Aufsatz in Zeitschrift

Geld- und Fiskalpolitik in der EU unter veränderten geopolitischen Bedingungen: Was wird aus der Europäischen Währungsunion?

Clemens Fuest, Björn Kauder, Thomas Obst, Dirk Meyer, Arne Hansen, Tobias Linzert, Julian Schumacher, Bodo Herzog, Margit Schratzenstaller, Pawel Tokarski, Christa Schweng
ifo Institut, München, 2022

ifo Schnelldienst, 2022, 75, Nr. 06, 03-32

Clemens Fuest, ifo Institut und Ludwig-Maximilians-Universität München, plädiert für eine Ausgabenumschichtung statt einer Erweiterung der Verschuldungsspielräume. Die Verschuldungsregeln abzuschaffen wäre ein Signal, in der Fiskalpolitik noch weniger auf bisher auf Nachhaltigkeit und die gesamteuropäischen Interessen zu achten als bisher. Die zentrale Aufgabe der Finanzpolitik bestehe in den kommenden Jahren darin, Ausgaben umzuschichten, also Staatsausgaben, die zwar nützlich sein mögen, aber nicht wirklich prioritär sind, abzubauen oder zumindest einzufrieren. 

Björn Kauder und Thomas Obst, Institut der deutschen Wirtschaft, Köln, weisen darauf hin, dass mit der neuen geopolitischen Lage und den damit verbundenen finanzpolitischen Herausforderungen der Stabilitäts- und Wachstumspakt wieder verstärkt in die Diskussion geraten ist. Die EU sollte aber den Forderungen nach einer Aufweichung der Stabilitätskriterien nicht nachgeben. Solide öffentliche Finanzen seien für die EU-Mitgliedstaaten unerlässlich. Allerdings sollte der Pakt reformiert werden.

Dirk Meyer und Arne Hansen, Helmut-Schmidt-Universität, Universität der Bundeswehr Hamburg, sehen den Fortbestand der Währungsunion durch vorhandene Instabilitäten gefährdet. Damit die Euro-Währungsunion nicht endet, sei eine Neuordnung im Rahmen eines Verfassungskonvents unumgänglich. Hierfür wären eine glaubwürdige Re-Institutionalisierung des Bailout-Verbots und des Verbots der monetären Staatsfinanzierung, eine Besicherung der TARGET2-Kredite, Regeln eines geordneten Euro-Austritts und Parallelwährungen die Stichworte.

Philipp Ehmer, KfW IPEX-Bank, beurteilt die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank als bisher richtig, sieht aber für die Zukunft Änderungsbedarf. Die EZB solle nicht am konjunkturschonenden Weg festhalten und keinen Zweifel daran lassen, dass Preisniveaustabilität ihr Handeln bestimme. Die Gefahr, dass eine Erhöhung der Zinsen einige südeuropäische Länder in den Ruin stürzen würde, sei nicht gegeben, denn die Regierungen im Euroraum hätten die lange Phase niedriger Zinsen genutzt, um die durchschnittliche Laufzeit ihrer Anleihen zu erhöhen. Zudem sollte der Fokus auf einer Vertiefung der Integration im Euroraum liegen, um Ungleichgewichte zwischen den Ländern zum Ausgleich zu bringen.

Tobias Linzert und Julian Schumacher, Europäische Zentralbank, stellen die Reaktionen der EZB auf die europäische Schuldenkrise dar und fragen nach den Lehren, die sich für makroökonomische Stabilisierungsmaßnahmen angesichts der wirtschaftlichen Folgen des Ukraine-Krieges ergeben. Angesichts der hohen Inflationsraten habe der geldpolitische Kurs einen Pfad der Normalisierung eingeschlagen. Damit die EZB Ihre Aufgabe, die Inflation zu ihrem Zielwert von 2% zurückzubringen, wahrnehmen könne, müsse sie durch gezielte fiskalische Maßnahmen flankiert werden.

Bodo Herzog, ESB Business School, Reutlingen, sieht die europäische Fiskalarchitektur seit dem Vertrag von Maastricht in ein regelgebundenes und marktbasiertes Regelwerk eingebunden. Diesen Regeln mangele es aber an Bindekraft, vor allem aufgrund des Vollzugsdefizits der Europäischen Kommission. Deshalb bedürfe es automatischen Vollzugsmechanismen und Marktkräften. Er schlägt zur Reform der europäischen Fiskalarchitektur eine zweistufige Übergangsphase vor. Ähnlich der Konvergenzphase zur Währungsunion in den 1990er Jahren könnten zwei Fiskaloptionen mit Zugangskriterien definiert werden: ein Weg in die Politische (Fiskal-)Union und ein Weg in die regelbasierte Maastricht-Union mit automatischem Regelvollzug und Marktkräften. 

Margit Schratzenstaller, Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung WIFO, Wien, zeigt, dass die „grüne Transformation“ in Europa ohne eine rasche und umfassende Ökologisierung der gesamten EU-Fiskalpolitik – über die Fit-for 55-Vorschläge hinaus – kaum erreicht werden kann. Eine „grüne Fiskalpolitik“ auf Ebene der Europäischen Union sollte im Wesentlichen drei Kernbereiche umfassen: die Einnahmen, die Ausgaben sowie die Governance auf EU-Ebene. 

Paweł Tokarski, Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin, fehlt eine gemeinsame Vision als Herausforderung für die Zukunft des Euro. So bestehe die Gefahr, dass die Eurozone zu einem Projekt ohne Perspektive werde, das mangels einer glaubwürdigen Alternative aus Angst fortbestehe. Die aktuellen Veränderungen der geopolitischen Lage zeigten, dass eine gemeinsame Währungsbehörde ohne eine zentralisierte politische Macht oder zumindest eine einheitliche Vision der geopolitischen Rolle der EU nur von begrenztem Nutzen sei.

Christa Schweng, Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss, plädiert für eine Koordinierung der EU-Wirtschaftspolitik, territorialen Zusammenhalt und eine Stärkung des Europäischen Semesters unter wirksamer Beteiligung der organisierten Zivilgesellschaft. So könne Europas Wirtschaft wettbewerbsfähiger, integrativer und nachhaltiger werden und die Folgen der Pandemie sowie des Krieges in der Ukraine bekämpfen.

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