Zentralabitur

In den vergangenen Monaten wird zunehmend intensiv über die Notwendigkeit von deutschlandweit vergleichbaren Abiturprüfungen diskutiert. Mit dem Abitur weisen deutsche Absolventen ihre Studierfähigkeit nach und erhalten damit den Zugang zum Hochschulsystem. Die Zahl der Abiturienten hat in den vergangenen 60 Jahren ständig zugenommen. Im Jahr 1955 lag die Abiturientenquote noch knapp unter 4%. Wird auch die Fachhochschulreife hinzugerechnet, steigt dieser Anteil zuletzt auf die Hälfte eines Jahrgangs an. Neben dem Besuch eines Gymnasiums gibt es heute vielfältige Möglichkeiten, auch nach einer abgeschlossenen Berufsausbildung das Abitur nachzuholen. Vor dem Hintergrund weiter steigender Abiturientenzahlen, unterschiedlicher Wege zur Hochschulreife und zunehmender Mobilität auch über die Bundesländer hinweg ist die Vergleichbarkeit der Abiturleistungen dringlicher denn je geboten. Ludger Wößmann, Leiter des ifo Zentrums für Bildungsökonomik, schlägt das Konzept des „Gemeinsamen Kernabiturs“ vor, das er gemeinsam mit dem Aktionsrat Bildung entwickelt hat.

Wissen notwendig – Schülerin vor Tafel mit Formeln
Wissen notwendig – Schülerin vor Tafel mit Formeln

Die Bildungshoheit liegt bei den Bundesländern. Beträchtliche qualitative Unterschiede und eine fehlende nationale Vergleichbarkeit sind seit Jahrzehnten ein Ärgernis für Abiturienten, Hochschulen und Unternehmen. Letztlich fehlt damit auch ein Instrument der Qualitätssicherung. 

Gemeinsames Kernabitur statt einheitliches Zentralabitur

Das Konzept des „Gemeinsamen Kernabiturs“ wurde bereits im Jahr 2011 durch den Aktionsrat Bildung veröffentlicht. Dabei geht es nicht darum, eine umfassende zentrale Abiturprüfung in die Wege zu leiten. Das scheint aufgrund der Kulturhoheit der Bundesländer weder erreichbar noch erstrebenswert zu sein. Vielmehr sieht dieser Vorschlag einen verbindlichen Kern von Fächern und Themen vor. So soll das langfristige Ziel sein, die nationalen Bildungsstandards in den für die Studienfähigkeit zentralen Fächern Deutsch, Mathematik und Englisch zu sichern und dabei gleichzeitig die Gestaltungsmöglichkeiten der Bundesländer zu bewahren. Im Wesentlichen geht es darum, die hohe Qualität des Abiturs langfristig zu sichern und allen Studenten gleiche und erfolgreiche Studienabschlüsse zu ermöglichen. 

Was ist ein Kernabitur?

Im Zentrum steht die einheitliche und externe Überprüfbarkeit zentraler Kompetenzfelder in den Kernfächern. Die gemeinsamen Prüfungsbestandteile sollen einen nennenswerten Anteil an der Abitur-Gesamtqualifikation ausmachen. Nur dann entsteht ein Mindestmaß an nationaler Vergleichbarkeit. Sie steigert die Fairness beim Hochschulzugang und erzeugt Anreize in den Schulen vor Ort, die entscheidend zur Qualitätssicherung im Schulsystem beitragen. Eine länderübergreifende Abiturkomponente soll insgesamt 10% der Abitur-Gesamtqualifikation ausmachen. Daraus folgt, dass 30% der durch die Abiturprüfung erreichbaren Punktzahl bundesweit einheitlich geprüft und bewertet würden. 

Nächste Schritte und Hindernisse

Die Bundesländer haben sich im Jahr 2007 auf die Entwicklung nationaler Bildungsstandards in den drei Prüfungsfächern verständigt. Seit dem Schuljahr 2012/2013 sind sie in den Fächern Deutsch, Mathematik, Englisch und Französisch verbindlich. Im Jahr 2017 haben sich (fast) alle Länder darauf geeinigt, ihre Abiturprüfungen in Mathematik am gleichen Tag mit standardbasierten Prüfungsaufgaben aus einem gemeinsamen Aufgabenpool durchzuführen. Die Einführung des Gemeinsamen Kernabiturs könnte die konsequente Umsetzung der vereinbarten nationalen Bildungsstandards sicherstellen. In der Bevölkerung wären eine solche Entwicklung überaus willkommen: Im ifo Bildungsbarometer 2017 und 2018 sprechen sich 90 Prozent der Deutschen dafür aus, deutschlandweit einheitliche Abschlussprüfungen im Abitur einzuführen. 

In ihrer Sitzung im Jahr 2018 hat die Kultusministerkonferenz einen Reformplan verabschiedet, der zu größerer Vergleichbarkeit in der Schulpolitik der Bundesländer führen soll. Auch im Koalitionsvertrag der Bundesregierung steht die Forderung nach mehr Transparenz, Qualität und Vergleichbarkeit ganz oben im Bildungskapitel. Hingegen scheiterten die Planungen zu einem Nationalen Bildungsrat am altbekannten Bund-Länder-Gezänk. 

Auch das Konzept des Aktionsrats Bildung mit Ludger Wößmann und anderen Autoren sieht als Ziel einen neuen Staatsvertrag der Länder zur Bildung. Er muss die vorgeschlagenen Elemente eines Gemeinsamen Kernabiturs enthalten. Nur wenn einheitliche Prüfungen das Erlernte deutschlandweit überprüfen, wird aus der Unverbindlichkeit von Standards ein unausweichliches Ziel, auf das sich Lehrer und Schüler in allen Bundeländern vorbereiten müssen.
 

„Ein Zentralabitur muss auch gar nicht so zentral sein, wie es Kritiker an die Wand malen. Wichtig ist ein gemeinsames Paket von Prüfungsfragen, die eine Vergleichbarkeit über alle Bundesländer schafft und damit die Qualität auf hohem Niveau sichert.“

Prof. Dr. Ludger Wößmann, Leiter ifo Zentrum für Bildungsökonomik

  • Alle Referenzen
      • Gastbeitrag 23. August 2019

        Markus Söder hat die Debatte um ein einheitliches Abitur abgewürgt: Mit ihm werde es das nicht geben. Dabei ist auch im Freistaat die große Mehrheit dafür. Und es wäre sogar leicht umzusetzen.

         

         

      • Aufsatz in Zeitschrift
        Ludger Wößmann
        2018
        Forschung & Lehre 25(12), 1029
      • Aufsatz in Zeitschrift
        Annika Barbara Bergbauer, E.A. Hanushek, Ludger Wößmann
        ifo Institut, München, 2018
        ifo Schnelldienst, 2018, 71, Nr. 20, 16-19
      • Working Paper
        Annika Barbara Bergbauer, Eric A. Hanushek, Ludger Wößmann
        CESifo, Munich, 2018
        CESifo Working Paper No. 7168
      • Beitrag in referierter Zeitschrift
        Central Exit Exams Improve Student Outcomes
        Ludger Wößmann
        2018
        IZA World of Labor, 419 p.
      • Beitrag in referierter Zeitschrift
        The Information Value of Central School Exams
        Guido Schwerdt, Ludger Wößmann
        2017
        Economics of Education Review 56, 65-79

        Information, Working paper version available as: CESifo Working Paper 5404 (PDF)

      • Beitrag in referierter Zeitschrift
        Zentrale Abschlussprüfungen, Signalwirkung von Abiturnoten und Arbeitsmarkterfolg in Deutschland
        Marc Piopiunik, Guido Schwerdt, Ludger Wößmann
        2014
        Zeitschrift für Erziehungswissenschaft 17 (1), 35-60
      • Beitrag in referierter Zeitschrift
        Central School Exit Exams and Labor-Market Outcomes
        Marc Piopiunik, Guido Schwerdt, Ludger Wößmann
        2013
        European Journal of Political Economy 31 (9), 92–108

        Working paper version available as: CESifo Working Paper 3940 (PDF)

      • Aufsatz in Zeitschrift
        Ludger Wößmann
        ifo Institut, München, 2012
        ifo Schnelldienst, 2012, 65, Nr. 02, 12-21
      • Monographie (Autorenschaft)
        Ludger Wößmann, Hans-Peter Blossfeld, Wilfried Bos, Hans-Dieter Daniel, Bettina Hannover, Dieter Lenzen, Manfred Prenzel, Hans-Günther Roßbach, Rudolf Tippelt
        Waxmann, Münster, 2011
        Gutatchten des Aktionsrats Bildung
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Prof. Dr. Ludger Wößmann

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