Clemens Fuest und Stephanie Dittmer im Interview - Jahresbericht 2021

Das ifo Institut richtet den Blick nach vorn. Mitarbeiter*innen wollen relevante ökonomische Fragen künftig mit Hilfe von Big Data erforschen und sich mit der Modernisierung  der Sozialen Marktwirtschaft auseinandersetzen.

Prof. Clemens Fuest und Dr. Stephanie Dittmer auf dem Weg ins ifo Institut

Lieber Herr Fuest, liebe Frau Dittmer, im Jahr 2021 hat das ifo Institut die Debatte um die Zukunftsfähigkeit unserer Wirtschaft und Gesellschaft wesentlich geprägt. Hat sich aus Ihrer Perspektive die Rolle des ifo Instituts verändert?

CLEMENS FUEST Erkenntnisse aus der Wissenschaft waren im ersten Jahr der Pandemie sehr stark nachgefragt, weil vieles unbekannt war und Politik und Öffentlichkeit nach Orientierung suchten. Im zweiten Jahr wurden Studien, Daten und Fakten nach meinem Eindruck weniger offen diskutiert, weil die Debatte zwischen Befürwortern von Infektionsschutzmaßnahmen und Kritikern sich stärker polarisierte. Wir haben den Blick nach vorne gerichtet und zusätzlich zur Analyse der aktuellen Wirtschaftslage unsere Erkenntnisse für das Wahljahr in den Vordergrund gerückt. Denn: Zukunftsthemen wie Digitalisierung, Bildung und Klimawandel werden uns noch begleiten, wenn die Pandemie längst vorbei ist. Damit konnten wir unsere führende Position unter den Wirtschaftsforschungsinstituten in den Medien weiter ausbauen.

STEPHANIE DITTMER Intern ist es für uns wichtig, kontinuierlich gemeinsam an den aktuell wichtigen Themen zu arbeiten. Eines dieser Themen ist die Soziale Marktwirtschaft und ihre Zukunft. Wir richten im Jahr 2022 eine neue Zweigstelle des ifo Instituts am Ludwig-Erhard-Zentrum in Fürth ein, das ifo Zentrum für Soziale Marktwirtschaft und Institutionenökonomik. Dort werden wir uns in enger Vernetzung mit der Universität Erlangen-Nürnberg mit der Zukunft der Sozialen Marktwirtschaft beschäftigen – eine sehr gute Chance, uns mit relevanten Zukunftsthemen noch stärker in die Debatte einzubringen.

Welchen Einfluss hat das ifo Institut in Zeiten der Coronakrise auf die Entscheidungen und Vorschläge der Politik gehabt?

FUEST Einen direkten Zusammenhang zwischen Studien oder wirtschaftspolitischen Vorschlägen aus der Wissenschaft und politischen Entscheidungen nachzuweisen, ist immer schwierig. Wissenschaftliche Beratung, oft in Form eines Dialogs zwischen Wissenschaft, Politik und Administration, sowie öffentliche Debatten haben aber einen erheblichen Einfluss. Das ifo Institut hat sich hier stark eingebracht. Über die starke mediale und damit öffentliche Wahrnehmung unserer Analysen, mit denen wir unserem gesellschaftlichen Informationsauftrag nachkommen, nehmen wir indirekt Einfluss auf politische Entscheidungen.

Das Jahr 2021 war ein Wahljahr. Wie relevant waren wirtschaftspolitische Fragestellungen im Wahlkampf, und wie stark haben sie den Ausgang der Wahlen beeinflusst?

FUEST Die frühe Phase des Wahlkampfes war stark von Debatten über Fehler und Schwächen einzelner Kandidatinnen und Kandidaten geprägt. In dieser Phase war es schwierig, Sachdebatten zu führen. Die sind in der späteren Phase stärker zur Geltung gekommen. Dabei ging es um Klimapolitik, die ja wichtige wirtschaftliche Implikationen hat, aber auch um Steuern und die Arbeitsmarktpolitik. Für den Ausgang der Wahlen waren einzelne wirtschaftspolitische Themen wahrscheinlich nicht so entscheidend. Mein Eindruck ist, dass die Menschen zwar einen Regierungswechsel wollten, aber mit überschaubarem Risiko. Olaf Scholz hat davon profitiert, weil sein Profil dem von Angela Merkel am nächsten kommt.

„Die neue Bundesregierung hat sich explizit vorgenommen, Forschungsinstitute bei der Entwicklung von Reformkonzepten direkt zu beteiligen.“

Prof. Dr. Dr. h.c. Clemens Fuest, Präsident des ifo Instituts

„Bildung, Digitalisierung und Klimawandel werden uns noch beschäftigen, wenn die Pandemie längst vorbei ist.“

Prof. Dr. Dr. h.c. Clemens Fuest, Präsident des ifo Instituts

Wie schätzen Sie die Gestaltungskraft der neuen Regierung ein? Wo sollten Weichen gestellt werden, und welche Schritte sind dafür notwendig?

FUEST Die Parteien in der Bundesregierung haben sehr unterschiedliche wirtschaftspolitische Vorstellungen. Gemessen daran ist der Koalitionsvertrag erstaunlich ambitioniert. Viele Projekte sind innovativ und weisen in die richtige Richtung. Die Regierung muss jetzt allerdings Prioritäten setzen. Die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung voranbringen, die Dekarbonisierung der Wirtschaft mit der Wahrung der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands als Industriestandort verbinden, dazu beitragen, die europäische Integration klug weiterzuentwickeln – diese Aufgaben halte ich für prioritär. Kurzfristig ist die Bundesregierung mit der Coronakrise beschäftigt, die es zu überwinden gilt.

Was kann das ifo Institut tun, um die Arbeit der neuen Bundesregierung zu unterstützen und dazu beizutragen, dass die Politik sachgerechte Entscheidungen trifft?

FUEST Das ifo Institut ist durch Beratungsprojekte und durch die Präsenz von ifo-Wissenschaftlern und -Wissenschaftlerinnen in wirtschaftspolitischen Beratungsgremien präsent. Außerdem sind wir in der Öffentlichkeit in die Prozesse der politischen Meinungsbildung eingebunden. Die neue Bundesregierung hat sich bei verschiedenen Projekten explizit vorgenommen, Forschungsinstitute bei der Entwicklung von Reformkonzepten direkt zu beteiligen, beispielsweise bei der Reform des Steuer- und Transfersystems.

„Die internationale Wirtschaftsforschung verändert sich – und das mit zunehmender Geschwindigkeit.“

Dr. Stephanie Dittmer, Vorstand ifo Institut

„Wir brauchen neue, flexible Organisationsformen, um ökonomische Forschung mit Big Data zu organisieren.“

Dr. Stephanie Dittmer, Vorstand ifo Institut

Das ifo Institut verlangt Reformbereitschaft von Politik und Bevölkerung. Wie steht es mit der Veränderungsbereitschaft am Institut? Welche Innovationen wollen Sie auf den Weg bringen?

DITTMER Die internationale Wirtschaftsforschung verändert sich – und das mit zunehmender Geschwindigkeit. Neue Daten und Methoden treiben den Wandel. Am ifo Institut entsteht derzeit ein neuer Schwerpunkt im Bereich der ökonomischen Forschung mit Big Data. Um die Chancen nutzen zu können, die dieser Wandel bringt, müssen wir uns ständig weiterbilden. Gleichzeitig brauchen wir neue, flexible Formen, um diese neue Forschung zu organisieren. Dazu gehören vertiefte Kooperationen mit Unternehmen und staatlichen Stellen, die Daten bereitstellen. Wie in anderen Bereichen von Wirtschaft und Gesellschaft verändert sich am ifo die Organisation der Arbeit. Unsere Kolleginnen und Kollegen können zunehmend von anderen Orten für uns tätig sein. Deswegen investieren wir massiv in digitale Infrastrukturen. Und wir setzen auf Diversität, weil wir sie für einen wichtigen Produktivitätsfaktor halten.

Was sind Ihre wesentlichen Ziele für das Jahr 2022? Woran werden Sie in einem Jahr Ihren Erfolg und den des ifo Instituts messen?

FUEST Unsere Ziele sind Forschungsexzellenz, die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses, die Beteiligung an öffentlichen Debatten, die Politikberatung und die Erbringung von Serviceleistungen, beispielsweise die Bereitstellung von Daten aus unseren Unternehmensbefragungen. Wir lassen uns daran messen, dass wir uns auf all diesen Gebieten weiter verbessern.

DITTMER Wir vergessen dabei nicht, dass wir seit zwei Jahren – auch jetzt, während wir dieses Gespräch führen – im permanenten Krisenmodus arbeiten. Ein wichtiges Ziel ist für uns, das ifo Institut im Jahr 2022 als den Ort zu gestalten und zu erleben, an dem wir uns als Kolleginnen und Kollegen, als Team in Gemeinschaft und gegenseitigem Respekt wieder regelmäßig begegnen können.

Das Gespräch führte Dr. Cornelia Geißler, Bereichsleiterin Kommunikation

Dr. Stephanie Dittmer ist seit September 2017 Mitglied des Vorstands am ifo Institut. Zuvor war sie Leiterin Strategie, Impuls- und Vernetzungsfonds an der Helmholtz-Akademie für Führungskräfte, Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren e.V.

Prof. Dr. Dr. h. c. Clemens Fuest ist seit April 2016 Präsident des ifo Instituts, zuvor war er Präsident und wissenschaftlicher Direktor des ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung und Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Mannheim.

Kontakt
Dr. Cornelia Geißler

Dr. Cornelia Geißler

Bereichsleiterin Kommunikation
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