Gastbeitrag

Wie Religion die Wirtschaftsgeschichte prägte; Drei Lehren aus einem rasch wachsenden Forschungsfeld

Sascha Becker, Jared Rubin und Ludger Wößmann

Religion spielt in der Geschichte der westlichen Gesellschaften eine wichtige Rolle. Sie beeinflusste neben individuellen Glaubenssätzen, kulturellen Normen, sozialen Organisationen und politischer Macht auch die Wirtschaftsgeschichte. Daraus ist ein neues Forschungsfeld zu Religion in der Wirtschaftsgeschichte entstanden.

 


Quelle:
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Offensichtlich spielt Religion eine gewichtige Rolle in der Geschichte der westlichen Gesellschaften. Sie beeinflusste individuelle Glaubenssätze, kulturelle Normen, soziale Organisationen und politische Macht oder definierte diese sogar. Dass dies auch die Wirtschaftsgeschichte veränderte, ist Thema des neuen, rasch wachsenden Forschungsfeldes zu Religion in der Wirtschaftsgeschichte. Drei grundsätzliche Schlussfolgerungen lassen sich daraus ableiten. Eine erste Erkenntnis besteht darin, dass der monotheistische Charakter der großen abrahamitischen Religionen - Judentum, Christentum und Islam - es erleichterte, dass Religion historisch eng mit politischer Macht und politischen Konflikten verknüpft war. Das bestimmende Merkmal der monotheistischen Religionen ist, dass es "einen wahren Gott" gibt. Dies wirkte einerseits als stabilisierender gesellschaftlicher Faktor, weil monopolistische Herrschaft Meinungsverschiedenheiten innerhalb der religiösen Gruppen eindämmen konnte. Andererseits war es aber auch ein destabilisierender Faktor, weil es Konflikte zwischen den Religionen anheizte.

Im Katholizismus trat die institutionalisierte Kirche als starker politischer Akteur auf. Elemente der religiösen Doktrin wie das Verbot der Verwandtenheirat und des Wuchers beeinflussten beispielsweise die Entwicklung von Gemeinden, Zünften und Kreditmärkten. Auch in der islamischen Welt wirkte sich die Präsenz des Islam in Recht und Politik auf wirtschaftliche Aspekte wie die Entwicklung von Unternehmen, Finanzmärkte und Konflikte aus. Einige dieser Aspekte werden zur Erklärung der "langen Divergenz" zwischen dem Nahen Osten und Westeuropa herangezogen.

Zweitens hat sich gezeigt, dass Bildung oft eine führende Rolle im Zusammenhang zwischen Religion und Wirtschaftsgeschichte spielte. In vielen Gesellschaften förderten oder verhinderten religiöse Normen die Ausbreitung von Alphabetisierung und Massenbildung. Im Judentum und Protestantismus lösten religiöse Entwicklungen jeweils Bildungsschübe aus. Im Katholizismus und Islam blieb säkulare Bildung hingegen oftmals auf kleine Gruppen wie Klöster und Eliten beschränkt.

Die neuere Forschung zur jüdischen Wirtschaftsgeschichte kommt zu dem spannenden Ergebnis, dass der jüdische Fokus auf hochqualifizierte Berufe etwa im Handels- und Finanzsektor eher nicht aus Minderheitenstatus und Verfolgung herrührte. Vielmehr war die historische Reihenfolge eher andersherum: Der Bildungsvorsprung und die berufliche Spezialisierung können als Ergebnis einer religiösen Norm verstanden werden, die nach der Zerstörung des Jerusalemer Tempels im Jahre 70 nach Christus aufkam und zum Lesen der Tora anhielt. Seitdem wurde den Jungen in der Synagoge das Lesen gelehrt.

Auch in der christlichen Wirtschaftsgeschichte spielte religiös bedingte Bildung eine zentrale Rolle für die Unterschiede zwischen Protestanten und Katholiken. Martin Luthers Aufruf, dass jeder gute Christ Gottes Wort, die Bibel, selbst lesen können sollte, gab den Protestanten einen deutlichen Bildungsvorsprung, der sich auch im wirtschaftlichen Vorsprung protestantischer vor katholischen Gebieten niederschlug. Die Konsequenzen sind nicht allein auf die europäische Geschichte beschränkt: Zahlreiche neuere Arbeiten zeigen, dass sich eine frühzeitige Präsenz christlicher Missionare in Afrika, Asien und Lateinamerika bis heute auf Bildung, Politik und Wirtschaft auswirkt.

Drittens gibt es mittlerweile viele empirische Belege für den umgekehrten Einfluss von wirtschaftlichen Begebenheiten auf die historische Entwicklung von Religionen. So lassen sich zahlreiche wirtschaftliche Faktoren beschreiben, die die Übernahme und Verbreitung von Religionen und religiösen Überzeugungen erleichterten. Die untersuchten Ursachen reichen von wirtschaftlichem Potential über Handelsrouten bis hin zu technischen Entwicklungen, Wettbewerb, Bildungsexpansion, den Praktiken der zuvor dominierenden Religion und den Auswirkungen von Erdbeben.

Gerade zur Verbreitung des Protestantismus gibt es viele neue Studien. Sie machen sich das massive Ausmaß an neu digitalisierten Daten für die Zeit seit der Reformation, die enorme politische und religiöse Heterogenität des Heiligen Römischen Reiches und neueste ökonometrische Methoden zunutze. Damit zeigen sie, dass verschiedene wirtschaftliche, soziale, politische und technologische Faktoren zur Annahme und Verbreitung der Reformation beigetragen haben. Ein Beispiel ist die von Gutenberg in Mainz entwickelte Druckerpresse, die die Reformatoren zur Verbreitung ihrer Ideen nutzten. Interessanterweise war die Ausbreitung der Reformation dort erfolgreicher, wo es größeren Wettbewerb im lokalen Markt der Druckerpressen gab. So haben sich im Laufe der Geschichte religiöse Überzeugungen und das wirtschaftliche Leben der Menschen gegenseitig beeinflusst.

Sascha O. Becker ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Monash University in Melbourne, Australien. Jared Rubin ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Chapman University in den Vereinigten Staaten. Ludger Wößmann ist Leiter des Zentrums für Bildungsökonomik am Münchener Ifo-Institut und Professor für Volkswirtschaftslehre an der dortigen Ludwig-Maximilians-Universität.