Aufsatz in Zeitschrift

Außenwirtschaft im Wandel – neue strategische Partnerschaften für Deutschland und die EU

Hanns-Günther Hilpert, Bettina Rudloff, Philipp M. Richter, Joschka Wanner, Isabella Gourevich, Dorothee Hillrichs, Camille Semelet, Timo Walter, Markus Taube, Volker Treier
ifo Institut, München, 2024

ifo Schnelldienst, 2024, 77, Nr. 01, 03-25

Hanns-Günther Hilpert und Bettina Rudloff, Stiftung Wissenschaft und Politik, sehen die EU-Handelspolitik in einer Nachhaltigkeitsfalle. Die EU verfolge ihre handelspolitischen Ziele zunehmend durch unilaterale und damit einseitig entschiedene Maßnahmen, deren Wirkung sich entlang internationaler Lieferketten bis zum Handelspartner erstrecke, der aber nicht in die Entscheidungsprozesse eingebunden sei. Deren Bereitschaft für Handelsverhandlungen sinke bzw. ihre Forderungen an die EU steigen angesichts der von ihnen oft als neokolonial verurteilten neuen Nachhaltigkeitspflichten als Bedingung für Marktzugang. Mehr Flexibilität und Zugeständnisse der EU seien vonnöten – nicht nur für handelspolitische Allianzen, sondern auch, um Nachhaltigkeitsziele nicht durch selbst verursachte Handelsumkehr zu anderen Märkten hin zu gefährden.

Philipp M. Richter und Joschka Wanner, Julius-Maximilians-Universität Würzburg, beschreiben den möglichen Zielkonflikt von freiem Handel und ambitionierter Klimapolitik durch eine Verlagerung von emissionsintensiver Produktion ins Ausland – Carbon Leakage. Der europäische CO2-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM) und die Aufnahme von Umweltklauseln in Handelsabkommen begrenzten die negative Klimawirkung von Handelsliberalisierung. Im besten Fall sei Handelspolitik nicht nur klimaneutral, sondern könne genutzt werden, um Anreize für ambitioniertere Klimapolitik auch außerhalb der EU zu schaffen.

Isabella Gourevich, Dorothee Hillrichs und Camille Semelet, ifo Institut, beleuchten die Integration Indiens in die Weltwirtschaft, um zu verstehen, welche Chancen Indien hätte, sich als Produktionsstandort im globalen Wirtschaftskreislauf zu etablieren. So habe sich der Handel mit der EU in den vergangenen Jahrzehnten erheblich verändert und spiegele die globale Verlagerung der Wertschöpfungsketten im Textilsektor nach Süd- und Südostasien wider. Indien brauche die europäischen Zulieferer, um sein Verarbeitendes Gewerbe voranzubringen, während Europa nicht auf den indischen Markt verzichten könne.

Timo Walter, Deloitte Economic Research, untersucht, wie sich eine Öffnung Indiens in Verbindung mit hohen indischen Wachstumsraten auf die deutsche Wirtschaft auswirken würde. Wenn die indische Wirtschaft weiterhin wie in den vergangenen Jahren wachse und der Handel tiefgreifend liberalisiert würde, könne das deutsche BIP langfristig um 0,17% wachsen. Aus Industriesicht würde vor allem der deutsche Maschinenbau profitieren. Momentan stelle der indische Markt jedoch keinen unmittelbaren Ersatz des chinesischen Markts dar.

Die deutsch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen befänden sich aus Sicht von Markus Taube, Universität Duisburg-Essen, in einer kritischen Phase der Re-Adjustierung. Die Anpassung der bestehenden Strukturen an die neuen geopolitischen Realitäten gehe mit hohen Kosten einher und müsse mit Umsicht geschehen. China bleibe ein strategisch wichtiger Außenwirtschaftspartner. Im Zentrum von „System-Rivalität“ müsse die Stärkung des eigenen Systems und des Standorts Deutschlands/Europas stehen.

Für Volker Treier, Deutsche Industrie- und Handelskammer, steht das deutsche Exportmodell an der Zeitenwende: Sich ausbreitender Protektionismus und eine neue Form des internationalen Standortwettbewerbs mit Hilfe WTO-inkompatibler industriepolitischer Praktiken paarten sich mit unilateral europäisch eingeführten Nachhaltigkeitsanforderungen an die auslandsaktiven Unternehmen. Hinzu kämen vernachlässigte Standortbedingungen in Deutschland, die das Resultat einer gewissen Selbstzufriedenheit in den 2010er Jahren seien. Die Unternehmen stellten sich den neuen geopolitischen Herausforderungen durch diverse und teilweise aufwändige Diversifizierungsbemühungen. Um letztlich tatsächlich erfolgreich zu sein und das geforderte De-Risking bewerkstelligen zu können, brauche es aber auch eine (andere) Unterstützung seitens der Wirtschaftspolitik – seitens der deutschen, aber auch und insbesondere der europäischen Seite.

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