Brexit
Das Verhältnis der Briten zur EU ist seit jeher von Skepsis geprägt und so hatten sich die Bürger in einem Referendum 2016 mit 51,9% für den Ausstieg ihres Landes aus der Europäischen Union entschieden. Damit ist das Vereinigte Königreich in der Geschichte der Europäischen Union das erste Mitglied, das die Staatengemeinschaft verlassen hat. Nach knapp einjährigen Verhandlungen trat am 1. Januar 2021 das zwischen der EU und dem Vereinigten Königriech ausgehandelte Handels- und Kooperationsabkommen vorläufig und seit dem 1. Mai 2021 ist es endgültig in Kraft.
Die Konsequenzen eines Brexit hat das ifo Institut bereits im Jahr 2015 in einer Studie für die Bertelsmann Stiftung untersucht und seitdem in weiteren Studien vertieft und aktualisiert. Ein Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union hat viele negative wirtschaftliche Folgen für das Land, aber auch für die EU und Deutschland. Im schlimmsten Fall wären der Freihandel gestoppt, die Binnenmarktregeln verfallen und wieder Zollschranken errichtet worden. Der Handel würde teuer – insbesondere für das Vereinigte Königreich, da für die Briten der EU-Markt sehr viel wichtiger ist als das Vereinigte Königreich für die meisten EU-Mitgliedstaaten. Das Handels- und Kooperationsabkommen stellt die Beziehungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich nun auf eine neue Basis und verhindert die schlimmsten befürchteten Folgen des Brexit, jedoch bei weitem nicht alle.
Großbritanniens Handel stärker vom Brexit betroffen als EU
Trotz des neuen Handelsabkommens trifft der Brexit den Handel des Vereinigten Königreichs härter als den der EU. Der Anteil der EU am Handel des Vereinigten Königreichs ist größer als umgekehrt, auch bei Produkten, bei denen es nur wenige Lieferanten gibt. Im Jahr 2019 wickelte Großbritannien 50% seiner Importe und 47% seiner Exporte mit der EU27 ab. Damit ist die EU der größte Markt für das Vereinigte Königreich. Für die EU27 hingegen ist die Insel wesentlich weniger wichtig: Im Jahr 2019 gingen nur 4% der Exporte dorthin und 6% kamen von dort. Trotzdem lag ein Handelsabkommen im beiderseitigen Interesse.
Konsequenzen für das Wirtschaftswachstum
Durch das Handels- und Kooperationsabkommen kommt es zu einer relativ geringen handelspolitischen Abschottung des Vereinigten Königreichs. Trotzdem könnte der Austritt und das Handelsabkommen dazu führen, dass das reale BIP im Vereinigten Königreich bei einer Betrachtung der reinen Handelseffekte um 0,9% geringer ausfällt als bei einem Verbleib des Vereinigten Königreichs in der EU. Dies entspricht 23,9 Milliarden Euro oder 412 Euro pro Kopf. Irland verliert wegen seiner geringen Größe und der starken wirtschaftlichen Abhängigkeit vom Vereinigten Königreich relativ sogar noch stärker mit etwa 1,5% des irischen BIP. Für die restliche EU hingegen fallen die wirtschaftlichen Wohlfahrtsverluste eines Brexit deutlich geringer aus. Die handelspolitische Isolierung des Vereinigten Königreichs durch den Austritt und das Handelsabkommen führt dazu, dass das reale BIP in Deutschland um etwa 0,14% geringer ausfällt als bei einem Verbleib in der EU. Das entspräche einem Rückgang des deutschen BIPs in Höhe von 4,9 Milliarden Euro oder 71 Euro pro Kopf.
Einzelne Branchen wiederum sind unterschiedlich von geringeren Exporten in das Vereinigte Königreich betroffen. Durch den weichen Brexit wird der größte Rückgang in der Pharmabranche sowie bei Elektronischen Waren mit jeweils bis zu 2,2% erwartet. Daneben müssen auch die Finanzbranche, die Chemiebranche sowie die Plastikindustrie mit Einschnitten rechnen. Neben den Wachstumsverlusten müssen sich die verbleibenden EU-Staaten auf Mehrausgaben für den EU-Haushalt einstellen.
Auswirkungen auf die Machtbalance
Bisher gab es in der EU eine stabile Balance und somit einen steten Interessensausgleich zwischen vier Kräften. Während Italien und Frankreich protektionistischen Versuchungen eher gerne nachgeben (siehe EU-Landwirtschaftspolitik), vertrauten das Vereinigte Königreich und Deutschland auf die Kräfte des freien Marktes und einer eigenverantwortlichen, auf dem Prinzip der Subsidiarität gründenden Politik. Dieser Antagonismus zwang die Beteiligten und damit die gesamte EU immer zu Kompromissen. Die Balance könnte mit dem Ausscheiden des Vereinigten Königreichs ins Wanken geraten – womöglich zu Ungunsten Deutschlands. Deshalb ist es in Deutschlands höchstem Interesse, die Briten mindestens so nah wie möglich an die EU zu binden, ohne das Land zu einer Handelskolonie zu degradieren. Für Europa als Ganzes geht es um seinen gleichberechtigten Platz im internationalen Mächtekonzert neben China und den USA. Dieser wird ohne das Vereinigte Königreich schwer zu behaupten sein.
„Das Handels- und Kooperationsabkommen zwischen Großbritannien und der EU kann die negativen Folgen des Brexit abmildern. Aber die Unsicherheit dürfte die bilateralen Handelsbeziehungen noch einige Zeit belasten.“
Prof. Dr. Lisandra Flach, Leiterin ifo Zentrum für Außenwirtschaft
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