bereichen, in denen der öffentliche Dienst Schwierigkeiten hat, qualifiziertes Personal zu gewinnen, sind mehr Spielräume für bessere Bezahlung sinnvoll.

Es gehört zu den guten Traditionen von Tarifverhandlungen in Deutschland, die Verantwortung für die Gesamtwirtschaft im Blick zu behalten. Diese Tradition fortzusetzen, ist in der aktuellen Tarifrunde besonders wichtig.

Clemens Fuest
Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft
Präsident des ifo Instituts

 

Erschienen unter dem Titel „ Differenzierung statt Gießkanne“, WirtschaftsWoche, 16. Oktober 2020, S. 39.

ifo Standpunkt
Clemens Fuest
ifo Institut, München, 2020
ifo Standpunkt Nr. 219
Das könnte Sie auch interessieren

Artikel

ifo Standpunkte